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Titel518

Werke der Letztzeit  (Monika Köhler)

Am Anfang steht eine Postkarte, gestempelt am 8. November 1909, gerichtet an den Maler Erich Heckel in Dangast an der Nordsee. Geschrieben wurde sie von seinem Kollegen Karl Schmidt-Rottluff aus Hamburg. Auf die Adressseite hatte er eine Skizze gezeichnet, die einer afrikanischen Frau aus Kamerun. Diese kleine Karte eröffnet die Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum »Karl Schmidt-Rottluff: expressiv, magisch, fremd« (bis zum 21. Mai) und dokumentiert die frühe Beschäftigung des Künstlers mit außereuropäischer Kunst. Carl Einsteins Buch »Negerplastik« von 1915 lenkte das Interesse vieler Kunstschaffenden auf diese »primitive« Kunst. Schmidt-Rottluff erhielt das Buch von Rosa Schapire, die ihn förderte und sein Werk publizierte. Skulpturen und Objekte aus Afrika und Ozeanien, die Schmidt-Rottluff gesammelt hatte, sind nun in Hamburg als Leihgaben aus dem Brücke-Museum Berlin seinen eigenen Arbeiten (Gemälden, Zeichnungen, Holzschnitten und Holzplastiken) gegenübergestellt.

 

Hamburg war damals der Umschlagplatz für Kolonialgüter und Kunst. Rosa Schapire lebte dort. Schmidt-Rottluff richtete ihr ein Zimmer ihrer Wohnung als Gesamtkunstwerk ein. Da lernte er auch den Sammler Gustav Schiefler kennen, der ihn mit dem Dichter Richard Dehmel bekannt machte. Als der 1920 starb, schuf Schmidt-Rottluff das Holzrelief »Trauernder«. Mit dem Material Holz war er während des Krieges in Russland und Litauen in Berührung gekommen. Ab 1915 wurde er als Armierungssoldat zum Kriegsdienst »einberufen« – also wohl nicht als Freiwilliger. Dort entstanden Holzschnitte und Skulpturen mit afrikanischen Einflüssen. 1920 zeigte die Kestner-Gesellschaft in Hannover die Ausstellung: »Schmidt-Rottluff – Negerkunst«. Das Wort »Neger« war damals zwar schon belastet, aber es wurde ohne Bedenken angewandt, unter Künstlern war es eher positiv besetzt.

 

Gemälde, die nach dem Krieg entstanden: Das »Kämmende Mädchen« (1919), in gebrochenen Farben, melancholisch sieht es unter seinem langen Haar hervor. Dann, in den 1920er Jahren, sprühen die Bilder vor Farbigkeit – darin denen der »Brücke«-Zeit ähnelnd. Sie glühen »magisch expressiv«, wie im Untertitel der Ausstellung. Ein »Blauer Mond« leuchtet zwei Mädchen, die aus dem Bild laufen, hintereinander, auf blutrotem Weg. Der »Aufgehende Mond« spiegelt sich purpurn im grünen Wasser, Bäume drohen wie schwarze Hämmer.

 

