Politische Kultur. Ein Lehrstück (Peter Söhren)
»Das wird die politische Kultur des Landes bereichern«, sprach Peter Altmaier, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Gemeint war damit das Verhalten eines Bundesministers, der sich gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit gegen den Vorwurf, er sei ungeeignet für ein so hohes Amt, zu verteidigen hatte. Um den Tatbestand kurz zu resümieren: Da hat sich ein hastig aufstrebender Jungpolitiker auf dem Wege zum »Kronprinzen« nebenher einen akademischen Titel verschafft – durch »Täuschung großen Stils«, wie die Frankfurter Allgemeine feststellte, die ihn bewundert hatte, bis der »Blödsinn«, wie der Missetäter selbst nun sein Werk nannte, auffiel. Zunächst ging er in scharfe Abwehr: »Abstrus« sei es, von einem Plakat zu reden; allenfalls könnten beim Setzen des Textes einige Quellenangaben vergessen worden sein. Dann wollte er den Doktortitel »zeitweilig nicht benutzen«, ihn aber, wenn er die Vorwürfe entkräftet habe, wieder in Gebrauch nehmen. Bald darauf bat er die zuständige Universität, seine Dissertation als nicht eingereicht zu betrachten – ein ungewöhnliches Ansinnen eines Menschen, der über ein juristisches Examen verfügt. Und schließlich präsentierte er sich im Bundestag als Pechvogel: Seine wissenschaftliche Arbeit sei tatsächlich nicht akzeptabel, aber bei deren Anfertigung habe er die »handwerklichen Fehler« nicht bemerkt, so etwas wie ein bewußtloser Betrug liege da vor. Und bei alledem mahnte der Mann seine Kritiker ab: Am Hindukusch müßten deutsche Soldaten ihr Leben riskieren, um sie solle man sich rückenstärkend kümmern und nicht um die Lappalie einer »Fußnote«, nämlich seiner zu Unrecht erworbenen Doktorwürde.
Fehltritte ehrgeiziger Aufsteiger sind nichts Außergewöhnliches. Zum historischen Ereignis wurde dieser Fall durch die Reaktionen der regierenden Parteien, deren Gunst der falsche Doktor sein hohes Amt verdankt, vor allem durch die Reaktion der Bundeskanzlerin: »Ich habe volles Vertrauen zu Karl-Theodor von Guttenberg«, sagte Angela Merkel in Kenntnis der geschilderten Vorgänge.
In Wahrheit drückte sie damit ihr volles Vertrauen in die meinungsmachenden Fähigkeiten der Bild-Zeitung aus. Dieses täglich von rund zehn Millionen Deutschen gelesene Blatt hielt an der Ambition fest, den Militärminister als Volkshelden zu etablieren. »Scheiß auf den Doktor«, den Titel, empfahl der Bild-Kommentator.
So schien eine neue Verhaltensregel für diejenigen geschaffen, die in öffentlichen Diensten stehen oder dahin streben: Erschwindelt euch Zertifikate, wenn ihr sie haben wollt. Fallt ihr dabei auf, versucht es mit Ausreden, Finten und Ablenkungsmanövern. Auf Rechtmäßigkeit kommt es nicht an, entscheidend ist eure Brauchbarkeit für Zwecke der Regierenden und für das politische Marketing ...
So wäre die »politische Kultur«, wie Peter Altmaier sagte, um einen Leitwert reicher geworden – wenn nicht Zigtausende Studierende und Doktoranden im Internet protestiert hätten: Guttenbergs Bereicherung wäre auf ihre Kosten gegangen, hätte ihre wissenschaftliche Arbeit entwertet. Wer auf Zertifikate angewiesen ist, wird zu Recht eher auf Bild scheißen als auf den Doktor.