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Titel0511

Adel entpflichtet  (Harald Kretzschmar)

Uns fehlt das monarchische Prinzip. Sonnenkönige? Sonstwie gekrönte Lichtgestalten? Alles abgedankt. Keine Erleuchtung mehr. Immer müssen wir ins Leere gucken, wenn wir aufschauen gen oben. Wir suchen anhimmelbare Autoritäten. Jedoch – alles Menschen wie du und ich. Keinen Deut besser. Im Gegenteil. Abgründe von Fehlverhalten. Vorbildhaftes Gebaren ist Mangelware. Edelste Mustermenschen wurden als Ganoven enttarnt. Leitfiguren sind nicht mehr gelitten. Um uns ist es traurig bestellt.

Das Göttliche ist auch nicht mehr, was es mal war. Der Papst mitsamt dem ganzen Klerus ist dem Aufblickziel GottdemHerrn eher im Wege. Anzweifler und Abtrünnige haben Oberwasser. Nicht daß wir deshalb nun kritischer nachdenken und statt blindem Glauben hellsichtigen Durchblick üben. Nein, es ist eher düsterer Argwohn, der uns plagt, dunkle Ahnung davon, wie schnöde wir getäuscht wurden. Wir wollen es doch gar nicht so genau wissen. Wir wollen eine Herrlichkeit anbeten.

Und siehe, unsere Untertanen-Gene sind noch intakt. Generationen vor uns haben dem Adel gehuldigt. Und dieser herausgehobene Menschenstand erweist uns schon immer die Huld, für uns zu denken und zu handeln. Wenn er stellvertretend für uns daraus Gewinn abzieht, so ist das rechtens. Wer so bevorrechtet ist, wird verpflichtet, genau diesem Recht zu dienen. Daher der Slogan »Adel verpflichtet«. Ein Abglanz davon fällt noch auf unser Grundgesetz, wo es wörtlich heißt: »Eigentum verpflichtet.« Wozu? So fragen Ahnungslose gern. Selbstverständlich muß man ergänzen: »... es zu mehren.« Der Adelstitel hilft beim Geldmachen.

Wenn ich ein von Thurn und Taxis oder eine von Hohenzollern bin, werden ganze Talkshows für mich maßgeschneidert. Ein von Henckel und Donnersmarck möchte schon mit dem kompletten Firmennamen angeredet werden, wenn er am Set erscheint, um einen oskar-verdächtigen Spitzenfilm zu drehen. Und sein Bruder darf selbstverständlich per Vertrag längst der Öffentlichkeit überlassene Goethe-Zeichnungen klammheimlich verkaufen und den Batzen Silber einstecken. Da sind wir großzügig. Wir lästern zwar, knirschen auch mit den Zähnen, tragen aber den Verlust.

Und wenn ein »Baron« in die Politik einsteigt, smart auftritt und uns mit netten Redensarten verwöhnt, verhehlen wir nicht, wie beeindruckt wir sind. Wenn die Umfragewerte-Ermittler kommen, können sie unsere Begeisterung abschöpfen. Kleine Fehltritte verzeihen wir ihm allemal. Der Adel sollte auch mal entpflichtet werden. Schließlich lassen wir uns nicht das Einzige nehmen, zu dem wir heute noch aufblicken können.

Danke, Angela Merkel, daß Sie bis zuletzt zu unserem Edelmann zu Guttenberg gehalten haben. Danke, daß Sie unseren Edelmann de Maiziére zum Nachfolger berufen haben. Es ist ja das historische Verdienst des Adels, uns in Kriege geführt zu haben. Und unsere Edelfrau von der Leyen sorgt dafür, daß das Volk nicht übermütig wird. Fünf Euro mehr in diesem Jahr und drei im nächsten – das sind kaum mehr als ein Prozent im Jahr, also weniger als die Inflationsrate. So vergrößert sich der Abstand zwischen den Ständen – und wir dürfen noch etwas höher hinaufschauen. Danke.