Im Berliner Renaissance-Theater konnte man die Bekanntschaft mit zwei Theater-Größen machen (oder erneuern): Wilfried Minks, geboren 1931, Bühnenbildner und Regisseur, und Tennessee Williams (1911–1983), von dem ein hauptstädtisches Blatt herausfand, er sei »Dramatiker und Schriftsteller« gewesen. Interessant. (Minks ist, wie ich erfuhr, nicht nur Bühnenbildner, sondern auch Szenograf.)
Minks studierte seine Fächer auch bei Willi Schmidt († 1984), an dessen Szenenbilder und Inszenierungen der Nachkriegszeit im Deutschen Theater, im Schloßpark- und Schiller-Theater ältere Bühnenfreunde sich vielleicht noch erinnern. Jochanan Trilse-Finkelstein vermerkte im »Theater-Lexikon«: Minks »galt als optisch hellster Kopf der dunklen Bühne«. W. M.s Chef in Bremen, Peter Zadek, versicherte im Vorwort seiner Autobiographie: »Zwei Menschen haben mir ... mehr als alle anderen geholfen: Wilfried Minks, was die Optik und die Form angeht, Elisabeth Plessen, was das Wort, also auch die Form angeht. An diese beiden meinen ganz großen Dank, auch daß sie meine Phantasie ... oft umgemünzt und verständlich gemacht haben. Mein Thema war schon immer Sehnsucht, Liebe und Sehnsucht nach Liebe. Elisabeth und Wilfried haben das begriffen und mir geholfen, es ohne Zynismus zu formulieren.«
Zadeks Thema ist auch das Thema der »Endstation Sehnsucht« von Tennessee Williams, und wie es scheint, hat Regisseur Minks dieses Stück und seinen Autor ziemlich genau begriffen und seinen Akteuren geholfen, dies mit ihren Mitteln »zu formulieren«. Die Behausung des eingewanderten Polen Stanley Kowalski und seiner schwangeren Frau Stella ist kein »Heim«, sondern eine Art Rattenloch in den Slums von New Orleans – ausgestattet mit Kühlschrank für schnell geleerte Bierbüchsen, mit Eimer für Zigarettenstummel und Leergut und mit etwas Mobiliar, auf dem Spielkarten und bestiefelte Männerfüße abgelegt werden. Unversehens taucht Stellas Schwester Blanche Dubois auf (mit Gepäck für einen längeren Besuch), was beim Hausherrn, der von Natur aus und vom Rattenloch-Ambiente geprägt zu Wut- und Sauf-Anfällen neigt, einen gefährlichen Anfall von Klaustrophobie auslöst.
Den szenischen Brennpunkt, in dem die Personen des Dramas die ihnen innewohnenden Ängste und Aggressionen aufheizen, hat Szenograf Minks relativ luftig, hell und fast freundlich bauen lassen, da dräut keine Enge, könnte kein verwitternder Kalk kommende Katastrophen anmelden. Tennessee Williams hätte gesagt: Wirklich hübsch – aber so hatte ich das nicht gemeint! Und Minks würde vielleicht sagen: Wir haben es hier mit einer Koproduktion zwischen dem Hamburger Sankt-Pauli-Theater, den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Renaissance-Theater Berlin zu tun; ich mußte also ein transportables und praktikables Szenenbild für drei verschiedene Bühnen entwerfen! Und der Rezensent möchte höflich bemerken: Sie haben recht, und nach dem vorläufig letzten Duden haben Sie sogar Recht mit großem R! Und übrigens sieht der kleine Bühnenraum des Renaissance-Theaters, wenn man auf diesem steht, sitzt oder liegt, viel kleiner aus, als er dem Kritiker vorkommt, der ihn von seinem Platz im Rang fixiert.
Das Stück wurde 1947 in New York uraufgeführt, einstudiert von Elia Kazan mit Marlon Brando als Stanley, ebenso erfolgreich wie 1951 Kazans Sehnsucht-Film mit Brando und Vivien Leigh als Blanche.
Ben Becker ist kein Marlon Brando, sondern, bekanntlich, Ben Becker. Als Stanley Kowalski kann er sich durchaus sehen und hören lassen, ein heiserer, explosiv-zorniger junger Mann, der offenbar nicht einmal selber genau weiß, wann ihn die Wut in die Luft sprengt. Ein Kerl, der seinen Ärger herunterschlingt, ihn aber nicht verdauen kann, was ungesund ist. Dieser Stanley kennt sich mit Leuten aus und läßt sich von der hochgestochenen Schwägerin Blance Dubois nicht blenden, denn er durchschaut ihre psychotisch bedingten Auslassungen als Schwindel. Als typische Williams-Figur hat sie sich mit ihrer eigenen Lebenslüge verkleidet – bis ihr Kowalski diese und sonstwas vom Leibe reißt und ihr seine Kerlhaftigkeit einbläut.
Emanuela von Frankenberg präsentiert uns in allen denkbaren Nuancen zwischen phantasierend angeberischer Eitelkeit und kitschig dahintröpfelnden Kummertränen die Blance Dubois. Sie hat wahrscheinlich die beste und interessanteste Rolle und bietet zweifellos die beste schauspielerische Leistung in dieser Aufführung.
Zauberhaft war die junge Johanna Christine Gehlen als Stella Kowalski. Das sagte ein Sitznachbar. Ich war seiner Meinung. Warum hält diese Stella denn in allen Lebenslagen zu diesem Burschen? Weil sie ihn liebt. Na ja, seufzte eine Nachbarin, wo die Liebe hinfällt. Sowas kann man nicht erklären ... Aber Johanna Christine Gehlen kann glänzend vorspielen, wie sowas ist, das man nicht erklären kann. Auch Williams, denke ich, wollte nicht alles erklären.
Darf man den sympathischen Stephan Benson als Harald Mitchell, genannt Mitch, übersehen? Den kann man gar nicht übersehen, weil er glänzend den einzigen normalen Menschen darstellt, einen Typ, der bei Williams selten vorkommt. Zu diesen »positiven Helden« der Geschichte gehören noch die Nachbarn Eunice und Steve Hubbel. Die haben zwar auch mal Streit, aber reinigende, nützliche Auseinandersetzungen führen nicht selten zum guten Ende. Und außerdem können die beiden Akteure Brigitte Janner und Uwagboe Agidigbi-Rydl so gut und sicher und hübsch singen, daß ihre kurzen Auftritte allein den Besuch in der Knesebeck-, Ecke Hardenbergstraße lohnen. (Musik: Johannes Huth, Dankeschön, lieber Herr Huth.)