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Titel0511

Begegnung mit dem Lügenbaron  (Jürgen Rose)

Das Erscheinen des Messias war angekündigt. Und so begab es sich, daß sich in den Abendstunden des 13. Januar zahlreiches Volk in der Schwabinger Mandelstraße versammelte, um dieses Mirakels teilhaftig zu werden. Wobei die abschätzig anmutende Vokabel »Volk« einer gewissen Korrektur bedarf, handelte es sich doch um Angehörige der »besseren« oder noch präziser der »besserverdienenden« Kreise dieses Landes, nämlich Mitglieder der Münchner Rotary-Clubs. Die waren zu Hunderten herbeigeeilt, um in der Aula der Katholischen Akademie Bayern ein sicherheitspolitisches Hochamt zu zelebrieren – gemeinsam mit der Lichtgestalt auf der Bühne der bayerischen, der deutschen, ja der Politik schlechthin, Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg, seit kurzem besser bekannt als »der Doktor«.

Vorbereitet hatte den Event der Past President des Rotary-Clubs München-Schwabing, General außer Diensten Dr. h. c. Klaus Naumann, ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr sowie Vorsitzender des NATO-Militärrats. In letztgenannter Funktion hatte 1999 dieses Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft in enger Zusammenarbeit mit seinem Spießgesellen, dem US-amerikanischen General Wesley K. Clark, die von zahlreichen Kriegsverbrechen der NATO-Luftstreitkräfte begleitete völkerrechtswidrige Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien befehligt. Nach wie vor verfügt der rüstige Goldbesternte im Pensionsstand über allerbeste Kontakte zum Berliner Bendlerblock und vermochte es, Guttenberg zur Imagewerbung bei den Rotariern zu animieren (die ihm übrigens mittlerweile die Ehrenmitgliedschaft im Rotary-Club Kulmbach, nahe seinem Stammschloß, angedient haben).

Zunächst stand freilich die Überwindung der beim Auftritt eines derartigen Politprominenten zu erwartenden Sicherheitskontrollen an. Doch nein, in diesen Kreisen erübrigen sie sich offenbar. Lediglich fragte eine freundliche ältere Dame nach der Zugehörigkeit zu einem Club und kassierte den Obolus für die im Anschluß an die geistige Erbauung am Buffet vorgesehene Stärkung des leiblichen Wohls. Ohne irgendeine Beanstandung konnte jede(r) den Vortragssaal buchstäblich mit Sack und Pack betreten. Das Vertrauen in die Rotary Community war offenbar unbegrenzt; auch jeder Außenstehende hätte sich mit einem Minimum an Grips und Chuzpe unauffällig Zutritt zu der im Internet angekündigten Veranstaltung verschaffen können. Daß ein Bundesminister und Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Armee einer kriegführenden Nation in Zeiten einer vorgeblich allgegenwärtigen Terrorgefahr bei seinem Auftritt in der Öffentlichkeit offenbar nicht der geringsten Sicherheitsvorkehrungen bedarf, verblüfft den interessierten Zeitgenossen und gibt zum Grübeln darüber Anlaß, was es mit all dem Sicherheitsheckmeck, mit dem die BürgerInnen anderenorts traktiert und kujoniert werden, eigentlich auf sich hat.

Nach und nach füllte sich das Auditorium mit über 700 Guttenberg-JüngerInnen, die sehnsuchtsvoll dem Erscheinen ihres Idols entgegenharrten – und sich darob gehörig in Geduld üben mußten, denn der Frei- und Kriegsherr verweilte noch bei Amigo Stoiber zum Kaffeekränzchen in Wolfratshausen.

Mit einer guten halben Stunde Verspätung schwebte »der Gesalbte und Geölte« (Urban Priol) schließlich in den Saal, umwallt vom frenetischem Jubel seiner Gemeinde. Nachdem die Ekstase ein wenig abgeklungen war, beweihräucherte Akademiedirektor Florian Schuller in seiner Begrüßungsansprache die langjährigen Verbindungen seiner katholischen Anstalt zu den zu Guttenbergs: Einst habe schon Großvater Karl-Theodor hier außenpolitische Fragen behandelt und Vater Enoch habe über »Mozarts Theologie« parliert. Nicht zu vergessen Urgroßmutter Elisabeth, »eine starke Frau des bayerischen Katholizismus«, welche die Akademiebereits bei der Gründung mit ihrer Gegenwart beehrt und auch ihren 90. Geburtstag hier gefeiert habe. Urenkel Karl-Theodor, damals schon unter den
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An KT (streng vertraulich)
Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen mein uneingeschränktes Vertrauen und meine tiefe Hochachtung zu bezeugen. Selbst die FAZ hat sich an der linken Hetzjagd auf Sie beteiligt. Eine Schande. Aber die große Mehrheit der Deutschen steht hinter Ihnen, und die Zustimmung wäre ohne Zweifel noch größer, wenn der Sachverhalt bekannt wäre, den ich vermute und der Sie zu einem wahrhaft tragischen Helden macht. Ich jedenfalls habe die Anschuldigungen gegen Sie von Anfang an für falsch gehalten, weil es mir unvorstellbar erschien, daß ein Mann von Ihrer Intelligenz derart viele derart plumpe Fehler in Serie macht. Das kann nach meiner festen Überzeugung nur das Werk eines gewissenlosen Hochstaplers oder gedungenen Provokateurs sein, der Ihnen für sicher teures Geld schlechte Ware angedreht hat: eine schlampige Arbeit, die nun ganz zu Unrecht Ihren guten Ruf beschädigt. Aber statt den Übeltäter der Verachtung preiszugeben und der Öffentlichkeit seinen Namen zu nennen, nehmen Sie in christlicher Demut die ganze Schuld auf sich. Sie leben uns damit einen Ehrenkodex vor, der in der Union seit Adenauer, Strauß, Kohl und Koch eine große Tradition hat. Vor so viel selbstloser Ritterlichkeit kann ich nur tief meinen Hut ziehen.

