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Titel518

Vergiftung des Klimas  (Ulla Jelpke)

Mit der AfD zog erstmals eine rechts von der Union stehende, zum Teil offen völkisch-nationalistisch auftretende Partei in den Bundestag ein. Bereits während des Wahlkampfes hatten sich Politiker von CDU/CSU insbesondere in der Flüchtlingsdebatte als Stichwortgeber der AfD betätigt. Stand dahinter die Hoffnung, so das Emporkommen der rechten Konkurrenz zu verhindern, erwies sich die Union damit erst recht als Steigbügelhalter der AfD. Denn viele Wähler sahen sich in ihrer flüchtlings- und einwanderungsfeindlichen Haltung so erst bestätigt.

 

Der Einzug der AfD in den Bundestag als – zumindest bei Bildung einer erneuten großen Koalition – stärkste Oppositionsfraktion führt erwartungsgemäß zu einer weiteren Rechtsverschiebung. So liest sich bereits der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vor allem zur Flüchtlingspolitik so, als habe die AfD mit am Verhandlungstisch gesessen. Die Personalie des bayerischen Scharfmachers Horst »Obergrenzen« Seehofer als designierter Bundesinnenminister einschließlich neugeschaffenem Heimatressort ist als Zugeständnis an Rechtsaußen zu werten.

 

Erwartungsgemäß werfen sich nun AfD und Union im Bundestag gegenseitig die Bälle zu. Nachdem die AfD einen Antrag zur Streichung des Familiennachzuges für subsidiär geschützte Flüchtlinge eingebracht hatte, legten Union und SPD einen Gesetzentwurf vor, der faktisch das Recht auf Familiennachzug für diese Flüchtlingsgruppe komplett abschafft. Bei Plenardebatten im Bundestag ertönen aus den Reihen der AfD immer wieder genüssliche Zwischenrufe, wenn Unions-Redner etwa bei der Aussetzung des Familiennachzugs und der zwangsweisen Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen AfD-Positionen in Regierungspolitik umsetzen, sich dabei aber verbal von den Schmuddelkindern der AfD abzusetzen versuchen.

 

Ihre rassistische Grundtendenz und Hetze gegen links lassen AfD-Redner auch bei Plenardebatten erkennen, die sich nicht um die Frage von Flüchtlingen und Migranten drehen. So merkte der AfD-Abgeordnete Thomas Ehrhorn beim Thema »Tiertransporte« an, dass »halal« und »Schächten« aus seiner Sicht die eigentlich wichtigen Fragen von Tierschutz seien. Und in einer von der Linksfraktion initiierten Debatte zum Thema »Lobbyregister« sorgte sich der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz weniger um die Korruption durch Wirtschaftsvertreter als um den »Einfluss von Vertretern ideologischer Gesinnungen«. In missbräuchlicher Anlehnung an ein Zitat des Dichters Brecht wetterte der Politiker: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die parlamentarische Mitgründung und staatliche Finanzierung der zumindest linksradikalen Amadeu-Antonio-Stiftung.«

 

Die AfD setzt auf die öffentliche und bewusste Provokation durch Tabubrüche. Nicht der rationale Diskurs, sondern die Bedienung der eigenen Klientel steht im Vordergrund. Klima und Tonfall werden dabei beständig schärfer. Die anderen Fraktionen nehmen bislang die verbalen Provokationen der AfD an und liefern sich Schlagabtausche mit den Rechten. Es bleibt vorerst offen, wer von der dadurch erzeugten medialen Resonanz am meisten profitieren wird.

 

Ein Tiefpunkt war hier sicherlich die von der AfD losgestoßene Debatte um den aus einjähriger türkischer Gefangenschaft freigekommenen Journalisten Deniz Yücel. Nachdem AfD-Fraktionschefin Alice Weidel bereits über Twitter behauptet hatte, Yücel sei »weder Journalist noch Deutscher« forderte die AfD den Bundestag in ihrem Antrag auf, seine Missbilligung über einen sieben Jahre alten satirischen Artikel Yücels in der taz auszudrücken. Jan Korte für die Linke und Cem Özdemir für die Grünen, aber auch die Redner der anderen Fraktionen wiesen diesen rassistisch unterlegten Angriff auf die Pressefreiheit mit aller Entschiedenheit zurück. Die AfD-Fraktion kündigte daraufhin eine Beschwerde beim Ältestenrat des Bundestages an, da Özdemir die AfD-Abgeordneten als Rassisten bezeichnet hatte. Der Grundsatz, wer austeilt, muss auch einstecken können, gilt für die AfD offensichtlich nicht. Denn zu deren Inszenierung gehört der selbstgewählte Opferstatus. Hierzu passt auch die Ansetzung einer aktuellen Stunde durch die AfD unter dem irreführenden Titel »Demonstrationsrechte von Frauen stärken«. Hintergrund war ein von einer AfD-Mitarbeiterin angemeldeter flüchtlings- und islamfeindlicher Aufmarsch für »Frauenrechte« durch Berlin-Kreuzberg. Der Aufmarsch, an dem sich mehrheitlich Männer einschließlich rechter Rocker und offener Neonazis beteiligt hatten, war von Tausenden antifaschistischen Gegen-demonstranten blockiert worden.

