Im Brecht-Haus in der Berliner Chausseestraße 125, in dem sich das Bertolt-Brecht-Archiv und die Brecht-Weigel-Gedenkstätte befinden, beides Einrichtungen der Akademie der Künste, agiert auch ein »Literaturforum«. In dessen Reihe »Berliner Montagsdiskurs« hatte neulich der Moderator Paul Werner Wagner den bekennenden Westberliner Geschichtsrevisionisten Jörg Friedrich zum Gespräch über »Das blutige Spiel – Kriegsführung im 20. Jahrhundert« geladen. Es war dies nicht der erste derartige Versuch Wagners, in den 1990er Jahren wollte er schon den notorischen Geschichtsverdreher Rainer Zitelmann im Osten Berlins hoffähig machen. Jörg Friedrich, von Hause aus kein Historiker, sondern Schriftsteller, hatte sich als »68er« mit zwei Büchern über die Selbstamnestierung ehemaliger Nazirichter in der Bundesrepublik einen guten Namen gemacht (»Freispruch für die Nazi-Justiz. Die Urteile gegen NS-Richter seit 1948.« Eine Dokumentation, Rowohlt 1982. Und: »Kalte Amnestie«, Fischer Verlag 1984). Diese Vergangenheit liegt lange hinter ihm. Mit seinem 1993 bei Piper erschienenen Tausendseitenwälzer »Das Gesetz des Krieges. Das deutsche Heer in Rußland 1941–1945. Der Prozeß gegen das Oberkommando der Wehrmacht« vollzog Friedrich eine Wendung um 180 Grad, eine Abwendung von der historischen Wahrheit und Hinwendung zur Apologie der terroristischen Grausamkeit und der massenhaften Kriegsverbrechen der Wehrmacht. Diese Positionen hat Friedrich seither ausgebaut mit Büchern, die er nunmehr im Propyläen Verlag veröffentlicht (»Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945«; »Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs«; »An den Ufern des dritten Weltkrieges«). Sie wurden vielfach kritisiert und widerlegt.
Die Veranstalter wußten also genau, wen sie einluden und zu welchem Zweck. Ungeschminkt präsentierte Friedrich seinen Zuhörern im Brecht-Haus genau jene Auffassungen, die er seit 1993 verbreitet. Seine Apologie nazistischer Kriegsverbrechen ist weder direkt noch simpel, er bevorzugt eine indirekte, eine »kritische Apologetik«. Er verschweigt und verleugnet weder Geiselerschießungen noch Massaker, er verharmlost weder deren Ausmaß noch Bestialität, stellt aber ihre moralische Verurteilung und ihre juristische Qualifizierung als Verbrechen in Frage. Seine indirekte Apologetik bedient sich vorzugsweise dreier Hebel, des Rechtsnihilismus, der Aufrechnung deutscher Kriegsverbrechen mit denen der Alliierten und der Mystifizierung der terroristisch eingesetzten Grausamkeit der Nazis zum allgemeinen »Gesetz des Krieges«. Da Soldaten aller Seiten Kriegsverbrechen in dem Glauben begangen hätten, sie handelten rechtens, weil auf Befehl, sei ihnen Unrechtshandeln nicht zu unterstellen.
Daß die Nazi-Verbrechen mit vollem Bewußtsein ihres Unrechtscharakters geplant und befohlen worden waren, Friedrich weiß es, schiebt es aber beiseite. Daß die Nazis selbst noch ihr eigenes pervertiertes Recht verletzten, Friedrich weiß auch dies, doch er geht darüber hinweg. Er will weder Kriegsverbrechen rechtlich als solche qualifizieren, noch will er den Aggressor einen Aggressor nennen, weil weder Völkerbund noch UNO sich völkerrechtlich über eine solche Bestimmung hätten einigen können.
An diesen Rechtsnihilismus schließt Friedrich die apologetische Aufrechnung an: Wer könnte es dem Wehrmachtsoldaten verübeln, wenn er an der sowjetischen Front grausame Verbrechen gegen Soldaten, Kriegsgefangene, Partisanen und Zivilisten beging, nachdem er von seiner Familie aus Köln erfahren mußte, daß die Alliierten große Teile seiner Heimatstadt in Schutt und Asche gebombt hatten. Friedrich übernimmt eine Nazithese, wenn er den Eroberungskrieg zum »finalen Daseinskampf« des deutschen Volkes stilisiert. Er fragt nicht nach Kriegszielen und dahinter stehenden Interessen, sondern mystifiziert die spezifische Bestialität des deutschen Faschismus zu einem »Gesetz des Krieges«, das unabhängig vom historischen Inhalt, von Zielen und Interessen für alle Kriege gelte. Und wenn Friedrich im Brecht-Haus sagt, kein Krieg der Weltgeschichte sei idiotischer ausgegangen als der zweite Weltkrieg, so impliziert das, ein Sieg der Nazis wäre eine weniger idiotische Lösung gewesen.
Friedrich ist es gewohnt, daß seine Thesen auf geharnischten Widerspruch stoßen, und hat in jahrzehntelanger Erfahrung ein gehöriges Maß kaltblütigen Zynismus entwickelt. Der vom Brecht-Haus bestellte Moderator hatte vom Gegenstand keine Ahnung, servil und unkritisch bot er mit Fragen wie der nach Friedrichs Einwänden gegen die »Wehrmachtausstellung« diesem jeweils eine Handreichung. Als Zuhörern angesichts der offenen Leugnung der Rolle Hitlerdeutschlands als Aggressor gegen Polen schließlich der Kragen platzte, strich der Moderator die Segel und schwieg fortan. Offenkundig aber versammelt dieser »Montagsdiskurs« inzwischen eine eigene geschichtsrevisionistische und antikommunistische Klientel.
Träger des »Literaturforums im Brecht-Haus« ist die Gesellschaft für Sinn und Form e.V., deren stellvertretender Vorsitzender Sebastian Kleinschmidt ist, seit 1991 Chefredakteur der von Johannes R. Becher 1948 gegründeten legendären Literaturzeitschrift Sinn und Form, nach wie vor herausgegeben von der Akademie der Künste. Und zu den Vorstandsmitgliedern der Gesellschaft gehören Jürgen Engler, Wolfgang Engler, Kerstin Hensel, Sabine Kebir, Steffen Mensching, B.K. Tragelehn und andere, denen man Durchblick zutrauen sollte. Quo vadis, Literaturforum?