Elias Tsolakidis ist ein tatkräftiger Mann. Als den in Köln lebenden EDV-Spezialisten jüngst ein Hilferuf aus seiner nordgriechischen Heimat erreicht – 700 Flüchtlinge sitzen ohne Wasser und Brot an einer Straße auf dem Weg nach Mazedonien fest! – da mobilisiert er per E-Mail binnen Stunden humanitäre Soforthilfe: Menschen aus seiner Geburtsstadt Katerini am Fuße des Berges Olymp beladen umgehend Lastwagen mit dem Notwendigsten und versorgen die verzweifelten Menschen.
Es sind Freiwillige der Bürgerinitiative »O Topos Mou« (Mein Ort), die seit Jahren gegen das wachsende Elend in Griechenland kämpft. Tsolakidis hat die Initiative im Jahr 2007 in der 80.000 Einwohner zählenden Stadt Katerini gegründet. »Damals wüteten riesige Waldbrände auf der Peleponnes«, berichtet er, »und wir fragten unsere Feuerwehr, ob wir irgendwie helfen könnten.« Die Gegend um den Olymp ist waldreich, und so hat »O Topos Mou« « in ehrenamtlicher Arbeit Hochstände errichtet, von denen aus Bürger während der Sommermonate die Wälder beobachten, um bei Rauch und Feuer frühzeitig Löschzüge zu alarmieren: »25 Brände konnten so bisher schnell wieder gelöscht werden.«
Im Zuge der ökonomischen Krise und der verheerenden Memoranden-Politik der Troika gegen Griechenland hat »O Topos Mou« ihre Aktivitäten inzwischen längst auf soziale und kulturelle Bereiche ausgedehnt. »Es gibt immer mehr Bedürftige, und es gibt immer wieder Tote«, beschreibt Tsolakidis die sozial und medizinisch katastrophale Lage in Katerini. Die staatliche Klinik der Stadt verfügt zwar über eine modern eingerichtete Intensivstation. Doch die ist mangels Geld und Personal geschlossen, nicht alle Notfall-Patienten überleben die Blaulicht-Fahrt ins 80 Kilometer nördlich gelegene Thessaloniki – »zumal unsere drei Krankenwagen nur leere Blechkisten sind «, empört sich Tsolakidis, der, wie er sagt »im Spagat lebt« und regelmäßig zwischen Köln und Katerini pendelt: »Es ist nicht leicht, zwei Heimaten zu haben.«
Seit 2010 betreibt »O Topos Mou« eine Soziale Apotheke. Der verstorbene Mediziner Alekos Ftikas, Mitglied von »Ärzte der Welt«, hatte dabei eine wichtige Rolle gespielt. Bedürftige werden unabhängig vom sozialen oder rechtlichen Status mit Arzneimitteln versorgt. Ein Aufruf im Internet in mehreren Sprachen, nicht verbrauchte Arzneien zu spenden, wirkt so erfolgreich, dass mittlerweile sogar die unterversorgten staatlichen Kliniken aus dem Norden Griechenlands auf das Angebot zurückgreifen, das von Freiwilligen sortiert und in einer Datenbank akribisch dokumentiert wird. »Auch die Polizei holt Medikamente bei uns für ihre Gefangenen«, berichtet Tsolakidis.
Ergänzt wird das Angebot durch eine kleine Sozialklinik, in der eine kostenlose Behandlung stattfindet. Dazu hat die Initiative das vor zwei Jahrzehnten aufgegebene Gelände eines früheren Tabak-Forschungszentrums des Agrarministeriums besetzt. Die verwahrlosten Gebäude wurden von Freiwilligen entrümpelt und renoviert. Dank der Spenden konnte vergangenes Jahr Baumaterial gekauft und das einsturzgefährdete Dach in Eigenarbeit repariert werden. Aktuell werden auch Spenden für einen modernen Notarztwagen gesammelt.
