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Titel518

Sackgassendebatte Schuldenbremse  (Manfred Sohn)

Fast alles, was Heinz Bontrup in der Ossietzky Nr. 23 im Dezember letzten Jahres schrieb, ist richtig. Das im Grundgesetz und parallel dazu in fast allen Landesverfassungen mit jeweiliger Zustimmung der SPD in Beton gegossene Verbot, künftig zur Finanzierung staatlicher Aufgaben bei strenger Regelung von Ausnahmen neue Schulden aufzunehmen, zieht jetzt schon seine tiefe Spur im Koalitionsvertrag der nächsten Merkel-Regierung. Die verschiedenen Versprechungen dieser Regierung – ob nun Digitalisierungs- oder Bildungsprogramme – stehen unter dem Vorbehalt dieser Schuldenbremse. Noch gravierender – und spürbar vor allem im Bildungsbereich – werden ab 2020 die Auswirkungen dieser politischen Selbstrestriktion für die meisten Länderhaushalte sein.

 

Das Eingangswörtchen »fast« bezieht sich lediglich auf einen Absatz von Bontrups Aufsatz, der bezeichnenderweise mit »Unerträglich« eingeleitet wird – das legt der Entfaltung der Diskussion um diesen Punkt eine gewisse emotionale Barriere in den Weg. Es sei »ökonomisch einfältig«, darauf hinzuweisen, dass eine Verschuldung des Staates gegenüber privaten Vermögenden auf längere Sicht immer mit Zinsen aller Steuerzahler gegenüber den Vermögenden beglichen würde. Der Einfaltsvorwurf wird, eingeleitet mit einem »Denn:«, mit dem Hinweis begründet, Zinseinnahmen entstünden nicht nur durch Staatsverschuldung, sondern aus der Tatsache heraus, dass das Vermögen in Deutschland völlig ungleich verteilt sei und deshalb die Vermögenden in die für sie glückliche Lage versetzt würden, dem Staat ihre Ersparnisse anbieten zu können. Das offenbart ein etwas naives Staatsverständnis – als sei es im Kapitalismus jemals möglich gewesen, von ganz kurzen historischen Zwischenphasen abgesehen, das finanzielle Agieren der kapitalistischen Staatsmaschine von ihren ökonomischen Grundlagen, dem Ausbeutungsverhältnis, zu trennen, das die Ungleichheit stündlich und täglich so zwangsläufig neu hervorbringt wie die Sonne Kartoffelknollen wachsen lässt. Es war daher auch weder unerträglich noch einfältig, wenn beispielsweise die DKP oder auch Teile der Jusos in den 1970er Jahren mit genau diesem hier von Bontrup gegeißelten Argument gegen die damals rasant und für die Vermögenden einträglich wachsende Staatsverschuldung angingen. Vor allem aber und auf heute bezogen: Der Grundgedanke von Marx war es ja gerade, dass die Befreiung der Arbeiter und mit ihnen der Frauen, der Jugend und anderer an diesem System irre werdenden Ausgebeuteten und Abhängigen nicht durch die noch so entschiedene Bekämpfung der Wirkungen dieses inneren Mechanismus, sondern nur durch die Beseitigung der Ursachen, also letztlich des kapitalistischen Lohnsystems als Ganzes gelingen kann und wird – oder eben auch (noch) nicht.

 

Solange das so ist, nützt es wenig, gebetsmühlenartig darauf hinzuweisen (auch richtig), dass die Summe der Schulden in einer Volkswirtschaft immer gleich ist mit der Summe allen Vermögens, nützt es wenig, wenn – wie beispielsweise durch die niedersächsische Landtagsfraktion der Partei Die Linke von 2008 bis zu ihrer Abwahl 2013 auf ihrer Website geschehen – neben einer Schuldenuhr eine »Vermögensuhr« installiert wird oder Unterschriften gegen die Schuldenbremse gesammelt werden.

 

Die nachvollziehbare Verzweiflung, mit der Bontrup und andere jetzt gegen die Schuldenbremse zu Felde ziehen, ist insofern nur eine Symptom für die verzweifelte Lage, in der sich die Linke hierzulande (wie auch in vielen anderen kapitalistischen Hochburgen) befindet. Selbst die geforderte »Vermögensuhr« findet sich bei den Regierungssozialisten der Linkspartei in Berlin, Brandenburg und anderswo nicht mehr auf ihren Websites. Längst arrangieren sie sich mit der Schuldenbremse. Und in der Verteidigung selbst so defensivster Positionen wie der, doch bitte als kapitalistischer Staat weiter wie bei Roosevelt oder Brandt Schulden machen zu dürfen, sind wir schon wieder ein weiteres Stückchen nach hinten gedrängt worden.

 

Damit reiht sich die Debatte um die Schuldenbremse ein in eine ganze Serie von Diskussionen um »Übergangsforderungen«. Dieser Kranz an Forderungen war, ausgehend von den Niederlagen der revolutionären Welle in den 1920er Jahren und den bitteren Erfahrungen mit dem italienischen und deutschen Faschismus beziehungsweise dem japanischen Militarismus, in den Jahren danach entstanden, um so Kräfte, die sich nicht als antikapitalistisch verstanden, dennoch zusammen mit kommunistischen Kräften gegen die jeweils gefährlichste und reaktionärste Fraktion der herrschenden Klassen bündeln zu können. Diese Strategie hatte in den 1940er Jahren einige Erfolge und wurde dann so etwas wie Allgemeingut in der marxistisch orientierten Linken auch der Bundesrepublik Deutschland. Ob »antimonopolistische Demokratie« oder die Losung »Rüstung runter, Bildung rauf« oder »Geld ist genug da – umverteilen!« oder am Ende der Straße jetzt »Lasst uns wieder Schulden machen dürfen – weg mit der Schuldenbremse!«: Das ist der nun ein halbes Jahrhundert gegangene Weg, durch immer weniger revolutionäre Losungen immer breitere Volkskreise gegen den vermeintlichen Hauptgegner ins Feld zu führen und ihn von seinen potentiellen Verbündeten trennen zu können. Die Linke ist in dieser Zeit nicht stärker, sondern beständig schwächer geworden. Die Strategie mag dafür nicht ursächlich gewesen sein – sie hat aber unsere zentrale Niederlage von 1989 wie auch die darauf folgenden Etappenniederlagen nicht verhindert. Welche Rückzugslinie, welche noch weniger systemumstürzende Forderung soll jetzt noch kommen ohne dass es beginnt, peinlich zu werden?

 

Cul-de-sac – die Sackgasse ist da. Wer mit dem Rücken an der Wand steht und nichts mehr zu verlieren hat als seine politische Würde, sollte sich in den Kampf nach vorne werfen – und ins Zentrum wieder die zentralen Forderungen stellen: Nicht für den gerechten Lohn, sondern für die Abschaffung des Lohnsystems, nicht für den besseren Kapitalismus, sondern für seine Abschaffung und für den praktischen Beginn des Aufbaus einer sozialistischen Alternative – ideologisch, organisatorisch und politisch.