Die Sommer verbrachte der Künstler an der ruhigen Ostseeküste Hinterpommerns mit seiner Frau Emy, einer Fotografin, mit der er seit 1919 verheiratet war. Es kam die Zeit, die im Katalog (Hirmer Verlag, 164 Seiten, 29 Euro in der Ausstellung) als »Dunkelheit und Stille« überschrieben ist. Ab 1934 verschwanden die Menschen aus seinen Werken. Der Titel des Bildes: »Brücke mit Eisbrechern« (1934) weist darauf hin, was nun bevorstand. Die romantische »Fischerbucht« (1937) im rosa Abendlicht – vorn im Bild, von einem dunklen Wasserlauf durchquert –, zwei große Augen darin geben Rätsel auf. Der »Spiegelnde See« (1936), ein ruhiges Bild ganz in Blautönen. Keine »Negerkunst« mehr? Schmidt-Rottluff hatte sich an die Ostsee in eine »innere Emigration« zurückgezogen. Aber er malte ein »Stilleben mit Hyazinthe« (1938): zwei weiße Masken rechts, die Blume links, in der Mitte afrikanische Skulpturen. Dem Gemälde »Masken« (1938) diente als Vorbild eine Ahnendarstellung aus Papua-Neuguinea – ohne Mund. Die Maske im Bild dagegen blickt aus leeren Augenhöhlen wütend und rot angelaufen nach vorn. Sie hat einen Mund, der ist wie zum Schrei geöffnet. Eine zweite Maske sieht weg. Ein Bild des stummen Aufruhrs. Zu fremd? Der Künstler ist längst schon als »entartet« ausgesondert. 1937 waren 608 seiner Werke aus deutschen Museen entfernt – 52 wurden in der diffamierenden Schand-Schau »Entartete Kunst« an den Pranger gestellt. Am 3. April 1941 erhielt er Berufsverbot. Adolf Ziegler, der Präsident der Reichsschrifttumskammer, schrieb dem Uneinsichtigen, dass »Ihre Werke nicht der Förderung deutscher Kultur in Verantwortung gegenüber Volk und Reich entsprechen«. Also undeutsch. Außerdem »geht aus Ihren, nunmehr zur Einsichtnahme hergereichten Original-Werken der Letztzeit [!] hervor, dass Sie auch heute noch dem kulturellen Gedankengut des nationalsozialistischen Staates fernstehen«. Hatte Schmidt-Rottluff wohl jenes um 1940 entstandene »Stilleben mit Skulptur« eingereicht, das er auch »Panischer Schrecken« nannte? Mitten auf dem Tisch, ein Kopf mit angstgeweiteten Augen und aufgerissenem Mund, daneben seine Pfeife und eine Zeitung. Die Holzskulptur dazu schuf er schon 1917, im Ersten Weltkrieg, als »Blauroter Kopf«, Untertitel: »Panischer Schrecken«. Nach 1945 taucht dieser Kopf noch einmal in einem Stillleben auf in der Tuschzeichnung »Topfpflanzen und Plastik« – nun ein Dekorationsstück. Schmidt-Rottluff erhält 1946 eine Professur in Berlin an der Hochschule für Bildende Künste. 1976 stirbt er mit 91 Jahren.

 

 

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Drei Bronzen aus Benin (heute Nigeria) werden jetzt zum letzten Mal im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe unter dem Titel »Raubkunst?« gezeigt. Sie sind integriert in die gleichnamige Ausstellung, die Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums dokumentiert (Ossietzky 22/2014). »Dass es sich bei den Bronzen um Raubkunst handelt, steht heute außer Frage« schreibt die Direktorin Sabine Schulze im Vorwort der begleitenden Publikation (72 Seiten, 9,90 Euro).

 

Im Jahr 1897 brachten britische Truppen die Kunstwerke nach Europa, nachdem sie im Rahmen einer »Strafexpedition« aus dem geplünderten Königspalast geraubt worden waren. Justus Brinckmann, der erste Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, erkannte den großen künstlerischen Wert dieser Bronzen, nahm viele von ihnen in Kommission, kaufte und verkaufte sie wieder. Besonders scharf darauf war Felix von Luschan, der Direktor des Königlichen Völkerkundemuseums in Berlin. Heute besitzt dieses Museum (bald schon Humboldt-Forum in Kaiser Wilhelms restauriertem Schloss) 1000 Objekte aus Afrika.

 

Was bedeuten diese Bronzen (die, genau genommen, aus Gelbguss bestehen) für die Afrikaner? Der Gedenkkopf eines Königs (Oba), ein Prunkstück, hatte vor allem eine rituelle und historische Aufgabe. Für diese »schriftlosen« Kulturen waren auch die beiden Bronzeplatten Teil und Dokumentation ihrer Geschichte. Das eine Relief zeigt eine Kriegsszene. Es ist so fein und detailliert ausgearbeitet, dass die Europäer glaubten, die »primitiven« Afrikaner hätten es unmöglich selbst gestaltet haben können. Hinweise auf griechische Gusstechniken führten sogar in die Antike. Portugiesische oder indische Einflüsse wurden herbeizitiert. Richtig ist allerdings, dass sich afrikanische Kunstschätze heute fast ausschließlich in europäischen oder amerikanischen Sammlungen befinden. Später sollen die drei Benin-Bronzen an das Hamburger Völkerkundemuseum gegeben werden – dort gibt es Spezialisten für afrikanische Kunst. Die neue Direktorin Barbara Plankensteiner sprach von möglichen »Dauerleihgaben« – an den Königshof von Benin in Nigeria? In einem Bericht in 3sat (vom 21.2.) hieß es, das Königshaus von Benin fordere die Kunstwerke zurück. Sie sind sein rechtmäßiges Eigentum.