Gerhard Schoenberner
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Festgästen, müsse wiederkommen, »auch wenn er noch höher steigt« (wie es jetzt aussieht, wird er eher tief fallen).

Auf solcher Schleimspur ans Rednerpult komplimentiert, wo er über das Thema »Die Reform der Bundeswehr – ein Beitrag zur Stärkung Europas« referieren sollte, mäanderte der Minister nach einigen grundsätzlichen Anmerkungen zu den Wurzeln des Abendlands über Thilo Sarrazin und dessen Idiosynkrasien nach und nach zu seinem eigentlichen Thema, hatte dazu aber nichts zu sagen, was bei einem durchschnittlich gebildeten Zeitungsleser Erstaunen hätte auslösen können. Und so hätte es denn allemal ein lauschiger Club-Abend mit dem Angebeteten werden können, wenn sich an die platte Rede nicht noch die unvermeidliche Diskussionsrunde angeschlossen hätte. Die freilich sollte nicht ganz so ablaufen wie gedacht, nämlich mit ein paar artigen, aber belanglosen Anfragen an den Referenten des Abends, nach deren huldvoller Beantwortung gewöhnlich das Publikum glückselig von dannen zieht.

Als Kriegsminister trägt Guttenberg Verantwortung für das tagtägliche Morden am Hindukusch. Und so stellte ich ihm, von – wie es bei den Rotariern heißt – »Freund« Naumann als Moderator zur ersten Wortmeldung ans Saalmikrophon gerufen, nachfolgende Frage: »Sehr geehrter Herr Minister, als wir beide, Sie noch Abgeordneter, ich noch Oberstleutnant, vor geraumer Zeit bei Phoenix in der ›Berliner Runde‹ über Afghanistan debattierten, gerieten wir in einen Disput ob der Frage, inwieweit denn der Westen bei seinem Versuch, die internationale Sicherheit neu zu definieren, mit Menschenleben experimentiere.« An dieser Stelle setzte bei unserem jungen Freiherrn erkennbar jäh die Erinnerung ein. »Nun«, so fuhr ich fort, »mittlerweile ist zu konstatieren, daß sich die Zahl sowohl der Bundeswehrsoldaten, die in dem schmutzigen Krieg am Hindukusch, nein, nicht gefallen, sondern jämmerlich verreckt und krepiert sind« – hier ging ein hörbares Raunen durchs Publikum – »als auch die Zahl der Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung potenziert hat. Was zu der Frage Anlaß gibt, wie viele meiner Kameraden in der Bundeswehr und wie viele afghanische Kinder, Frauen und Männer für den Fortbestand der NATO, für ein höheres Gewicht Deutschlands auf der Weltbühne und für die wirtschaftlichen Interessen deutscher Großkonzerne denn noch verheizt werden sollen, bis die Bundeswehr endlich aus Afghanistan abzieht. Ich jedenfalls halte die Afghanistanpolitik der Bundesregierung für menschenverachtend, aber vielleicht vermögen Sie es ja, einem erwartungsvollen Auditorium die höhere strategische Weisheit der Beschlüsse des gegenwärtig in Berlin amtierenden Kriegskabinetts näher darzulegen?«