 

Die GroKo in spe setzt noch schärfer als in den letzten Legislaturperioden auf die Ausgrenzung der Linksfraktion. Dazu wird das unwissenschaftliche Extremismuskonstrukt von den vermeintlich beiden verfassungsfeindlichen Enden des demokratischen Hufeisens bemüht. Auch Grüne springen hier gerne auf. So blieben Linke und AfD gleichermaßen ausgeschlossen bei der Ausarbeitung eines Antrages »Antisemitismus bekämpfen« von CDU/CSU/SPD/FDP/Grünen. Da dieser Antrag Antisemitismus als einen neuen Ausweisungsgrund nach dem Aufenthaltsgesetz forderte, enthielt sich die Linke. Die AfD-Fraktion, die in ihren Reihen den wegen Antisemitismusvorwürfen aus der CDU ausgeschlossenen Abgeordneten Martin Hohmann hat, stimmte hingegen bereitwillig zu, da Antisemitismus so als ein Problem der Migration dargestellt werden kann.

 

Nach außen inszeniert sich die AfD als Vertretung der »kleinen Leute« und der »Abgehängten«, obwohl ihr neoliberales Parteiprogramm die Umverteilung von unten nach oben noch beschleunigen würde. Der offen völkische AfD-Flügel allerdings versucht die Partei national-sozial zu positionieren. Innerparteilich stößt schon diese lediglich rhetorische Kapitalismuskritik auf Ablehnung des neoliberalen Parteiflügels um Beatrix von Storch und Alice Weidel. Entlarvend ist hier das Verhalten der AfD in sozialpolitischen Debatten im Bundestag. So bezeichnete der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser einen Linken-Antrag zur Millionärssteuer als Form der »Gruppendiskriminierung« und Ausdruck des »real existierenden Sozialismus«. Anschließend wiederholte Glaser das neoliberale Dogma, wonach höhere Vermögensbesteuerung ein »Kampf gegen jeden prosperierenden Wirtschaftsprozess« sei und lobte die Aussetzung der Vermögenssteuer durch die damalige Union-FDP-Regierung im Jahr 1997. Als »Sozialismus in Reinkultur« bezeichnete der AfD-Abgeordnete Martin Sichert den Linken-Antrag »Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik«. Deutschland brauche nicht »Planwirtschaft, sondern Freiheit«. Sichert lehnte staatliche Arbeitsmarktpolitik ab und empfahl stattdessen die Senkung von Steuern und den Abbau von Bürokratie. »Das mit Abstand beste Programm zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsaufschwung sind nicht aufgeblähte Töpfe der Sozialversicherungen, sondern der Abbau von Bürokratie, Abgaben und Steuern«, erklärte Sichert im besten FDP-Duktus.

 

Um gegen die Vergiftung des parlamentarischen Klimas durch die AfD zu kämpfen, reicht es nicht, ihren Rassismus moralisch zu verurteilen. Schließlich liegt der Erfolg der AfD besonders unter Lohnabhängigen zu einem wichtigen Teil in der Wendung der Sozialdemokratie zur neoliberalen Agenda-2010-Partei begründet, aber auch in der Sachzwang-Anpassung der Linkspartei in Landesregierungen, wodurch sie nicht mehr als überzeugende Alternative wahrgenommenen wird. Rassismus ist keine Erfindung der AfD – und auch nicht der CDU –, sondern logische Folge des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Es gilt von daher, die AfD vor allem in ihrer Haltung zur sozialen Frage zu entlarven. Gemeinsamer Klassenkampf statt Spaltung – das sollte die antifaschistische Antwort der Linken auf den Aufstieg der AfD sein.