Viel Frauenpower in Hamburg
Nicht ganz pannenfrei verlief die 22. Hamburger Bürgerschaftswahl, sind es doch fünf Stimmen, die der Wähler insgesamt oder auch einzeln vergeben kann. In einem Wahlbüro in Hamburg-Langenhorn wurden die Stimmen für die Grünen versehentlich der FDP zugeschlagen. Im Stadtteil Eimsbüttel landeten angekreuzte Wahlzettel im Altpapier, konnten aber dank der Hamburger Müllabfuhr rechtzeitig vor der Vernichtung gerettet werden. Im Wahlkreis Süderelbe waren es fehlerhafte Wahlscheine, die irritierten.
Auch wenn die SPD bei einer hohen Wahlbeteiligung von 63,2 Prozent gegenüber der 21. Bürgerschaftswahl mit 6,4 Prozent Verlusten noch 39,2 Prozent erreichte, zeigt das Ergebnis an, dass es Bürgermeister Peter Tschentscher war, der das Ergebnis für die Sozialdemokratie rettete. Auf den Stimmenverlust gingen Rundfunk und Fernsehen kaum ein. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Fegebank, hoffte vergeblich, als erste Frau Erste Bürgermeisterin der Hansestadt zu werden. Wohl konnte sie das Ergebnis der Grünen gegenüber der letzten Wahl um 11,9 Prozent auf 24,2 Prozent verbessern, doch das reichte nicht für die Stelle als Erste Bürgermeisterin. Auch die Frontfrau der Linken, Cansu Özdemir, verbesserte das Ergebnis für die Links-Partei auf nun 9,1 Prozent. Die FDP musste wohl den Fehler des Thüringer Kollegen Thomas Kemmerich ausbaden und übersprang nicht die Fünf-Prozent-Hürde. Die Spitzenkandidatin der Hamburger FDP, Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, kandidierte direkt in Hamburg-Blankenese und errang ein Mandat für das Hamburger Landesparlament, die Bürgerschaft. Ob sie ein One-Woman-FDP-Mitglied im Parlament wird, darüber hatte sie sich zunächst Bedenkzeit erbeten, nimmt jetzt aber die Herausforderung an. Die CDU ist – auch wegen des Debakels in Thüringen – in ein neues Tief bei der Wahl abgestürzt. Nur noch 11,2 Prozent der Hamburger gaben ihre Stimme den Christdemokraten. Die CDU ging mit einem männlichen Kandidaten ins Rennen: Spitzenkandidat Marcus Weinberg, ehemals Bundestagsabgeordneter für Hamburg-Altona, war für seine neuen Aufgaben extra von Berlin nach Hamburg gewechselt, errang aber keinen Sitz in der Bürgerschaft, da aufgrund des schlechten Wahlergebnisses keiner der Kandidaten von der CDU-Landesliste ein Mandat erhält.
Karl-H. Walloch
Eine Genossin erzählt
Es sind die Beiläufigkeiten im Text, die die großen Weisheiten der langen Jahre gleichsam wie kleine Boote sicher und ohne Hast über die zahlreichen Wasserläufe der Zeit tragen.
Rita beschreibt ihre Kindheit und Jugend, die Ausbildung, den Beruf und die familiären und sonstigen Beziehungen in der DDR. Die Erinnerungen beginnen mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Dorf in Thüringen, in das die Familie zog, als das damalige Breslau, Ritas Geburtsort, von Hitler zur Festung erklärt worden war. Und sie führen den Leser bis in das Jahr 1989, das die Autorin in Ostberlin, damals Hauptstadt der DDR, erlebte. Hier wohnt sie, selbst Jahrgang 1938, auch heute noch.
Die Erinnerungen sind chronologisch geordnet und beziehen sich auf Ereignisse des eigenen täglichen Lebens, auch Bildungserlebnisse. Da es der Autorin gelingt, auf überhöhte Wertungen aus nachträglicher Perspektive zu verzichten und stattdessen ihr Erleben in dem jeweils beschriebenen Augenblick zu benennen, wird aus diesem Lebensbericht eine spannende Reise, die es dem Leser erlaubt, die allmähliche Herausbildung einer sozialen Person und später auch qualifizierten Ökonomin sowie Frau und Mutter zu verfolgen. Die Genauigkeit ihres Gedächtnisses ist bestechend. Rita legt in großer Authentizität und größtmöglicher, nüchterner Ehrlichkeit Zeugnis von der Lebensrealität in der DDR ab, ohne dass an irgendeiner Stelle anmaßend oder rechthaberisch verallgemeinert würde, sondern sie bleibt dem Leser gegenüber völlig freilassend. Gerade dadurch wird der Text politisch, da die Verzweigungen und Entscheidungen auf Ritas Weg die vielschichtigen innen- und außenpolitischen Spannungen im Alltagsleben der DDR anhand ihrer sich entwickelnden Lebens- und Wertungsfähigkeit und der Bewältigung ihres Alltages dargelegt werden.
