Am 24./25. Februar ist »election day« in Italien: Da gibt es nicht nur die Illusion, sondern auch die Qual der Wahl zwischen vielen bunten Listen bei zusammen- und vorgezogenen nationalen und regionalen Parlamentswahlen. Standen sich beim letzten Mal, 2008, als Silvio Berlusconis »Freiheitsvolk« (PdL) hauchdünn über die Demokratische Partei (PD) Walter Veltronis gesiegt hatte, noch zwei politische Lager schroff gegenüber, so erscheint das Szenario jetzt differenzierter. Nicht nur hat die PdL während des nationalen Schulterschlusses mit den Demokraten Teile an die Mitte und an die neofaschistische Rechte verloren, auch die PD hat sich im November in »Primärwahlen« zum Teil personell neu positioniert.
Auferstanden aus den Splittern jener »classe politica«, die seit Herbst 2011 auch von der Technokraten-Regierung Mario Montis zu parlamentarischen Ja-Sagern degradiert worden war, versuchen nun viele Ad-hoc-Formationen neue Vertreter der »Zivilgesellschaft« – aus Industrie, Medien und Justiz – einzubeziehen und so das verlorene Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen.
Das ist nicht leicht, zumal die Technokraten Mario Montis den obsoleten Wahlmodus nicht reformiert haben, entgegen nachdrücklicher Empfehlung des Verfassungsgerichtes. So bleibt es bei der sogenannten Schweinerei des bisherigen »porcellum«-Gesetzes, bei dem ein verfassungswidriger Mehrheitsbonus das Land regierbar macht, indem er der jeweils stärksten Partei oder Koalition 55 Prozent der Parlamentssitze garantiert. Die dort Platz nehmenden »Volksvertreter« werden aber nicht etwa vom Wähler bestimmt, sondern von den Parteispitzen; Voraus-Zahlungen der Kandidaten auf künftige Pfründe sind nicht unüblich.
Was eigentlich zur Wahl steht, läßt sich schwer ausmachen. Sachdiskussionen verstummten während des vergangenen Jahres fast völlig unter dem Damoklesschwert des allseits beschworenen und gefürchteten »spread« (s. Ossietzky 8/12, 25/12).
Auch im kurzen, aber gnadenlosen Lowcost-TV-Wahlkampf seit Januar finden Sachthemen keinen Raum, denn der wird – noch einmal! – von Berlusconis Vorgaben dominiert. Im Dezember 2012, gerade als die umstrittene neue Immobi-liensteuer IMU eingefahren wurde, tauchte er wie Phönix aus der Asche auf und entzog der Regierung Monti sein Placet mit der Ankündigung, per sofort die IMU für die meisten wieder abschaffen zu wollen. (Eben damit hatte er schon 2008 – die Steuer hieß damals ICI – letzte, für seinen knappen Wahlsieg entscheidende Stimmen errungen.) Ja, inzwischen will er die bereits gezahlte IMU sogar in bar an die geschröpften Wähler zurückgeben! Eine Welle der Entrüstung ging vor allem durch das europäische Establishment, das eigentlich wissen musste, daß Berlusconi nie wirklich abgetreten war.
Dabei kandidiert Berlusconi gar nicht für das Amt des Ministerpräsidenten, das soll – gegebenenfalls – sein Parteichef Angelino Alfano übernehmen; nein, er selbst empfiehlt sich nun als künftiger Finanzminister, zum Schrecken nicht nur Europas. Der 76jährige Entertainer inszeniert, schamlos wie eh und je, spektakuläre Auftritte, die auf den »Bauch« des Volkes zielen – wie man auf italienisch sagt. Binnen weniger Wochen soll er die Zustimmung zur PdL, die im letzten Jahr auf 14 Prozent gesunken war, angeblich auf 20 Prozent bei der letzten Umfrage vom 7. Februar erhöht haben. Das macht ihm nicht einmal der Komiker Beppe Grillo nach, Guru der »Fünf-Sterne-Bewegung«, der mit seiner Totalablehnung aller etablierten Politik und Politiker (»Via, via, alle ab in den Knast!«) bei den jüngsten Regionalwahlen in Sizilien immerhin die meisten Stimmen erhielt. Und zwar ohne Fernsehauftritte; Grillos Bewegung nährt sich ausschließlich übers Internet und über Massenspektakel auf großen Plätzen und kommt national auf gut 16 Prozent. Doch bei der Umfrage-Demokratie ist große Vorsicht geboten!
