In der US-amerikanischen Politik sind Boxhandschuhe in Mode. Es geht grob zu bei den drei aktuellen Konflikten beziehungsweise Machtkämpfen, deren Ausgang das Leben der Amerikaner in hohem Maße bestimmen wird und – weil die USA so stark sind – auch das der Welt.
Dramatik in den Wahlkampfkonflikt der Demokraten bringt Bernie Sanders: eine ältere (Jg. 1941), weißhaarige (zuweilen zerzauste) Sensation mit eindringlicher, oft heiserer Stimme, die trotz aller Zweifler (und fast aller Medien) Hillary Clinton einen Schlag versetzt hat. Clinton glaubte sich unersetzbar als Kandidatin der Demokratischen Partei. Schon 2008 war sie sich so sicher gewesen, bis Obama sie verdrängte. Das darf sich nun nicht durch einen fast unbekannten Mann aus dem abgelegenem Vermont wiederholen, der sich gar als Sozialist geouted hat. In den Ohren vieler US-Amerikaner klingt das nach Antichrist! Und dennoch: Lag »Bernie« im letzten Frühsommer noch bei kaum fünf Prozent, zog er Anfang 2016 bei den Vorwahlen in Iowa praktisch gleichauf und hat in New Hampshire die arme Hillary weit hinter sich gelassen.
Am 20. Februar zeigte sich, wie viele der wichtigen Latino-Wähler im Bundesstaat Nevada, meist mit mexikanischen Wurzeln, für einen Neuentdeckten stimmen – oder dem Namen Clinton noch nachhängen. Clinton lag mit 52 Prozent eine Nasenlänge vor Bernie Sanders (47 Prozent). Eine Woche später dürfen sich die Wähler der Demokratischen Partei in South Carolina – einem reaktionären Südstaat mit rassistischer Tradition – entscheiden. Die Demokraten dort sind mehrheitlich Afroamerikaner. Die meisten sind seit langem Anhänger der Clintons, Bill wie Hillary. Wie viele mögen ihnen treu bleiben?
Am 1. März werden Demokraten in einem Dutzend Staaten abstimmen, auch in sechs Südstaaten mit vielen schwarzen Wählern unter den Demokraten (die Weißen sind dort in der Mehrzahl Republikaner). Von Virginia bis zum riesigen Texas können sie dann über Sanders‘ weiteres Schicksal entscheiden. Prominente Schwarze sind in ihrer Meinung über Sanders geteilt. Etablierte, wie die meisten Demokraten im Kongress, unterstützen Clinton. Linke sind für »Bernie«.
Sanders nennt sich Sozialist; ist er das wirklich? Er vergleicht sich mit skandinavischen Sozialdemokraten, bleibt aber fest bei der Position: »Das amerikanische Volk muss eine grundlegende Entscheidung treffen: Setzen wir den seit 40 Jahren anhaltenden Niedergang unserer Mittelschicht und die wachsende Kluft zwischen den sehr Reichen und allen anderen fort, oder kämpfen wir für ein fortschrittliches Wirtschaftsprogramm, das für Arbeitsplätze und höhere Löhne sorgt, die Umwelt schützt und allen eine medizinische Versorgung bietet? Sind wir bereit, die enorme ökonomische und politische Macht der Milliardärsklasse zu bekämpfen, oder werden wir tiefer in die ökonomische und politische Oligarchie schlittern?« Zehntausende zieht er damit zu seinen Kundgebungen.
Sanders verspricht, das Studium an staatlichen Hochschulen gebührenfrei zu machen und dadurch Studienkreditschulden abzuschaffen, die Absolventen bis ins Rentenalter belasten können. Er will für alle Bürger eine staatliche Krankenversicherung, die – anders als Obamas – von teuren Krankenhauszusatzkosten und gierigen Versicherungsgeiern befreit ist. Auch einen menschlicheren Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde fordert er, nicht wie jetzt nur 7,25. Er will ein humanes Einwanderungsgesetz, das Millionen aus südlichen Ländern Eingewanderte von der Angst befreit, ohne Rücksicht auf Familien deportiert zu werden. Er will eine Justizreform, die unter anderem rassistisch motivierte Verhaftungen und Bestrafungen verhindert. Er setzt sich für gleiche Löhne für Frauen ein, für das Recht auf Abtreibung und gegen jegliche Diskriminierung wegen sexueller Orientierung. Er befürwortet den Abzug des US-Militärs aus Afghanistan, den Vertrag mit dem Iran sowie Selbstbestimmungsrechte für Juden und Araber in Israel und einem freien Palästina. Vor allem betont er immer wieder, dass er die Macht und Herrschaft der Großmonopole und -banken bekämpfen will. Daher lehnt er alle Spenden von Unternehmen ab; er nimmt nur kleine, begrenzte Spenden – aber diese millionenfach!