In der stilistischen Klarheit und der genauen, unprätentiösen Sprache spiegelt sich das Kompositionsprinzip der einfachen Entwicklung der Gedanken im Ablauf der Lebensjahre, ohne dass auf komplizierte Rückblicke, redundante Zusammenfassungen und Schnickschnack im Aufbau zurückgegriffen wird. Das Buch steht zwischen Lebensbericht und Erzählung als belletristischer Form einerseits und einem dokumentarisch genauen Sachbuch, das dem Gebiet der empirischen Sozialforschung zugerechnet werden kann, andererseits.
Nachgerade kurios, und ohne Bitterkeit vorgetragen, mutet der Gang der Autorin durch die Institutionen von Wirtschaft, Partei und Funktionärskasten an. Ihre ehrlich verfolgten, idealistischen Ziele, die der Verbesserung und Stabilisierung sozialistischer Verhältnisse dienen sollen, rufen in zunehmender Vergrößerung der Widersprüche und Brüche in der DDR die Sicherheitsorgane auf den Plan und führen zu Ausspähung, Bevormundungsversuchen und Karriereknick. Diese Absurditäten deuten die Anachronismen der Zeit sicherer als mit großem Gestus vorgetragene Anklagen. Die Autorin wird im Verlauf der Ereignisse immer autonomer und stärker. Rita fügt ein damals erarbeitetes Material zur Reform der Wirtschaftspolitik der DDR an, das bekanntlich ohne Anwendung blieb. Dass die heutigen Verhältnisse aus ihrer Sicht von dem, was die Autorin als ideale Gesellschaftsverfassung damals erkannte, viel weiter entfernt sind als ein wie auch immer verbesserungswürdiger Sozialismus, versteht sich von selbst.
Das Buch ist ein Zeitzeugnis, das nur von einer Person geschrieben werden konnte, die die erzählten Jahrzehnte selbstbestimmt und vor Ort erlebt hat, und ist daher unwiederholbar und kostbar. Ursprünglich für die Enkel geschrieben, ist es eine gute Schullektüre.
Barbara Roca
Rita K. Voigt: »Die Genossin und der Parteiadel«, NORA-Verlagsgemeinschaft, 226 Seiten, 15 €
Ein notwendiges Buch
Marianne Enigl, über drei Jahrzehnte Redakteurin des österreichischen Nachrichtenmagazins Profil, hat einen Wiener Arbeiter aus der Vergessenheit geholt – ihn und sein Leben. In einer Zeit, in der die Politik den Menschen eine immer schlechter werdende Gesellschaft bietet, da wird es doppelt wichtig, dem oft vergessenen und namenlosen Widerstand mehr als nur einen Stolperstein zu widmen.
Josef Anton Baldermann ist der Sohn einer aus Mähren zugewanderten Familie. 1903 geboren lebt und arbeitet er in Wien. Er ist zunächst Sozialdemokrat, außerdem Naturfreund, liebt das Bergsteigen und ist sportlich aktiv.
Wie es damals in den 1920er Jahren in Wien mit Arbeit und Lohn aussah, schildert das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie, die Arbeiter-Zeitung: »Die Lohnkämpfe in der Wiener Metallindustrie – eine neue Teuerungswelle ist hereingebrochen. Alle Lohnaufbesserungen, die sich die einzelnen Gruppen Metallarbeiter in den letzten Monaten und Wochen erkämpfen konnten, sind wieder aufgezehrt worden. Die Wiener Bezirksleitung des Metallarbeiterverbandes hat einen neuen Vertragsentwurf ausgearbeitet. […] Die Vorlage enthält eine ganze Reihe von Verbesserungen des bestehenden Kollektivvertrages; vor allem werden erhöhte Mindestlöhne und eine allgemeine Teuerungszulage verlangt […]. Falls die Unternehmerorganisation die Verhandlungen in die Länge ziehen sollte, sei ihr jetzt schon gesagt, dass die Wiener Bezirksleitung darauf drängen muss, dass über eine allgemeine Teuerungszulage so schnell als möglich eine Einigung erzielt werde. Die Geduld der Arbeiter darf auf keine harte Probe gestellt werden. Man darf wohl erwarten, dass die Unternehmer, die nun zum großen Teil ihre Urlaube in den schönsten Gegenden verbracht haben, einsehen werden, dass der Arbeiter wenigstens so viel braucht, dass er bescheiden mit seiner Familie in seinem einfachen Proletarierheim leben kann.« (Arbeiter-Zeitung, 17.8.1924).
