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Falsifikate von eigener Hand  (Monika Köhler)

Wer fälscht, darf keine Fehler machen. Nein, vom ersten wirklichen Verteidigungs-Minister ist nicht die Rede. Drei Wochen bevor der mit seiner Abwehrschlacht beginnen mußte, eröffnete das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung »Götter, Götzen und Idole«. Sie präsentiert kleine Skulpturen, »Idole« aus dem gesamten Mittelmeerraum bis Mesopotamien, Syrien, Anatolien (Troja), Ägypten, Jemen und Luristan (Westiran). Besonderes Augenmerk liegt auf den Kykladen-Idolen, die noch 1857 als »kleine Scheusale aus Marmorsplittern« abgewertet wurden. Nicht nur Picasso begeisterte sich später an ihrer Schlichtheit und abstrakte Form. Und sie sind echt. Die Idole umfassen die Zeit von 5000 v.Chr. bis 300 n.Chr. – abgesehen von der kleinen Gruppe der falschen Idole, die Ende des 18. Jahrhunderts in Mecklenburg hergestellt wurden. Die Ausstellung war schon Ende letzten Jahres im Winckelmann-Museum in Stendal zu sehen.

Johann Joachim Winckelmann hatte einst den Anstoß gegeben, sich mit der Kunst des Altertums zu beschäftigen. Aber die Deutschen – hatten die nichts vorzuweisen, keine vorchristlichen Idole oder Götter? Martin Luther nannte alle nichtchristlichen Bildwerke »Götzen« und verdammte sie. In Elias Schedes deutscher Mythologie, die 1728 ein zweites Mal aufgelegt wurde, kamen germanische Götter kaum vor. Da blieben nur slawische Götzen oder sogar Dämonen. Radegast, Rugiaevit, Svantevit.

Und Ausgrabungen? In deutscher Erde muß doch was zu finden sein.

Die Brüder Sponholz aus Prillwitz in Mecklenburg, Goldschmiede und Hobbyforscher, sie gruben. Rethra, das Hauptheiligtum der Lutizen (ein slawischer Stamm) sollte im östlichen Mecklenburg liegen. Keiner wußte wo. Die Brüder Jacob (geb. 1734) und Gideon (geb. 1745) Sponholz hatten eine Idee. Sie nahmen einen kleinen mittelalterlichen Löwen aus Bronze und versahen ihn mit einer Runeninschrift, die ihm den Namen »Zernebocq« zuordnete. Der »Fund« wurde einem interessierten Arzt aus Neubrandenburg gezeigt anläßlich seines Hausbesuchs. Der kleine Bronzelöwe, ein angebliches Erbstück, im Garten des Pfarrers (eines Vorfahren) beim Setzen eines Baumes gefunden, so etwa zwischen 1687 und 1697, behaupteten sie. Der Arzt, Doktor Hempel, kaufte das Stück und noch viele mehr. Die cleveren Brüder hatten sie alle selbst hergestellt, immer mit entsprechender Runeninschrift bezeichnet. Auch ein Freund des Arztes, der Historiker Johann Gottlieb Pistorius, kaufte 35 »Götter Rethras«. Der Hofmaler Daniel Woge und der Hofprediger und Superintendent Andreas Gottlieb Masch erhielten den Auftrag, die Prillwitzer Idole zu publizieren. Masch kaufte zu diesem Zweck die Sammlung von nun 68 Teilen. Das Werk: »Die gottesdienstlichen Alterthümer der Obotriten aus dem Tempel zu Rethra am Tollenzer-See« erschien 1771 (ausgestellt in Hamburg). Der Band war der englischen Königin gewidmet und hatte bedeutende Subskribenten. Masch schrieb dort: »Wir haben nun eine Sammlung von gottesdienstlichen Alterthümern, die wir mit Recht die einzige in ihrer Art nennen können.« Er teilt die Götter in Tempelgötter, Untergötter und Halbgötter ein.

Damit die Funde auf dem heimatlichen Grundstück noch glaubwürdiger wurden, hatte Gideon Sponholz dort eine Grabung inszeniert und Honoratioren geladen. Gemischt mit – vielleicht echten – historischen Objekten (Münzen und ähnlichem) wurden die schon mit grüner Patina versehenen kupferhaltigen Bronzen ausgegraben: der Beweis. Ein Geheimtipp, der Besucher dort hinzog. Andere Publikationen erschienen. Erst 1834 erkannte Konrad Levezow die Fälschungen als Werke des 18. Jahrhunderts. Er mußte nicht googeln. Die Brüder hatten ein germanisches Runenalphabet (das damals gerade in einem Buch veröffentlicht worden war) für ein slawisches Heiligtum, Rethra, benutzt. Und der kleine Bronzelöwe stammte aus dem Mittelalter, war nur nachgearbeitet worden – die Brüder waren schließlich Goldschmiede. Für die übrigen Idole hatten Kupferstiche als Vorlage gedient. Aber das Prillwitzer Idol »Radegast« trug auf dem Kopf ein Huhn, keinen Adler. Die Modelle liefen im Hof herum. Andere Fälschungen – vogelköpfige und hundsköpfige Gottheiten – erinnern an ägyptische Vorbilder. Von irgendwoher mußten sie sich bedienen, die Brüder.

Echte Idole aus deutscher Erde gab es auch. Oft aus dem Moor geborgen oder aus der Gegend um den Tollensesee bei Neubrandenburg – aber die sehen anders aus. Sehr viel archaischer, roher. Es sind Pfahl- oder Astgabel-Idole, aus Holz, wenig bearbeitet. In Hamburg sind auch Figürchen aus Keramik zu sehen wie die »Venus von Zauschwitz« (ca. 4500 v. Chr.) – weiblich, wie die meisten Idole. Das »Doppelköpfige Holz-Idol« von der Fischerinsel im Tollensesee ist 1,80 Meter groß, aus Eichenholz und männlich, datiert auf das 12. Jahrhundert. Es ähnelt afrikanischen Skulpturen. Erst 1969 wurde es gefunden. Rethra jedoch, das zentrale Heiligtum des Lutizenbundes, blieb bis heute unentdeckt.

Die Ausstellung ist noch bis zum 30. April geöffnet. Der Katalog, 188 Seiten, ist in der Ausstellung für 24 Euro erhältlich.