Was erwarte ich von einem, der Bundespräsident werden will? Was würde ich gern von ihm erwarten? Respekt vor der Verfassung. Besonders vor ihrem Demokratiegebot, ihrem Rechtsstaatsgebot und ihrem Sozialstaatsgebot.
Wie es Joachim Gauck damit hält, den der Springer-Konzern schon 2010 als Nachfolger von Horst Köhler wünschte, ist spätestens seit 1998 ein offenes Geheimnis. Damals erschien im Eichborn-Verlag »Das Gauck-Lesebuch« mit dem Untertitel »Eine Behörde abseits der Verfassung?«. Das Fragezeichen erwies sich beim Lesen des Buches als entbehrlich.
Zu den Autoren gehörten Schriftsteller wie Stefan Heym, Daniela Dahn und Barbara Thalheim, Wissenschaftler wie Wolfgang Wippermann und Jochen Zimmer, Sozialdemokraten wie Friedhelm Julius Beucher und Horst Winterstein, Demokratische Sozialisten wie Gregor Gysi und Lothar Bisky. Der letzte Innenminister der DDR, Peter Michael Diestel (CDU), beteiligte sich mit dem Aufsatz »McCarthy läßt brüderlich grüßen – oder: Die Gauck-Behörde als Fortsetzung der Stasi mit anderen Mitteln«. Auch ich leistete einen kleinen Beitrag.
Man erfährt aus diesem Buch, wie Informationen, Behauptungen, Verdächtigungen aus der Gauck-Behörde der Springer-Presse, aber auch dem Spiegel und anderen Medien dazu dienten, ost- und westdeutsche Linke in Verruf zu bringen. Die Opfer der Gauck-Justiz hatten in der Regel keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Üble Anschuldigungen trafen beispielsweise den Schriftsteller Günter Wallraff, Haßobjekt der Springer-Presse, mit deren Macht und Methoden er sich in mehreren Büchern auseinandergesetzt hatte, und den nach der »Wende« gewählten Rektor der Berliner Humboldt-Universität, den Theologen Heinrich Fink, den daraufhin der Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) absetzte, sowie viele weniger Prominente, die sich solchen Kampagnen hilflos ausgesetzt sahen. Der sächsische Rechtswissenschaftler und -politiker Gerhard Riege und der mecklenburgische Schriftsteller Jürgen Borchert seien stellvertretend für all diejenigen genannt, die sich verzweifelt das Leben nahmen. Verantwortlich für den unverantwortlichen Umgang mit den Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit war Joachim Gauck als Herr über diese Akten seit dem 3. Oktober 1990. Ein Garant der Rechtsstaatlichkeit?
Seit Gauck für die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff nominiert ist, sind – vor allem im Internet – zahlreiche Äußerungen von ihm verbreitet worden, die ihn als fanatischen Anti-Linken ausweisen. Seine Unterstützer bescheinigen ihm »Mut«, so wie er selber dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, der »die Frage aufwarf, wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann«, und dem Prediger des Sozialdarwinismus und des deutschen Herrenmenschentums Thilo Sarrazin ausdrücklich »Mut« bescheinigt hat. Als ob Mut dazu gehörte, die Mächtigsten und Aggressivsten im Lande mit ihnen nützlicher Ideologie und Propaganda zu bedienen, die Opfer des Sozialabbaus zu verhöhnen und über diejenigen herzuziehen (»kindisch«, »lächerlich«), die demokratischen Widerstand gegen undemokratische Kapitalmacht üben.
Daß Gauck in DDR-Zeiten politischen Mut bewiesen habe, wird von anderen, die sich damals wirklich engagierten, glatt bestritten. Ex-Minister Diestel sagte dieser Tage, die Gauck-Behörde habe »zahlreiche Leute verfolgt, die ähnliche Kontakte zur Staatssicherheit hatten wie Gauck selbst«. Ein wesentlicher Unterschied: Gauck konnte sich stundenlang unbeobachtet mit seiner eigenen Stasiakte beschäftigen.
Friedrich Schorlemmer: »Ich würde gern wissen, was die Grünen an ihm grün finden und die Sozialdemokraten an ihm sozialdemokratisch.« Die CDU habe, bevor sie sich von der FDP auf Gauck festlegen ließ, »mehrere Kandidaten vorgeschlagen, die links von Gauck stehen.« Ja, der »Konsens-Kandidat«, als der er sich rühmen läßt, steht rechts, weit rechts. Zum Nachdenken darüber, wie gefährlich weit rechts er steht, regten dieser Tage Gerhard Zwerenz und Jutta Ditfurth an. Zwerenz wies darauf hin, daß Gaucks Mutter »alte Kämpferin« seit 1932 war und sein Vater seit 1934 der NSDAP angehörte. »Laut eigener Aussage ist er ›mit einem gut begründeten Antikommunismus aufgewachsen‹ – so ehrt er als braver Christ Mutter und Vater in Ewigkeit. Amen!« Jutta Ditfurth fragte: »Hat jemand je eine scharfe und überzeugende Kritik an Nazis von ihm gehört?«
Der brave Sohn: »Wenn heute wir Deutsche auch als Opfer erscheinen in diesem geplanten Zentrum gegen Vertreibung ... oder auch in den Publikationen über die Bombenkriegsopfer, dann sehe ich das eher positiv.« Und so paßt es auch, wenn sich Gauck distanziert über Brandts Ostpolitik und die Oder-Neiße-Grenze äußert. Daniela Dahn: »Auf den Antrittsbesuch eines Bundespräsidenten Gauck beim polnischen Nachbarn dürfte man gespannt sein.«
In einem Interview der Frankfurter Rundschau machte er sich vor Jahren schon die böse Parole »Mythos Antifaschismus« zu eigen, versicherte dann aber rasch, er brauche keinen Nachhilfeunterricht, um erst zum Antifaschisten gemacht zu werden. Er sei Antifaschist, denn: Er sei Deutscher und habe Abitur – eine Beweisführung, die Heinrich Fink (damals Vorsitzender des ostdeutschen Bundes der Antifaschisten, jetzt Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten) und andere Opfer der Gauck-Justiz ungemein beeindrucken mußte: Joseph Goebbels beispielsweise hatte nicht nur Abitur, sondern war sogar promoviert – welch ein Antifaschist!