Bei Siemens & Schuckert arbeitet Josef Baldermann acht Jahre, bringt es bis zum Maschinenmeister, um dann in der Weltwirtschaftskrise – wie so viele – »jede Arbeit anzunehmen«. Er verkauft seine Arbeitskraft am Bau, schleppt Kohlen oder ist Geschäftsdiener, fasst in einer Wäschefirma Fuß.
Seit 1934 ist Österreich ein Ständestaat und die Sozialdemokratie verboten. Baldermann lernt in der Wäschefabrik die Näherin Hermine Konschitzky kennen. Drei Monate nach seiner Heirat und zwölf Tage nach der Geburt seines Sohnes wird Baldermann am 29. Juli 1941 verhaftet. Er gehört zu jenen 1507 Widerstandskämpfern, die die Gestapo-Stelle Wien im Jahre 1941 festnimmt. Baldermann hat in einer kleinen kommunistischen Zelle mitgearbeitet, illegale Flugblätter verteilt und Geld für Angehörige von Verhafteten gesammelt. Die Zelle bestand aus einer Frau und zwölf Männern. Sieben werden in Berlin-Plötzensee hingerichtet, drei sterben in KZ-Haft.
In Berlin-Plötzensee, in dessen Gefängnis von 1933 bis 1945 2891 Todesurteile vollstreckt wurden, findet Jahr für Jahr ein Gedenken statt, und man gedenkt vor allem der Beteiligten am Attentat vom 20. Juli 1944. Von Baldermann und den vielen Namenlosen, die ihren Widerstand gegen die Nazi-Diktatur mit dem Leben bezahlten, liest man nichts.
Der Sohn des Ermordeten, Josef Richard Baldermann, hat der Autorin Marianne Enigl eine einzigartige Sammlung von Erinnerungsstücken und Dokumenten zur Verfügung gestellt. Damit jene Menschen, die zusammen mit seinem Vater vom NS-Regime verfolgt wurden, nicht in Vergessenheit geraten.
18 Sekunden: »Vollstreckung des Todesurteils gegen Josef Baldermann. Gegenwärtig als Vollstreckungsleiter: Landesgerichtrat Welp, als Beamter der Geschäftsstelle: Justizangestellter Karpe. Um 18.34 wurde der Verurteilte, die Hände auf den Rücken gefesselt, durch zwei Gefängnisbeamte vorgeführt. Der Scharfrichter Röttger aus Berlin stand mit seinen drei Gehilfen bereit. Anwesend war ferner: der Gefängnisbeamte Verwaltungsinspektor Palaske. Nach Feststellung der Personengleichheit des Vorgeführten mit dem Verurteilten beauftragte der Vollstreckungsleiter den Scharfrichter mit der Vollstreckung. Der Verurteilte, der ruhig und gefasst war, ließ sich ohne Widerstreben auf das Fallbeilgestell legen, worauf der Scharfrichter die Enthauptung mit dem Fallbeil ausführte und sodann meldete, dass das Urteil vollstreckt sei. Die Vollstreckung dauerte von der Vorführung bis zur Vollzugsmeldung 18 Sekunden. Unterschriften. Berlin, 2.3.1943«
Kurz vor seiner Ermordung darf Baldermanns Frau mit dem Baby nach Berlin fahren. Sie nimmt Abschied. Auf dem Weg in den Tod hat Baldermann das Foto seines Sohnes in der Hosentasche mitgenommen.
Dieses Buch ist notwendig!