Für die Gesundheitsreform bejaht Sanders eine kleine, für alle geltende, Zusatzsteuer, der aber merkliche Ersparnisse bei jeder Behandlung gegenüberstehen. Alle anderen Reformen würde er durch endlich gerechte Besteuerung der Superreichen finanzieren. Es dürfte klar sein, dass ihn manche hassen!
Hillary Clinton redet geschickt und kann sich bei vielen gut verkaufen. Auch sie hat schon immer für Frauenrechte geworben und tritt seit einiger Zeit auch für die Rechte der Schwulen ein. In vielen Fragen ist sie wegen Sanders nach links gerückt, etwa bei ihrer späten Opposition zum TPP-Handelsvertrag, der Pazifikvariante von TTIP. Ihr Versuch, ältere Politikerinnen zu mobilisieren, für sie als Frau zu sprechen, ging daneben, denn besonders junge Frauen wünschen sich zwar eine Präsidentin, doch nicht Clinton, der sie nicht trauen. Clintons Hauptargument gegen Sanders: Seine Forderungen seien unbezahlbar, also reine Phantasie. Besonders mit einem von den Republikanern dominierten Kongress käme er nicht weit. Clinton gibt nicht nur die Hoffnungen vieler preis, sondern sie lässt erkennen, dass sie den Status quo gar nicht ändern will. Die Millionen, die Großbanken, -firmen und einige Staaten ihr und ihrem Mann für Vorträge bezahlten, bei deren Gelegenheit sie manche Wünsche geäußert haben sollen (die oft erfüllt wurden, als sie in der Regierung waren), wiegen bei vielen US-Amerikanern schwer. Waren etwa Clintons Reden im Bankhaus Goldman Sachs (für je etwa 250.000 Dollar) so informativ und unschuldig, wie sie behauptet, oder hat sie dabei klargemacht, dass sie als Präsidentin nicht gar so scharf gegen Banken vorgehen wird, wie sie öffentlich verspricht? Nicht nur Sanders hat Zweifel, und bisher lehnt es Clinton ab, die Texte dieser Vorträge offenzulegen.
Bald werden wir wissen, ob der Parteiapparat, der Sanders fürchtet, ob riesige Spenden und alte Beziehungen Hillary Clinton die Kandidatur sichern. Wichtig wäre in jedem Falle, dass die von Sanders inspirierte und mobilisierte Bewegung dauerhaft aktiv bleibt. Wenn auch das Bild vom Sozialismus vage und variabel ist, das Wegfallen der Angst davor ist bemerkenswert: Bei einer Umfrage unter 18- bis 29-Jährigen in den USA haben 49 Prozent eine bejahende Meinung zum Sozialismus geäußert, 46 Prozent zum Kapitalismus. Bei Afroamerikanern lag die Pro-Zahl für den Sozialismus bei 55 Prozent.
Diese Zahlen wären selbstverständlich ganz anders, würde man nur Republikaner fragen. Doch beim zweiten großen Wahlkampfkonflikt ist auch diese alte Partei wie die Demokraten zerrissen. Alle republikanischen Kandidaten sind mehr oder weniger gegen gleichgeschlechtliche Ehen, Abtreibungen, Immigranten und Muslime, gegen Lohnerhöhungen und verbesserte Krankenversicherung. Einvernehmen besteht fest darin, keine höheren Steuern für die Reichen einzuführen. Doch auch der Apparat der Republikaner hasst Außenseiter wie Donald Trump, den grimassierenden Milliardär, Egozentriker und Frauenhasser, der zu offen gegen Muslime und Mexikaner hetzt und Folter laut gutheißt. Doch siehe da, er ist der einzige Republikaner, der noch scharf gegen den Irak-Krieg trommelt (und damit gegen Jeb Bush, der den Angriff seines Bruders mal befürwortet, mal bedauert). Trump ist gegen das militärische Einmischen der USA, er nimmt dazu eine weitaus bessere Position als alle anderen Republikaner ein, ja besser als Clinton, die ein führender Kriegsfalke war. Als Außenministerin war sie blutdürstiger als Obama und musste mitunter gebremst werden. Auch Sanders ist in Fragen des Nahen Ostens zwar kein Falke, doch nicht so deutlich ablehnend wie viele Anhänger wünschen. Und da sollte sich ausgerechnet der wechselhafte Pragmatiker Trump bei dieser so wichtigen Frage als ein Friedensengel herausstellen? Das wäre schwer zu verdauen – aber doch beobachtenswert.
Beim dritten schweren Konflikt geht es um eine Neubesetzung im Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten nach dem Tode des Erzreaktionärs Antonin Scalia. Eine Schilderung des Chaos, das aus einer Neubenennung entstehen kann, soll aber aus Platzgründen an dieser Stelle unterbleiben und einem eventuellen späteren Artikel vorbehalten bleiben.