Die Provinzmetropole Münster in Westfalen schmückt sich gern mit Titeln wie »Friedensstadt«, »Bildungsstadt« oder gar »Lebenswerteste Stadt der Welt«. Dieses schöne Selbstbildnis darf nicht angekratzt werden, und das Ordnungsamt der Stadt muß dazu beitragen, daß alles Unschöne aus dem Stadtleben verschwindet. Soziales Elend soll auf wenige Stadtrandgebiete beschränkt bleiben, Armut ihr häßliches Gesicht nicht in der Innenstadt zeigen. Und wenn einmal ein Bettler sich bis in die Fußgängerzone vorwagt, wird regulierend eingegriffen. So geschehen mit unwürdigen Methoden in den Adventsmonaten des Vorjahres. Das örtliche Straßenmagazin »draußen!« titelte in seiner Februar-Ausgabe: »Ordnungsamt kassiert Bettler ab« – und das ist so knapp und klar und konkret formuliert, daß wir es auch über diesen Ossietzky-Beitrag schreiben.
Im draußen-Bericht kommt ein aus der Slowakei (seit 2004 EU-Mitgliedsland) Zugewanderter zu Wort, der sich »David« nennt. Seit vier Jahren lebt er mit Frau und Kind in Münster. Auf Sozialhilfe hat er keinen Anspruch. Er muß zusehen, wie er und seine Familie dennoch zurechtkommen können, unter anderem durch den Verkauf des Straßenmagazins und durch Unterstützung einer katholischen Wohnungslosenhilfe. Hin und wieder geht er betteln, denn trotz der ihm gewährten Arbeitserlaubnis hat er bisher keinen Job gefunden. Nach Eröffnung des Weihnachtsmarktes hatte David mit zwei deutschen »Kollegen« einen Platz am Eingang eingenommen und einige Stunden dort gesessen, als zwei Ordnungskräfte kamen, seinen Ausweis verlangten und ihn mitnahmen aufs Amt. Die beiden deutschen Bettler ließen sie in Ruhe. »Im Stadthaus mußte ich alle Taschen entleeren und mich bis aufs T-Shirt ausziehen, Schuhe und Socken, auch die Hose bis zu den Knien runterlassen«, wird David zitiert. Er habe eingewandt, die Beamten hätten ihm doch schon den ganzen Tascheninhalt abgenommen, er habe nichts mehr. Ähnliches habe er noch mehrmals erlebt. Die Leute vom Ordnungsamt, jedesmal andere, hätten ihm alles weggenommen, was er erbettelt hatte: mal 7 und mal auch 45 Euro.
Nach Protesten des Leiters der Wohnungslosenhilfe sah sich der Leiter des Ordnungsamtes genötigt, in der Lokalpresse Stellung zu beziehen. Die Westfälischen Nachrichten zitieren ihn mit fett gedruckter Überschrift:
»Bettlervorwürfe sind erstunken und erlogen«. Doch was er dann als »Richtigstellung« der Zeitung mitzuteilen hat, ist keine Widerlegung, eher eine Bestätigung: Bettler, die mit aufs Rathaus genommen werden, müßten höchsten ihre Taschen leeren, »ausziehen muß sich bei uns niemand«. Außerdem habe man dem Mann gerade mal 2,20 Euro abgenommen. Ohnehin schreite die Stadt nur ein, wenn sich Bettler aggressiv verhielten, zum Beispiel in »menschenunwürdiger Betpose«. Das eingesammelte Geld werde als »Ausländersicherheit« (von Ausländern zu leistende Sicherheit in Zivilprozessen; O. M.) einbehalten und fließe dann in die Stadtkasse.
Der Mann für die richtige Ordnung in der Stadt ist stolz auf das Konfiszieren von Kleingeld, das mitfühlende BürgerInnen an Bettler gespendet haben. Diese Vorgehensweise habe sich »bewährt«. Aggressive Bettler, die in der Regel aus einem einzigen Dorf in der Slowakei stammen, gebe es in Münster – im Gegensatz zu anderen Städten – seit einigen Jahren kaum noch.
Es geht also gar nicht um die 2,20 Euro für eine fragwürdige »Ausländersicherheit«, es geht um Abschreckung und Vertreibung von Bettlern, vor allem, wenn es sich dem Aussehen nach um Roma aus der Slowakei handelt. Vor solchen ausgrenzenden, verarmenden und entwürdigenden Praktiken wird, wenn sie sich durchsetzen, auf Dauer auch kein deutscher Paß schützen. Und warum sollte eine »Betpose« in der Öffentlichkeit »aggressiv« sein? Darf ein Beter mit seinen Bitten und dem Betteln an den Gott der Christen nur im Dom zu Münster auf die Knie gehen und nicht mehr auf dem Christ-Markt? Behaupten die Kirchen – gerade auch in der Weihnachtszeit – nicht immer wieder, daß Gott Mensch geworden ist? In der Bibel sagt Jesus Christus: »Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.« (Matthäus 25, 40) Offenbar will das Ordnungsamt der Stadt Münster dafür sorgen, daß die Weihnachtsmärkte auch in Zukunft eine gottlose Veranstaltung bleiben.