Dieter Braeg
Marianne Enigl: »Baldermann«, Mandelbaum Verlag, 235 Seiten, 19,90 €
Immer der Lenin
»Mutig attackiert er die Nazis, die ihm schon 1929 mit dem Tod drohen. 1940 stirbt er im KZ Buchenwald. – Wer war’s?« fragt der sozialdemokratische vorwärts in Ausgabe 1/2020 in seiner Rätselkolumne zur Geschichte. Es folgt ein Abriss des Lebenslaufs des Gesuchten, den ich hier noch einmal stark ausdünne: 1881 in Berlin geboren, ein Cousin des Schriftstellers Erich Mühsam, 1909 Chefredakteur der Chemnitzer Volksstimme. Von diesem Jahr springt der vorwärts gleicht ins Jahr 1919, als der Gesuchte sich für einen Sitz in der Preußischen Landesversammlung bewirbt, dem späteren Landtag. Ihm gehört er bis zur Zerschlagung durch die Nazis an. Über die dazwischen liegenden zehn Jahre aber hat der vorwärts den weiten Mantel des Schweigens gedeckt. Nur dass Lenin ihn 1917 »einen extrem deutschen Chauvinisten« genannt hat, erscheint aus dieser Zeit erwähnenswert. Aber warum wohl? Es ist schon einige Jahrzehnte her, dass ich als Lokalredakteur einen Volontär unter meine Fittiche nahm, der nach seinem Wehrdienst frisch aus einer (Ost-)Propagandaeinheit der Bundeswehr zu uns gestoßen war und der uns mit markigen Sprüchen verblüffte. Einer ging so: »Gegen unsere Feinde hilft uns nur eins: Den Daumen aufs Auge und die Knie auf die Brust.« Ernst Heilmann hat das geschrieben, am 30. Juli 1915 in der Volksstimme. Das Rätsel ist gelöst, er ist der Gesuchte: ein entschiedener Burgfriedler. Kurze Zeit nach der Veröffentlichung meldete er sich zum Militär. Ein Jahr später kehrte er schwer verwundet von der Front zurück. Auf einem Auge blind.
K. N.
Mit 99 voll im Leben
Meistens wird der prominenten Jubilare nur an den runden Geburtstagen gedacht, sie werden geehrt oder mit Preisen versehen. Bei Herbert Köfer ist das anders. Er wurde am 17. Februar 99 Jahre alt und erfuhr all diese Wertschätzungen schon jetzt. Dass dies zu Recht erfolgte, ist gar keine Frage. Der Vollblutschauspieler ist – vor allem im Osten Deutschlands – so bekannt wie der Berliner Fernsehturm. Generationen sind mit Köfer und seiner Schauspielkunst aufgewachsen. Viele seiner Rollen im Fernsehen wurden Straßenfeger und blieben bis heute in guter Erinnerung. Manches davon wurde glücklicherweise anlässlich seines Geburtstages in MDR und RBB wiederholt, Köfer war Gast in Talk-Sendungen und blieb dabei immer, was er war, nämlich einer von uns. Gern hat er sich an seinen Entwicklungsweg erinnert, vor allem während 40 Jahren DDR, wo er nicht nur der erste Nachrichtensprecher der »Aktuellen Kamera« war, sondern vor allem auch in vielen Schwänken, Kleine-Leute-Geschichten, aber auch historisch bedeutsamen Filmen wie »Nackt unter Wölfen« oder »Krupp und Krause« die breite Palette seines künstlerischen Schaffens unter Beweis stellen konnte. Nachdem bereits vor einigen Jahren eine Autobiografie von ihm erschien, hat Köfer jetzt ein neues Buch vorgelegt mit dem schönen Titel »99 und kein bisschen leise«. Der Leser wird mit einem Querschnitt vieler Erlebnisse konfrontiert. Die einzelnen Kapitel lesen sich angenehm leicht und sind unterhaltsam. Man erfährt viel über die Vorgänge hinter den Kulissen und dies auf eine Weise, bei der niemand beschädigt wird. Auch das ist Herbert Köfer, ebenso lobend in Bezug auf andere Kollegen wie auch rücksichts- und verständnisvoll. Da schreibt ein Mann, der das Leben erfahren hat und nicht nur seine berufliche Kunst meisterhaft beherrscht, sondern auch von viel Lebensweisheit geprägt ist. Er weiß, worauf es ankommt und was wirklich wichtig ist im Leben. So ist er auch hier manchem seiner Kollegen voraus, nicht zuletzt weil er stets nach der Maxime gelebt hat »Mehr sein als scheinen«. Vielen Lesern wird er nach der Lektüre noch sympathischer sein, denn im Gegensatz zum Buchtitel sind es nicht die Erinnerungen eines Greises, sondern eines Mannes der nach wie vor voll im Leben steht und dem man nur wünschen kann, dass dies noch sehr lange so bleibt.
