Die Wiederkehr des us-amerikanischen Dramas ist zu bestaunen. Zuletzt im Berliner Ensemble (BE) Tenessee Williams mit »Endstation Sehnsucht«, hier in der Übersetzung von Helmut Harald Fischer, inszeniert von Thomas Langhoff und Andreas Schmidt-Futterer, Dramaturgie Hermann Beil. Was mag das BE bewogen haben, sich dieses vielgespielten Stücks anzunehmen, zumal es erst vor wenigen Jahren in der Schaubühne vom Australier Benedict Andrews mit Jule Böwe inszeniert worden ist? Rassenthematik, in den Südstaaten lange ein Thema – und hierzulande eben auch immer noch und wieder? Familienzerrüttung, Lebenslüge, allgemeine Krise? Das Schauspiel hat von allem etwas, ein Krisenstück ist es allemal, und es hat gute Rollen. Das BE hat gute Schauspieler, für die Blanche nun Dagmar Manzel und für Stanley Robert Gallinowski, die ihre Möglichkeiten haben und nutzen, ihre Fähigkeiten zeigen. Außerdem kann man Anika Mauer (Stella), Veit Schubert (Mitch), Axel Werner (Steve) und immer mal wieder die außergewöhnliche Ursula Höpfner-Tabori (Eunice) sehen, die weiß, was sozialer Gestus ist. Lucas Prisor gleich in vier Rollen: Da man laut Stanislawski nicht von kleinen und großen Rollen sprechen soll, sondern von kleinen und großen Schauspielern, sieht man hier, wie einer am Suchen und Aufbauen ist – alle Figuren recht verschieden. Der Erfolg bei bürgerlichem Publikum ist gewiß, aber es blieb Normalkost.
Von anderem Gewicht ein zweiter Langhoff: Anton Tschechow »Der Kirschgarten«. Zum einen das bessere Stück, außerdem lag ihm das mehr. Und er ging richtig heran: Das Stück ist eine Komödie (so steht es im Untertitel, und so wollte der Autor seine Stücke auch gespielt sehen). Es ist ein Endspiel. Die aristokratische Epoche geht zu Ende, der Fall der Kirschbäume ist die Metapher. Kein Zufall, daß Langhoff die von Thomas Brasch übertragene und bearbeitete Fassung zugrunde legte. Sie ist spielbar und verstärkt die Richtung, sprachlich viel feiner ziseliert ist freilich die von Gudrun Düwel. Die Besetzung war ausreichend bis gut und zwei Spitzen dazu – 16 Mimen können nicht genannt werden. Aber einige doch: Martin Seifert als humaner Gajew, Robert Gallinowski als bourgeoiser Gegenspieler Lopachin und Axel Werner als Gutsbesitzer Simjonow-Pischtschik sind von ihrer Pointierung und ihrem Ensemblespiel zu würdigen. Das ist gute alte Schule, manches aus den benachbarten Häusern gut zusammengeflossen. Auch Jepichodow von Thomas Wittmann und Trofimow von Christian Hockenbrinck sind hier zu nennen; aber hat der junge Hockenbrinck die Substanz, den kommenden Revolutionär zu zeigen? Oder wird’s nur ein Brausekopf? Seltsam unbeteiligt empfand ich Cornelia Froboess als Ranjewskaja. Sie als Hauptperson fiel kaum auf, und dabei ist das eine große Rolle, von bedeutenden Aktricen mit viel Erfahrung bereichert. Es ging nicht viel aus von dieser Ranjewskaja. Umso mehr von Carmen-Maja Antoni als Gouvernante Charlotta Iwanowna, eine Endzeitfigur von Güte. Und sie hatte einen Partner in der Person des 79jährigen Jürgen Holtz als 87jähriger Firs, der am Ende das letzte Wort hat, das Wort des Todes, und den lebendigsten Applaus erhielt – mit Recht in dieser guten Aufführung. War die Aufführung auch keine Sternstunde, gab es doch eine Szene der Sternminuten: Antoni und Holtz als Charlotta und Firs zum Ende des 2. Aktes, keine zwei Seiten im Text, aber vielleicht fünf Minuten lang – zwei erfahrene Schauspieler in einer großen Szene eines großen Stückes – ach, wenn das doch eine Sternstunde gewesen wäre! Diese Bühne hat schon viele Sternstunden gesehen – diese Sternminuten waren ihrer würdig – Welttheater!