»Internationale Verantwortung« hat Hochkonjunktur. Oder auch »globales Engagement« und »moralische Verpflichtung« Deutschlands in der Welt. Jedenfalls ist die Verantwortung immer militärisch. Gauck, Steinmeier, von der Leyen, die gesamte politische Elite – und sie kennt hier keine Parteien mehr – verbreitet den nationalen Appell. Wer sich dann noch der Verantwortung entzieht, ist ein Drückeberger und schließt sich selbst aus der Gemeinschaft der Anständigen aus.
Die rasante Karriere des Begriffs ist bemerkenswert. Immerhin ist es noch nicht mal vier Jahre her, daß der damalige Bundespräsident Horst Köhler zurücktreten mußte, weil er öffentlich gesagt hatte, was die Politik damals der Bevölkerung unbedingt verheimlichen wollte: Daß aus Politikersicht nämlich weltweite militärische Einsätze für die Sicherung und Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen notwendig sind. Offensichtlich haben sich die Zeiten kraß verändert. In aller Klarheit und mit großer Selbstverständlichkeit wird inzwischen verkündet, daß Deutschland als ressourcenarmes, exportorientiertes Land in aller Welt Rohstoffe, Märkte und Transportwege sichern und seiner ambitionierten Weltmachtrolle gerecht werden müsse.
Vorbereitet wurde diese expansive Stärke und die damit verbundene Militarisierung der Außenpolitik bereits von der Schröder-Fischer-Regierung, als Deutschland der neuen NATO-Doktrin samt weltweiter militärischer Präventiveinsätze auch für Wirtschaftsinteressen selbstverständlich zustimmte. Seitdem haben alle Bundesregierungen in Verbindung mit Wirtschaft und Bundeswehr darauf hingearbeitet, die militärische Zurückhaltung abzulegen, um der neuen weltpolitischen Bedeutung Nachdruck verleihen zu können. Mit der Stärke wächst auch die Begehrlichkeit und umgekehrt: »Nationale Interessen wahren – internationale Verantwortung übernehmen«, heißt es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011.
Dumm nur, daß das Grundgesetz und eine starke Mehrheit der Bevölkerung dieser robust militärisch gestützten Großmachtrolle entgegenstehen. Es reicht jetzt nicht mehr, in bezug auf die Militäreinsätze den Begriff Krieg um jeden Preis zu vermeiden und stattdessen von der Sicherung der Rechte der Frauen oder dem Schutz vor Piraten zu reden. Die wirtschaftlichen und strategischen Interessen erfordern ein offensives Vorgehen der Elite. Selbstverständlich redet sie nicht von Wirtschaftsraumerweiterung im Osten oder einem Platz an der Sonne in Afrika. Vielmehr ist die Taktik ein Lehrstück der Manipulation. Das Problem, das einer Lösung harrte, war: Wie setzt man in einer Demokratie Ziele gegen den Willen der Bevölkerung durch, zumal diese Ziele auch noch die Verfassung verletzen?
Um das Volk zu beschwichtigen, muß eine Marketing-Strategie entwickelt werden. Die Kernsätze der Strategen sind: Finde für deine Ziele positive Slogans! Wiederhole die volkstümlichen Slogans immer wieder – sie haben einen Klebe-Effekt im Gemüt! Verheimliche deine wahren Absichten und klammere mögliche Nachteile aus! Beschäftige die Aufmerksamkeit der Masse mit Nebensächlichkeiten und nutze auch Pannen für deine Zwecke! (Gelungene Beispiele: Statt über Sinn und Zweck einer Berufsarmee wurde über die Abschaffung des Ersatzdienstes diskutiert. Und mit der berechtigten Kritik über die Kosten für nicht verwendbare Drohnen wurde ihre Notwendigkeit gar nicht mehr thematisiert.) Und ganz wichtig: Ziele nicht auf den Kopf, sondern auf das Gefühl! Bediene dich dabei scheinbar neutraler Kompetenz in Medien und Wissenschaft – aber das ist ohnehin selbstverständlich.
Genau das erleben wir derzeit. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 waren die Ziele – nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt – klar formuliert. Stichworte daraus: »freie Handelswege, gesicherte Rohstoffversorgung, Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten weltweit, Energiesicherheit«. Und die Schlußfolgerung: »Deutschland ist bereit, […] als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens das gesamte Spektrum einzusetzen [...], auch [...] Streitkräfte.«
Schnelles Handeln über große Distanzen ist aber – darauf weist das Verteidigungsministerium ebenfalls hin – noch aus anderen Gründen erforderlich: »Die Ausbreitung von Wüsten, Wasser- und Bodenverknappung, […] erhebliche Wohlstandsunterschiede, verbunden mit sozialen Disparitäten führen zu weltweiten Migrationsströmen.« Die Konsequenz aus diesen Problemen ist nicht die kritische Analyse der Ursachen der Katastrophen für Mensch und Umwelt und der Einsatz für den Abbau der »erheblichen Wohlstandsunterschiede«, sondern kriegerische Einsätze zur Eindämmung der Revolten und der Flüchtlingsströme. Die Feinde – Verelendete und Flüchtlinge – müssen kontrolliert und niedergehalten werden.
Seit gut zwanzig Jahren wird die Militarisierung der Außenpolitik zielstrebig und kontinuierlich betrieben. Derzeit wird die Rolle Deutschlands im Vorfeld des Ersten Weltkrieges kontrovers diskutiert; wie wird wohl in hundert Jahren der Einsatz der Politik und ihrer Hauptakteure für Deutschlands globale Machtambitionen und die folgende weltpolitische Entwicklung beurteilt werden? Als Verteidigungsminister hatte übrigens auch Thomas de Maizière die militärische und geistige Aufrüstung vorangetrieben (»Soldaten sind Teil der Außenpolitik«), indem er der grundgesetzlich gebotenen Sozialbindung des Eigentums eine ganz neue Bedeutung gab: »Weil wir ein reiches Land sind, tragen wir auch große Verantwortung. […] Aus Wohlstand wächst internationale Verantwortung.« Deshalb muß der Wohlstand durch Militäreinsätze gesichert und gemehrt werden.
Deutschland hat in Europa zielstrebig, effektiv und sehr robust eine wirtschaftliche und politische Vormachtstellung erobert. Es ist gewillt, »im Spiel der globalen Mächte voranzukommen« (von der Leyen), eine gewichtige Rolle als neokoloniale Macht zu gewinnen. Die Elite aus Wirtschaft, Politik und Militär ist zusammen mit den verbündeten Medien dabei, der Bevölkerung den »nationalen Selbstbehauptungswillen« überzustülpen.