Im Berliner Ensemble wird Fassbinders »Bremer Freiheit« wieder aufgeführt. Das Stück, 1971 geschrieben, von Fassbinder auch verfilmt, ist auf großen Bühnen eher selten zu sehen.
Die im Jahr 1785 geborene bürgerliche Gesche Gottfried, bei Fassbinder Geesche, bringt ihre Männer um, ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Freundin. Nach fünfzehn Giftmorden und drei Jahren Gerichtsverhandlung ist die Enthauptung der 46-jährigen Gesche am 21. April 1831 die letzte öffentliche Hinrichtung in Bremen, mit Rachegefühlen begleitet von über 30.000 Bremer Bürgerinnen und Bürgern.
Fassbinder nimmt den authentischen Fall als Grundlage für sein Stück, Catharina May inszeniert es großartig und die Schauspielerinnen und Schauspieler bringen es facettenreich auf die Bühne. Krista Birkner spielt Fassbinders Geesche beeindruckend – nicht als Monster, sondern nachvollziehbar. Sichtbar wird die grausame patriarchale Unterdrückung, die sie verzweifeln lässt, aus der sie sich nicht anders befreien kann, als deren Träger und Medien mit Mäusebutter zu vergiften. Geesche Gottfried mordet, weil sie nicht das »Haustier« der Männer sein will. Sie mordet, erst schüchtern, dann immer selbstbewusster, weil ihr eigenständiges Leben, Denken und Lieben verweigert wird, weil sie sich nicht emanzipieren kann von den Männern und der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren unentrinnbaren Zwängen, vielfältigen Ausbeutungsverhältnissen und der biederen Rührseligkeit. Gewalt und soziale Missstände wurden schon damals verdrängt.
»Das war kein Leben, das Mutter führte, da ist der Tod ein Glück für einen Menschen«, sagt Geesche nach dem Mord an ihrer Mutter, singt »Welt bei dir ist Krieg und Streit, nichts denn lauter Eitelkeit« – und wird zum Schafott geführt. Die offene Wunde der bürgerlichen Gesellschaft, mit der Hinrichtung von Gesche sollte sie notdürftig geschlossen werden. Die Wunde eitert, bald nach Verhaftung der Gesche Gottfried schrieb Adelbert von Chamisso im Gedicht »Die Giftmischerin«: »Ich führte Krieg, wie jeder thut und soll, / Gen feindliche Gewalten. / Ich that nur eben, was ihr alle thut, / Nur besser; drum, begehret ihr mein Blut, / So thut ihr gut.« Das richtige Bewusstsein zur falschen Zeit kann tödlich enden, geht es doch um den unauslöschlichen Wunsch nach Freiheit, um Befreiung aus den Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft, um Widerstand gegen äußere Macht.
Brecht postuliert in der Dreigroschenoper das Recht aller Menschen hier auf Erden, teilhaftig aller Lust der Welt zu werden – und fährt, die Verhältnisse beschreibend, fort: »Doch leider sind auf diesem Sterne eben, / die Mittel kärglich, die Menschen roh. / Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben, / doch die Verhältnisse, die sind nicht so. // […] Wir wären gut, anstatt so roh, / doch die Verhältnisse, die sind nicht so.«
»Bremer Freiheit« heißt auch ein Festival: Für Studierende wird eine Woche lang der Eintrittspreis für Theatervorführungen auf fünf Euro reduziert. Zum sechsten Mal lädt Bremen dieses Jahr dazu ein, damit Studierende der Stadt »das Leben neben Modulen und Creditpoints ordentlich auskosten können«. Nach dieser Woche »Unabhängigkeit, Ungebundensein und Ungezwungenheit« soll die biedere Bürgerlichkeit wieder gelten, soll die bürgerliche Tragödie ihre Fortsetzung finden. Vielleicht haben die Studierenden aber keine Lust mehr auf Sekundärtugenden, und andere soziale Gruppen wollen auch die Bremer Freiheit dieser Art genießen?