Ralph Dobrawa
Herbert Köfer: »99 und kein bisschen leise«, Eulenspiegel Verlag, 175 Seiten, 14,99 €.
Zuschrift an die Lokalpresse
Finden Sie nicht auch, dass einem in der Mediensprache immer wieder Floskeln begegnen, die sich wie trockener Kitt im Fensterrahmen halten? Dass jeder Gesprächspartner in Talkshows mit »Schön, dass Sie da sind!« begrüßt wird, ist eine Satzhülse, über die sich schon lange keiner mehr wundert – es sei denn, sie fehlt. Das Gegenstück »Schön, dass Sie jetzt endlich wieder gehen!« habe ich allerdings noch nie gehört, obwohl das oft angebrachter wäre. Es kommt auf das richtige Wort zur richtigen Zeit am richtigen Ort an! Nachhaltig ist mir vor allem in Krimi-Serien aufgefallen, dass die Chefkommissare vom Norddeich bis nach Südtirol die Erfolge ihrer kriminellen Mitarbeiter mit einem ermunternden »Gute Arbeit!« anerkennen. Zum Beispiel, sobald sich ein Serienmörder nach eindringlichem Zureden voller Reue für einen versehentlichen Mord entschuldigt hat. »Was hätte ich denn machen sollen«, fragt dann üblicherweise der Täter. »Kaum hatte ich das Messer gezogen, stolperte der Herr Schneiderheinze über seine eigenen Schnürsenkel und fiel in den Dolch. Er war halt zur falschen Zeit am falschen Ort! Es war ein Unfall, das müssen Sie mir glauben!« »Gut, dass Sie das endlich zugeben«, konstatiert dann der ermittelnde Kommissar. Gute Arbeit machen! Gute Fragen stellen! Die richtige Bemerkung zur richtigen Zeit auf den richtigen Punkt setzen, und schon passt alles wie der Deckel zum Sarg! Das können Sie mir glauben! Wie schön, dass Sie da waren und mitgelesen haben! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht! – Nero Wiederkäuer (33), Redakteur, 04610 Schauderheinichen
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Es wird Ihnen sicher nicht anders gehen als mir: Täglich flattern mir Hilferufe ins Haus, die einem ein schlechtes Gewissen verpassen. Da geht es um die Betreuung elternloser oder mangelernährter Kinder, um aussterbende Wildtierrassen oder verwitwete Haustiere. Und um heulende Vierbeiner, die wir in jahrelangen Mühen dazu qualifiziert haben, mit uns wieder die ausgetrockneten Wälder zu teilen und um Schafe zu streiten. Die ich rief, die Wölfe, werd` ich nun nicht los! Wollte man zu jedem Leid ein Linderungs-Scherflein beitragen, käme man selber in die Bredouille. Ich will die Anliegen überhaupt nicht in Frage stellen und bewundere diejenigen, die Hilfe leisten oder organisieren. Unicef zum Beispiel wirbt für geschmackvolle Glückwunschkarten, deren Ertrag sowohl in die Kinderbetreuung fließt als auch unserem Fiskus zugutekommt, denn jeder Käufer ist selbstverständlich auch bei der 19-prozentigen Mehrwertsteuer dabei. Und die kann auch nicht durch Spendenbescheinigungen abgemildert werden (siehe Bestellbedingungen, Broschüre »Unicef für jedes Kind«, Frühjahr/Sommer 2020, S. 23). In der Werbeschrift wird herausgearbeitet, dass »im Irak ... viele Wasserwerke, Brunnen und Leitungen durch Kämpfe zerstört« worden sind, wodurch den Menschen oft nichts anderes übrig bleibt, als »aus Tümpeln oder Pfützen zu trinken« (ebenda, S. 3). Ich halte es für gut, dass auf die Zusammenhänge von Kriegen und Kinderelend hingewiesen wird. Es wäre jedoch nicht weniger wichtig, die aktuellsten Daten über den internationalen Waffenhandel offenzulegen. So ist Deutschland laut Medien nach wie vor weltweit viertgrößter Rüstungsexporteur. Im Vergleich zu 2018 hat unser Vater- und Mutterland im vergangenen Jahr seine Waffenlieferungen um 6,5 Prozent gesteigert. Die Überschrift »Sauberes Trinkwasser – Lebensretter für Kinder« ist folglich nur eine Nuance der Wahrheit. – Antonella Tabaluga (32), nachhaltig quereingestiegene Ehrenamtlerin, 16833 Hakenberg
Wolfgang Helfritsch