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Titel516

Beunruhigende Beruhigung  (Winfried Wolk)

Am 3. Februar beunruhigte mich die Süddeutsche Zeitung mit der Meldung, dass der Friedensnobelpreisträger auf dem Präsidentenstuhl der USA plant, »die Bestände an schweren Waffen, gepanzerten Fahrzeugen und anderen militärischen Ausrüstungsgütern in Mittel- und Ost-Europa aufzustocken, um Russland vor einer neuen Destabilisierung der Region abzuschrecken«. Dafür sollen 3,4 Milliarden Dollar aufgewendet werden, was eine Vervierfachung des bisherigen Etats bedeutet. Sowohl US- als auch NATO-Truppen sollen das Material nutzen. Die ohnehin »robuste Militärpräsenz« der USA in Europa wird deutlich verstärkt und damit auch die Fähigkeit, »anderen NATO-Staaten beizuspringen, falls diese angegriffen werden«. Die USA unterstreichen damit, dass sie »fest an der Seite ihrer Verbündeten stehen, um nicht nur das Gebiet der NATO zu verteidigen, sondern auch die gemeinsamen Grundsätze des internationalen Rechts«. So heißt es in einer Mitteilung aus dem Weißen Haus, die laut SZ am 2. Februar veröffentlicht wurde. Der einstige Yes-we-can-Hoffnungsträger Obama nennt diese Aktion »Initiative zur Beruhigung der Europäer«.

Die Verteidigung »gemeinsamer Grundsätze des internationalen Rechts« außerhalb des eigenen und des NATO-Territoriums gehören zweifelsohne zu den Spezialitäten US-amerikanischer Außenpolitik. Hemmungslos werden die Grundsätze des internationalen Rechts verteidigt, wenn beispielsweise der irakische Machthaber mit nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen droht oder irgendwo auf der Welt Menschen, die von keinem Richter angeklagt oder verurteilt wurden, mit unbemannten Flugkörpern hingemetzelt werden. Diesmal, so informiert uns die Süddeutsche in ihrem Beitrag, »macht die US-Regierung keinen Hehl daraus, dass sie mit dieser massiven Aufstockung Russland abschrecken will: Sie stellt die angestrebte Vervielfachung des Budgets unmittelbar in den Kontext der »russischen Aggression gegen die Ukraine« vor zwei Jahren.


Die russische Aggression in der Ukraine, wie war das doch gleich noch mal? Hatte da nicht vor fast genau einem Jahr US-Präsident Obama im Gespräch mit dem Reporter Fareed Zakaria im Fernsehsender CNN zugegeben, dass der Regimewechsel in der Ukraine durch direkte Einmischung der USA zustande gebracht wurde (Originalzitat: »We had brokered a deal to transition power in Ukraine«)? Und hatte nicht auch Victoria Nuland freimütig von der Fünf-Milliarden-Dollar-Investition gesprochen, mit der die USA seit Anfang der 90er Jahre die »willigen« Kräfte der Ukraine aktivierten, um die politische Umorientierung des Landes zu erreichen? Dass solche eindeutig gegen Russland gerichteten Aktivitäten dort nicht auf freudige Zustimmung stoßen, erscheint mir logisch. Und dass es infolge der jahrhundertelangen festen Verbindungen zwischen Russland und der Ukraine auch in der Ukraine vielerorts massiven Widerstand gegen eine solche von außen aufgenötigte Trennung gibt, ist ebenso einleuchtend. Dennoch werden all diese Protestaktionen in der Ukraine bis hin zur Sezession der Krim, wo sich die Bevölkerung mit übergroßer Mehrheit für den Wiederanschluss an Russland ausgesprochen hat, von der US-amerikanischen Führung als russische Aggression bezeichnet.


Und selbstverständlich finden sich sofort Stimmen aus der gekauften Kiewer Regierung, die mit Vehemenz die US-amerikanische Lesart unterstützen. Wie bestellt beschwört der an die Macht geputschte ukrainische Präsident Poroschenko laut Epoch Times vom 3. Februar die steigende »Gefahr eines offenen Krieges« zwischen der Ukraine und Russland. In einem Interview mit Bild am gleichen Tag behauptet er, Russland hätte nicht einen einzigen Punkt des Minsker Abkommens umgesetzt, stattdessen befänden sich 8000 russische Soldaten nebst Kommandeuren in der Ukraine. Er fordert deshalb mehr Waffen für die Ukraine, auch aus Deutschland, denn »es geht um die europäische Sicherheit«. Damit liegt er deckungsgleich auf der Obama-Linie. Ich weiß nicht, ob Poroschenko zum Beweis für seine Behauptung, russische Soldaten kämpften in der Ukraine, erneut Reisepässe russischer Soldaten vorlegte, wie er das auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 tat (Spiegel online berichtete am 7. Februar 2015 darüber). Vielleicht hat ihn aber auch im Laufe des vergangenen Jahres eine kundige Person über die Tatsache informiert, dass in keiner Armee der Welt Soldaten ihre Reisepässe bei sich tragen.


Aber Russland, mit Putin an der Spitze, ist der Aggressor – muss der Aggressor sein, sonst ginge der Plan Zbigniew Brzezińskis und anderer US-Militärstrategen für die Veränderung der Welt im Interesse der USA nicht auf. Auch wenn der aus Lettland stammende EU-Kommissar für Menschenrechte laut Spiegel online vom 3. November 2015 die Kiewer Regierung auffordert, den Menschen in der Ostukraine trotz der Herausforderungen durch die Gefahrensituation im Land mehr Bewegungsfreiheit zuzugestehen, und die willkürliche Bombardements von zivilen Gebäuden und die Zerstörung von Schulen und Kindergärten anprangert, ist der Schuldige immer Putin, der nach Poroschenkos Aussage nicht einen einzigen Punkt des Minsker Abkommens umgesetzt hat. Kiew allerdings erfüllt das Minsker Abkommen dadurch, dass Ausländer und Staatenlose die ukrainische Armee verstärken dürfen. Durch die »kampffähigen, erfahrenen und motivierten« Soldaten solle die Kampfkraft der Streitkräfte erhöht werden. Und die von Obama angekündigte erhebliche Aufstockung des Waffenarsenals wird die technische Grundlage liefern, um die Aggressivität der Russen im Ansatz zu ersticken und damit auch die Europäer gründlich und sicherlich für alle Zeiten zu beruhigen.