Und da die Troika-Diktate auch den Hunger nach Griechenland zurückgebracht haben, hat Tsolakidis die Bewegung »Ohne Zwischenhändler« initiiert, die das Prinzip der konsumgenossenschaftlichen Selbsthilfe aktualisiert: Auf Märkten unter freiem Himmel verkaufen Bauern der Region ihre Produkte direkt an die Konsumenten. 600 bedürftige Familien werden auf diese Weise mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Außerdem ist ein Sozialer Supermarkt eingerichtet worden. Dieser verteilt gespendete Lebensmittel an bedürftige Familien. Da er ohne Geld funktioniert, gibt es die Möglichkeit, Bauern Geld zu schicken, die dann eine entsprechende Menge Lebensmittel an den Sozialen Supermarkt liefern. Die Konsumenten beteiligen sich am Betrieb des Supermarktes. Zudem werden in enger Kooperation mit mehreren Schulen bedürftige Schüler mit Heften und Stiften versorgt. Wer Hilfe erhält, leistet regelmäßig im Gegenzug mindestens acht Stunden Arbeit im Monat für die Bürgerinitiative. 380 Freiwillige haben im Dezember einen Weihnachtsmarkt mit Punch, Glühwein und Spielen für die Kinder organisiert. Statt Eintritt mussten alle Besucher mindestens zwei Kilo Lebensmittel für Bedürftige mitbringen.
Die Aktivitäten von »O Topos Mou« basieren auf freiwilliger Arbeit und finden auf der Ebene von Sachgütern und Naturalien statt. Die Bewegung richtet sich auch gegen die Mautgebühren, gegen Stromabschaltungen bei Zahlungsrückständen und Zwangsversteigerungen von Wohneigentum. »23 Initiativen und rund 3500 Freiwillige arbeiten inzwischen unter dem Dach von O Topos Mou«, berichtet Tsolakidis und betont: »Wir sind kein Verein, wir haben keinen Vorstand, wir verwalten kein Geld.« Besonders wichtig ist ihm: »Wir sind unabhängig von Staat und Parteien.« Die Entscheidungen werden basisdemokratisch von Vollversammlungen getroffen und von themenbezogen Freiwilligen-Kommissionen, die sich übers Internet organisieren, eigenverantwortlich umgesetzt.
Das geht naturgemäß nicht ohne Konflikte innerhalb der Gruppen, die allerdings auch von außen unter Druck stehen, wie Tsolakidis deutlich macht: Die konservative Regierung Samaras hat die Bauernmärkte, mit denen der Zwischenhandel ausgeschaltet und erhebliche Preissenkungen erreicht werden konnten, mit dem Gesetz über den Handel unter freiem Himmel eingeschränkt, um die neu entstandene genossenschaftliche Bewegung zu treffen. Tsolakidis ist empört, dass die Syriza-Regierung trotz anders lautender Versprechen dieses Gesetz nicht aufgehoben hat. Wütend macht ihn, dass von regierungsnahen Kräften aktuell versucht werde, eine Konkurrenzorganisation zur Bewegung ohne Zwischenhändler aufzubauen.
»Der Protest und der Erfolg all dieser Projekte hat auf lokaler Ebene Begehrlichkeiten geweckt und so drohen ähnlich wie anderen Projekten in Griechenland sowohl staatliche Zwangsmittel als auch die Vereinnahmung von politischer Seite, so der regierenden Parteien«, urteilt der Publizist Gregor Kritidis, der die Entwicklung in Griechenland seit Jahren beobachtet.
»Wir haben Angst«, bekennt Tsolakidis. Schon sei gedroht worden, die Gebäude des ehemaligen Tabak-Zentrums, um die sich der griechische Staat 20 Jahre nicht gekümmert hat, würden verkauft. »Ein besonders netter Versuch, unser Projekt zu stoppen.«
Infos zu »O Topos Mou« unter www.kikaf.org; die Soziale Apotheke in Katerini veröffentlicht auf www.ecss2006.com/TOPOS/KIK/100/KIK_TOP100_W.asp eine Top-100-Liste der benötigten Medikamente.