Angesichts der Krise haben Kommentatoren vieler landesüblicher Konzern-Zeitungen verwundert festgestellt, daß der moderne Kapitalismus in der Zeit der Globalisierung schon im Kommunistischen Manifest von 1848 sehr treffend beschrieben werde. Das von Marx und Engels verfaßte »Manifest der Kommunistischen Partei« wurde als Parteiprogramm vom Bund der Kommunisten beschlossen, einer internationalen Arbeiterverbindung, wie das Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872 erklärt.
»Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.« So steht es im Manifest, und darunter ist heute alles zu verstehen, was an Staatsgewalt auf uns niederkommt. Heute gehört dazu sowohl deutsche als auch EU-Staatsgewalt. Besonders in der gegenwärtigen gigantischen Krise des Kapitalismus gilt es, den »geschäftsführenden Ausschuß« verantwortlich zu machen. Beide, Berlin und Brüssel, haben uns mit unzähligen Beschlüssen unmittelbar in die gegenwärtige Krise geführt.
Nun sagen manche Linke, wir Deutschen müßten aus der EU austreten, dann werde alles besser. Warum tritt Deutschland dann nicht auch aus dem deutschen Staat aus? Ein Austritt aus der EU würde nur die Komplexität des »geschäftsführenden Ausschusses« verändern. Es gilt also, der Bourgeoisklasse ihren geschäftsführenden Ausschuß streitig zu machen. In der BRD wie in der EU. »In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute, wir sind die stärkste der Parteien,« heißt es in der Internationale, dem Lied jenes Bundes der Kommunisten, von dem oben die Rede war. Nebenbei: Ist es nicht phantastisch, daß wir schon seit über 160 Jahren eine internationale Kommunistische Partei haben und diese auch bald ein Hymne bekam, die noch heute Richtiges aussagt – nämlich nicht, daß die Kommunistische Partei die stärkste der Parteien ist, sondern die Arbeitsleute in Stadt und Land sind es. Diese Arbeitsleute haben seit über 160 Jahren auch das geeignete Krisenprogramm, und es ist zu hoffen, daß sich alle linken Kräfte wieder darauf besinnen und endlich die Sprachlosigkeit überwinden, die uns vor fünf Monaten befiel, als wir plötzlich nicht mehr richtig wußten, wie auf die Krise zu reagieren ist. Grotesk: 160 Jahre wußten wir es, aber ausgerechnet in den letzten fünf Monaten schauten wir einander auf die Schuhspitzen und murmelten unverständliches Zeug.
Darum aber geht es: um »despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, (…) Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind«. Für »die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden (Eingriffe) ziemlich allgemein in Anwendung kommen können: Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben, starke Progressivsteuer, Abschaffung des Erbrechts, Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol, Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats, Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan, gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau, Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land, öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw.« So heißt es am Ende des Kapitels II des Manifestes, darunter steht noch: »An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.«
Man störe sich nicht an manchen Ausdrücken von Marx und Engels, die in die Sprache der Kommunisten einflossen und tatsächlich kontraproduktiv sind. Selbstverständlich ist mit »gleicher Arbeitszwang« keine Zwangsarbeit, sondern das Recht auf Arbeit gemeint. Auch die Müßiggänger, die von der Arbeit anderer leben, sollen, so ist es zu verstehen, arbeiten. Ab in die Produktion. Auch die Formulierung von der Diktatur des Proletariats bei Marx und Engels hat den Kommunistinnen und Kommunisten viel Ärger eingebracht. Da aber Marx und Engels den Staat als Herrschaftsinstrument der herrschenden Klasse ansahen, einer Klasse, die als Minderheit und Bourgeoisklasse mittels Staat – mittels »geschäftsführendem Ausschuß« – das Diktat ausübte, meinten Marx und Engels, auch die zur Herrschaft gelangte Arbeiterklasse, die demokratische Mehrheit, eine »Diktatur« ausüben lassen zu sollen. Das ist einfach falsches Deutsch. Im Manifest der Kommunistischen Partei heißt es dann auch richtig: »Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie.«