In ihrem 68. Jahrgang ist die Berlinale auf den Hund gekommen. Und das nicht nur mit enttäuschenden Filmen, sondern auch wortwörtlich. Eröffnungsfilme, daran ist man schon gewöhnt, sind meist nicht gerade ein vielversprechender Auftakt. Diesmal war es zum ersten Mal ein Animationsfilm: »Isle of Dogs« über auf eine Müllhalde verbannte Hunde. Wes Anderson erhielt dafür zum Festivalende den Preis für die beste Regie.
Über Juryentscheidungen lässt sich stets trefflich streiten. Doch ein so krasses Fehlurteil wie die Vergabe des Goldenen Bären an den langweiligsten Film des Wettbewerbs war doch so überraschend wie unverständlich. In ihrem Erstling – auch dafür noch ein Preis – kann sich die rumänische Regisseurin Adina Pintilie nicht von ihren Protagonisten trennen, die als Versuchspersonen in einem therapeutischen Seminar bemüht sind, ihre Scheu vor Berührungen zu überwinden und ein Verhältnis zum eigenen Körper zu finden.
Der Filmtitel »Touch Me Not« passt zur modischen »Me Too«-Debatte, die natürlich, wie Direktor Dieter Kosslick versprach, auch beim Festival eine Rolle spielen sollte. Beinah hätte man deshalb – was kein Verlust gewesen wäre – den südkoreanischen Regisseur Kim Ki-duk und seinen Film »Human, Space, Time and Human« ausgeladen, weil der Berlinale-Gast während eines Drehs 2013 eine Darstellerin geohrfeigt hatte.
Einer (pardon) unverdienten Ohrfeige kommt die Ignorierung der drei deutschen Wettbewerbsbeiträge gleich – um hier doch noch kurz die Juryentscheidungen zu kommentieren: Christian Petzolds Anna-Seghers-Variation »Transit« als Flüchtlingsgleichnis, Emily Atefs Erinnerung an Romy Schneider »3 Tage in Quiberon« mit der überzeugenden Aneignung der Protagonistin Marie Bäumer und Thomas Stubers stimmige Impressionen aus der Lebenswelt kleiner Angestellter in der ostdeutschen Provinz: »In den Gängen« (mein persönlicher Goldener Bär).
Retrospektiven sind oft lohnendster Teil eines Filmfestivals. Für mich leider auch frustrierendster, weil sie in der Fülle des Angebots – fast 4000 Berlinale-Vorführungen – meist untergehen. Dem Aufwand bei Kopienbeschaffung und Quellenstudien würde es gerecht werden, die Zelluloid-Schätze vergangener Epochen außerhalb der Festivalkonkurrenz in eigenen Vorführreihen zugänglich zu machen. Beim diesjährigen Retrogegenstand, dem »Kino der Weimarer Republik«, würde sich dies mehr als lohnen.
Bleiben wir hier, wenigstens rudimentär, aber bei der Aktualität. Die kann freilich auch Vergangenes erlangen. Der Rechtsruck in ihrem Lande motivierte die österreichische Regisseurin Ruth Beckermann zu einem dokumentarischen Essay »Waldheims Walzer«: Erinnerung an die Affäre um die verleugnete NS-Vergangenheit des ehemaligen UNO-Generalsekretärs und österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, die Mitte der achtziger Jahre weltweites Aufsehen erregte. Nicht nur Antisemitismus damaliger und heutiger Demonstranten hat Ruth Beckermann neben fast 600 österreichischen Filmemachern bei der diesjährigen Verleihung österreichischer Filmpreise zur Unterzeichnung einer Petition veranlasst gegen »alle Formen von Hetze, das Gift des Rassismus und für mehr Solidarität«. Von der österreichischen Regierung fordern sie »das sofortige Ende der Zusammenarbeit mit jeglichen Mitgliedern extremer Rechtsorganisationen«. Am Rande der Berlinale, die sich gern als politisches Festival versteht, fanden die Österreicher nur wenig Öffentlichkeit.
Und im Starrummel ging eine tragische Nachricht ganz unter. Kurz nach Eröffnung des diesjährigen Festivals verstarb in seiner bosnischen Heimat Nazif Mujić, 2013 Gewinner eines Silbernen Bären für die Hauptrolle in dem autobiografischen Film »Aus dem Leben eines Schrotthändlers«. Ein Jahr später war ihm und seiner in Armut lebenden Roma-Familie ein Asylantrag in Berlin abgelehnt worden. Die Trophäe aus besseren Tagen verkaufte ihr diabeteskranker Eigentümer für 4000 Euro an einen Barbesitzer.