An dieser Stelle begann der Saal zu toben, laute Buhrufe erschollen, Entrüstung über diese unverfrorene Blasphemie, diese unerträgliche Schändung des Gebenedeiten brach sich Bahn. Der ehemalige »Schlachtendirektor« (so pflegte Kurt Tucholsky dereinst die Generalität zu titulieren) Naumann hatte alle Mühe, den Mob zu besänftigen. Derartiges sei ja nun schon seit Jahren notorisch bekannt, ätzte er, sich offenbar an freimütige Kritik erinnernd, die ich ihm anläßlich einer Veranstaltung bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung dermalen verpaßt hatte. Aber, so beruhigte er das Publikum, man solle keine Bedenken haben, der Minister sei, wie er ihn kenne, durchaus in der Lage, angemessen zu antworten. Der Aufruhr legte sich, der nächste Fragesteller trat vor und gab in seinem Innersten ganz aufgewühlt zu bedenken, was aus all den schönen Garnisonen im Bayernlande werden solle, wenn die Bundeswehr demnächst zurückgestutzt würde. Der nächste in der Reihe legte Guttenberg die abgestandene Idee eines »Allgemeinen Pflichtdienstes« für sämtliche Frauen und Männer der jungen Generation ans Ministerherz – ach wie herrlich waren doch die Zeiten, als die Madel und Buam noch beim Reichsarbeitsdienst werkten! Heutzutag gibt es so was nur bei den netten Generälen in Myanmar. Guttenberg mußte beide enttäuschen und kam dann auf meine Provokation zu sprechen: Doch, räumte er rhetorisch geschickt ein, so eine Frage sei »durchaus legitim, auch in dieser Schärfe«. Aber, gab er unter prasselndem Beifall zu bedenken, wer vom »Verrecken« und »Krepieren« spreche, der müsse sich, nicht zuletzt von den Angehörigen der Gefallenen, fragen lassen, ob er nicht in Zynismus abgleite. Gern hätte ich an dieser Stelle eingewandt, ob es nicht umgekehrt äußerst zynisch sei, diejenigen Kameraden, die in ihrem bei einem Gefecht mit Talibankämpfern rücklings in den Kundus-Fluß gestürzten Transportpanzer kopfüber jämmerlich abgesoffen sind, zu »Gefallenen« zu verklären, und ob nicht das Geschwafel von Ehre und Heldentod schon immer die Heuchelei derer charakterisierte, die andere zum Töten und zum Sterben auf die Schlachtfelder schicken. Repliken waren indes nicht vorgesehen.

Seine Antwort fortführend entpuppte sich unser junger Edelmann aus dem Frankenland jedoch als dreister Lügenbaron, als er nämlich wortreich bestritt, daß die Bundeswehrmission am Hindukusch mit – horribile dictu! – wirtschaftlichen Interessen amalgamiert ist. Dabei hatte er sich doch diesbezüglich ein Jahr zuvor schon ehrlich gemacht, als er Ende Januar 2010 nach dem Weltwirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos sowohl in der Welt als auch in der Zeit unverhohlen zu Protokoll gegeben hatte, worum es in Wahrheit geht, nämlich daß man »das Thema Afghanistan … im energiepolitischen Kontext sehen« müsse. Die Stabilität dieses Landes habe »große Auswirkungen auf die gesamte Region, die für die Gewinnung und die Weiterleitung von Energierohstoffen eine große Rolle« spiele. Darüber hinaus hatte er kurz darauf, am 12. Februar 2010, in der Diskussionsrunde »Deutschland im Krieg?« bei Phoenix frank und frei bekannt, daß die im Afghanistan-Kontext so häufig beschworene Menschenrechtsfrage lediglich etwas für die Galerie ist, indem er »selbstkritisch« anmerkte: »Haben wir nicht Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal eine Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen? Natürlich ist es unbestreitbar wichtig, daß man Kindern hilft, daß man Frauen hilft in ihren Rechten und all jenem. … Aber das waren Gründe, die nachgeschoben wurden.«

Nachdem Moderator Naumann unter dem Hinweis auf drängende Anschlußtermine noch eine allerletzte Frage an den Referenten zugelassen hatte, erhob sich ein rüstiger Senior, outete sich, äußerlich wie innerlich Haltung annehmend, als pensionierter Stabsoffizier unserer glorreichen Wehr, um sodann mit schnarrender Stimme zu monieren, daß immer dann, wenn einer unserer Helden in Afghanistan wieder einmal einen Kollateralschaden verursacht habe, die hiesige Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Schützen aufnehme. Solch Procedere sei unseren in schwerem Kampfe stehenden, tapferen Soldaten doch völlig unzumutbar. Beschwörend stieß er hervor: »Herr Minister, wann bekommen wir die Militärjustiz?« Wer so fragte, war offenbar unbeschwert vom mörderischen Wüten der deutschen Militärgerichtsbarkeit im Zweiten Weltkrieg. Wie der renommierte Militärhistoriker Manfred Messerschmidt in seiner vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr herausgegebenen brillanten Forschungsarbeit über »Die Wehrmachtjustiz 1933–1945« zutage gefördert hat, »haben die Wehrmachtgerichte, niedrig angesetzt, 25.000 Todesurteile verhängt. Davon sind 18–22.000 vollstreckt worden.« Und dahin sollen wir zurück? Guttenberg konnte immerhin mitteilen, daß neuerdings angedacht ist, eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft in Leipzig einzurichten, die alle strafrechtlichen Ermittlungen gegen Soldaten übernehmen soll. Und die Rotarier verabschiedeten ihn dankbar.

Veranstaltungen wie die in der Katholischen Akademie können Aufschluß geben über die in den »besseren Kreisen« dieses Landes herrschenden Denk- und (Vor-)Urteilsstrukturen. Unumwundenes Nachfragen kann helfen, sie zum Vorschein zu bringen.

Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung »Darmstädter Signal«.