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Titel052013

Vater aller Völker  (Walter Kaufmann)

Seit der Kinderlähmung, die ihn im zwanzigsten Lebensjahr heimsuchte, war Maurice Carter ans Bett gefesselt. Wo er lag, war ihm die Sicht auf die grünen Hügel der Dandenongs genommen. Das vom Wind bewegte Blattwerk der Eukalyptusbäume nahm er nur als unruhige Schatten an der Zimmerdecke wahr. Im großen Spiegel aber, der schräg über seinem Kopf befestigt war, konnte er die Leinwand sehen, auf die er, Pinsel in die linke Faust gepreßt, mit rücklings ausgestrecktem Arm zu malen gelernt hatte.

Es war ein langer Weg zur Kunst gewesen, und ein noch längerer zur Anerkennung, die er der Hafenarbeiter-Gewerkschaft verdankte, zu der er einst gehört hatte und die weiterhin seine Bilder in ihren Räumlichkeiten zeigte. Seiner Frau, einer Krankenschwester, war zu danken, daß er nach dem Schicksalsschlag das Malen nicht aufgegeben hatte. Sie war es, die ihm beibrachte, im Liegen und mit Hilfe des Spiegels den Pinsel zu führen. Fortan hatte er sich allen körperlich Behinderten verpflichtet gefühlt, auch allen Entrechteten. Er hatte lange an dem Bild einer Aborigine-Frau gearbeitet, Mutter eines Neugeborenen, die wie alle ihres Stammes wegen der Atombombenversuche – das war früh im dreiundfünfziger Jahr gewesen – aus der südaustralischen Wüste von Maralinga vertrieben worden war.

Als ich an diesem Nachmittag Maurice Carters Atelier betrat, war er dabei, einem zum Wüsteneinsatz abkommandierten Soldaten festere Konturen zu geben – es war Filigranarbeit, die Peitsche in der Faust des Mannes deutlich sichtbar zu machen. Als er den Pinsel sinken ließ, sagte ich: »Eines deiner stärksten Bilder.« Noch löste er den Blick nicht von dem, was ihm der Spiegel zeigte. Dann aber gab er sich zufrieden. »Getan!« sagte er und ließ den Pinsel in die Büchse mit der Lösung gleiten. »Und doch zu spät!«

Wie er das meine, fragte ich. Mühevoll wendete er den Kopf und sah mich an. »Das Bild war als ein Geschenk für Stalin gedacht. Nun ist er tot!«

Die Sonne war im Schwinden, das Bild verlor an Leuchtkraft, die Frau wirkte dunkler jetzt, der Boden unter ihren Füßen nicht länger so rot, der Soldat mit der Peitsche weniger bedrohlich.

Ich sagte: »Stell es trotzdem in Moskau aus.« Er wandte den Blick von mir ab. »Der Vater aller Völker«, sagte er, »gerade er hätte die Zusammenhänge erkannt. Nun erreicht ihn das Bild nicht mehr. Das schmerzt.«

Ich schwieg. Daß ich nur aus Freundschaft zu ihm schwieg, ahnte er nicht.