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Titel514

Brief aus Havanna (11)  (Volker Hermsdorf)

Nach mehrmonatigem Aufenthalt in Deutschland bin ich im Februar 2014 wieder auf dem Weg nach Havanna, voller Erwartung und Freude, für einige Monate erneut in die dortige Welt eintauchen zu können. Die Ereignisse in »meiner« alten Welt zeugen davon, daß die Krise des kapitalistischen Systems sich zuspitzt: Zwar mußte der Krieg des Westens gegen Syrien vorerst zurückgestellt werden, doch die Bedrohung bleibt. Und die Lügen, um die spätere Umsetzung der Pläne zum Sturz der Regierung jederzeit rechtfertigen zu können. Ein so gutes Geschäft wie Intervention und Krieg läßt man sich nicht entgehen, da bleibt man am Ball, auch wenn er zeitweilig etwas flacher gehalten werden muß. Außerdem haben die unermüdlichen »Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte« ihre Aufmerksamkeit nach Jahren wieder einem bereits früher anvisierten alten und neuen Eroberungsrevier gewidmet. Nach der inhaftierten Multimillionärin Julia Timoschenko probt in der Ukraine jetzt ein anderer Millionär, der Boxer Vitali Klitschko, gemeinsam mit bekennenden Faschisten den prowestlichen Aufstand. US-Kriegsschiffe waren schon früh mit Kurs auf die Ukrainische Küste in Marsch gesetzt worden. Und Angela Merkels neuer SPD-Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, erweist sich der Nachfolge seines unbedarften neoliberalen Vorgängers Guido Westerwelle als würdig, indem er nicht etwa den Faschisten, sondern der gewählten Regierung des Landes mit Sanktionen droht. Während gut ausgerüstete, vermummte und bewaffnete »Oppositionelle« in Kiew unter dem Jubel des Westens gemeinsam mit alten und neuen Hitler-Anhängern zu putschen versuchen, reichte in meiner Heimatstadt Hamburg Anfang des Jahres ein ungeklärter und möglicherweise sogar erfundener Angriff auf Polizisten im Rotlichtviertel aus, um in St. Pauli ein »Gefahrengebiet« mit über 80.000 Einwohnern auszurufen und über Teile der Stadt den Ausnahmezustand zu verhängen.

In Kuba werde ich erneut in der gleichen und doch auch wieder in einer anderen Welt sein, in der auch andere Prioritäten gesetzt und Ziele wie Frieden oder Solidarität nicht als Träumereien unverbesserlicher »Gutmenschen« belächelt werden, die bestenfalls in Kanzelpredigten und zu Weihnachten akzeptabel sind. Ende Januar waren die 33 Mitglieder der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) auf einem Gipfeltreffen in Havanna dem Vorschlag Kubas gefolgt und hatten ihre Region zu einer »Friedenszone« erklärt, in der »jede Bedrohung, Gewaltanwendung und kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Staaten« geächtet sind. Die Gemeinschaft, der alle Länder des Doppelkontinents mit Ausnahme der USA und Kanadas angehören, war 2011 in Caracas gegründet worden und gilt – im Gegensatz zu der von den USA dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die Kuba 1962 auf Betreiben Washingtons ausgeschlossen hatte – als akzeptierter Repräsentant der Völker Lateinamerikas und der Karibik. Die führende Rolle Kubas in dem neuen Staatenbund wurde unter anderem dadurch demonstriert, daß 29 Mitgliedsländer in Havanna durch ihre Staats- oder Regierungschefs vertreten wurden. Es versteht sich von selbst, daß der Gipfel den hiesigen Mainstreammedien trotzdem allenfalls eine knappe Meldung wert war.

Neben dem politischen erwartet mich in Havanna auch ein kultureller Wertewandel. Für einige Wochen hoffe ich einer von Seifenopern und Klamauk-Talkshows geprägten Unterhaltungsindustrie zu entkommen, der auch eine Literatur zugerechnet wird, deren meistgelesene Vertreter in Deutschland die Autoren Thilo Sarrazin und Dieter Bohlen sind. Auf der am 13. Februar mit einer feierlichen Zeremonie in der historischen Festungsanlage La Cabaña am Hafen der kubanischen Hauptstadt eröffneten 23. Internationalen Buchmesse werden andere Akzente gesetzt. Bis zum 23. Februar wird das wichtigste literarische Ereignis Lateinamerikas und der Karibik zu hunderten Lesungen, Vorträgen, Veranstaltungen und Diskussionsforen in Havanna einladen und danach bis zum 9. März durch die Provinzen des Landes touren. Neben dem lesebegeisterten kubanischen Publikum haben tausende Autoren, Kulturschaffende, Politiker, Wissenschaftler und Besucher aus der ganzen Welt ihren Besuch angekündigt. Ich bin froh, in diesem Jahr wieder dabei sein zu dürfen und freue mich auf neue Bekannte, Eindrücke, Anstöße und Kontroversen; vor allem aber erwarte ich bereichernde Diskussionen in einer Atmosphäre, die sich aus meiner Sicht wohltuend von dem kommerzialisierten Kulturbetrieb, den verlogenen politischen Debatten und der ekelerregenden Doppelmoral in Deutschland und Europa unterscheidet.