Berlusconi nutzt die Gunst der Stunde vor den anstehenden Urteilsverkündungen seiner noch laufenden Prozesse sowie die Wintererschöpfung der zutiefst verunsicherten Bevölkerung, um sich von dem bis dahin mitgetragenen sozialen Kahlschlag zu distanzieren, Montis Steuererhöhungen zu verteufeln und den Volkszorn gegen »Europa« und Signora Merkel zu lenken, unter deren Diktat Monti stehe. Letzterer rühmt sich und wird noch immer dafür gerühmt, das Land vor dem finanziellen Absturz gerettet zu haben, obwohl die Folgen seiner Politik sich als verheerend für die Realwirtschaft und den Zusammenhalt der italienischen Gesellschaft erwiesen haben: Alle relevanten Indikatoren deuten auf eine tiefe Rezession, deren Ende nicht abzusehen ist.
Doch über Auswege daraus, über eine Kehrtwende in Europa, auf dem Arbeitsmarkt, über dringend notwendige Restrukturierungen von Finanzen, Justiz, Bildungswesen, Kultur, Umwelt, Landwirtschaft, Energie wird öffentlich nicht diskutiert.
Allein die neue Koalition der »Rivoluzione Civile«, angeführt von dem Anti-Mafia-Richter Antonio Ingroia, vertritt ein dezidiert anti-neoliberales Programm mit starker Betonung des Kampfes gegen Illegalität und Korruption. In diesem Ad-hoc-Bündnis finden sich neben den ehemaligen Staatsanwälten Di Pietro (IdV) und De Magistris, heute linker Bürgermeister von Neapel, auch die Restkommunisten der »Rifondazione« neben den Grünen und diversen Bürgerbewegungen. Sie wollen die vielen linken Nichtwähler zurückgewinnen, um im Parlament überhaupt wieder eine Gegenstimme zu installieren, kommen aber voraussichtlich nur knapp über die Vier-Prozent-Hürde.
Mit 30 Prozent liegen die Demokraten Pierluigi Bersanis (PD) noch immer an der Spitze der Wählergunst – und das schon seit Sommer 2011, als Staatspräsident Giorgio Napolitano es vorzog, Berlusconi durch Monti zu ersetzen, statt Neuwahlen zu riskieren.
Und obwohl ihr Spitzenkandidat nichts ausläßt, um seine Treue zu Europa und Montis Politik zu bekunden (die er nur »erweitern« möchte), traut man ihm – dem einstigen Kommunisten – in Europa nicht wirklich, denn immerhin wird sein Programm gestützt von Nichi Vendola, dem erfolgreichen Chef der Region Apulien und Parteichef der linken SEL, der immer noch hofft, die PD von links zu stärken, obwohl sein Stimmenanteil nur bei knapp vier Prozent liegt.
Seit Beginn der Monti-Regierung hörte man – im Hinblick auf das absehbare Ende der Legislaturperiode – aus »Europa« immer wieder, daß Monti am besten weiterregieren solle, denn nur er habe das Land vor dem finanziellen Absturz retten und ihm internationales Ansehen zurückgeben können. In dieses Horn bläst auch die deutsche Presse (unter anderen Thomas Schmid, Die Welt, 16.12.2012, Europa-Komissar Olli Rehn, Handelsblatt, 11.1.2013), und weder Barack Obama noch Angela Merkel hielten sich zurück.
Erst Weihnachten erklärte der von den internationalen Märkten und dem Establishment heiliggesprochene Monti sich schließlich bereit, in die politische Arena herabzusteigen und eine eigene »Lista Monti« anzuführen, gestützt von der Zentrums-Union (UdC), dem Industriellenverband und der Zustimmung des Vatikans. Monti weiß, daß er allein keine Mehrheit bekommt (derzeit liegt er bei 11,5 Prozent), aber er kandidiert, auch um zu verhindern, daß die Mitte-Links-Koalition (PD/SEL) die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments erhält. Ein Sieg im Senat, der 2. Kammer, ist aufgrund des »porcellum« höchst schwierig, weil die Stimmverteilung dort regionalen Kriterien folgt und vor allem das Wahlergebnis in Sizilien und in der Lombardei entscheidend sein wird; Letztere wird damit zum Ohio Italiens. Die letzte Prodi-Koalition scheiterte bereits an ihrer hauchdünnen Mehrheit im Senat, und Bersani liebäugelt folglich – trotz allen Schlagabtausches – bereits mit Monti ... Man darf voraussehen, daß es nach dem Wahlgang – wenn nicht zu einer unregierbaren Aufsplitterung der Stimmen – zu einer Regierungsabsprache zwischen beiden kommen wird, aber ob und wie lange die hält, ist offen. »Große Koalitionen« haben in Italien bisher nicht funktioniert.