Die Deutschen sind mehrheitlich gegen den Krieg am Hindukusch. Das gilt aber nicht für die Mehrheit der deutschen Medienleute. Sie streiten zumeist tapfer für diesen Krieg, denn es gibt ja Wichtiges dort zu erledigen: den zivilen Aufbau weiterzubringen, die Demokratie einzuführen, die Frauen von der Vorherrschaft des Patriarchats zu befreien – und nicht zuletzt das Land vom Terrorismus zu säubern. Klingt gut. Nur, wenn das die wirklichen Kriegsgründe wären, müßten NATO-Truppen doch auch in achtzig oder neunzig weitere Länder einrücken, weil es dort ähnliche Defizite gibt. Strategische Gründe für den Krieg – Vorherrschaftsstreben der USA vom Nahen bis zum Fernen Osten oder die Absicherung von Ressourcen – werden von deutschen Journalisten selten genannt.
Und die Terroristen? Die haben sich offensichtlich längst aus Afghanistan in andere Länder abgesetzt, sind dort untergetaucht und bilden kleine Zellen, denen militärisch mit großen Armeen oder Luftwaffen nicht beizukommen ist. Und die Taliban? Sie waren in den achtziger Jahren Verbündete der USA, hießen damals Mudschahedin und bekamen, als der Feind Sowjetunion hieß, ihre militärische Ausbildung und ihre Waffen direkt vom Pentagon und dem CIA. Das macht sie nicht sympathischer, nimmt ihnen aber viel von der Dämonisierung, mit der sie vom Westen heute behandelt werden.
Aber noch einmal zurück zu den Terroristen. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy fragte: »Wer ist Osama bin Laden?« und gab selbst die Antwort: »Bin Laden ist das amerikanische Familiengeheimnis. Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten [damals noch George W. Bush]. Der brutale Zwilling alles angeblich Guten und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde, durch ihre Kanonenboot-Diplomatie, ihr Atomwaffenarsenal, ihre unbekümmerte Politik der unumschränkten Vorherrschaft, ihre kalte Mißachtung aller nicht-amerikanischen Menschenleben, ihre barbarischen Militärinterventionen, ihre Unterstützung für despotische und diktatorische Regimes, ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Länder gefressen haben. Ihre marodierenden Multis, die sich die Luft aneignen, die wir einatmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken, ja sogar unsere Gedanken« (zitiert aus der FAZ).
Nicht korrekt ist die weit verbreitete These, daß der Krieg der USA gegen den islamischen Terrorismus erst nach der Attacke auf die Twintowers begonnen habe. Der palästinensische Intellektuelle Edward Said, der damals in den USA als Hochschullehrer arbeitete, hat schon 1996 in einem Aufsatz mit dem Titel »Die Kampagne gegen islamischen Terror« detailgetreu geschildert, wie Amerika damals seinen Feldzug gegen den Islam – offiziell war von »islamischem Fundamentalismus« die Rede – plante. Said schrieb: »Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat in den Vereinigten Staaten eine aktive Suche nach neuen Feinden eingesetzt, eine Suche, die sich nun auf den Islam als eigens stilisierten Gegner eingestimmt hat.« Wie Said ins Gedächtnis rief, hatte die Washington Post schon 1991 die Nachricht durchsickern lassen, daß man im Pentagon und in US-Geheimdienstkreisen den Islam als »neuen Feind« ausgemacht habe und gegen ihn eine Strategie ausarbeite. Wobei man – auch und vor allem in den Medien – Islam mit Terror gleichgesetzt habe. Allein das Wort »islamisch« habe schon damals die Vorstellung von einem bedrohlich irrationalen Ungeheuer assoziiert. Aber nirgendwo habe sich ein Hinweis darauf gefunden, daß der Westen jahrhundertelang auf die eine oder andere Weise gegen die Interessen der islamischen Staaten und Völker verstoßen habe. In diesen Zusammenhang gehörte auch Samuel Huntingtons populäre These vom Zusammenstoß der Zivilisationen, eine Kriegerklärung gegenüber allen nicht- westlichen Kulturen.
Amerika-Kenner wissen seit langem: Der Drang von »Gods own country«, seine Sendung zu erfüllen und die Welt zu erlösen, ist ungebrochen. Dieses Sendungsbewußtsein hat seinen Ursprung in einer säkularisierten Geschichtstheologie des 18. Jahrhunderts. Soll heißen: Amerika, das sich von Anfang an als Inbegriff der Freiheit verstand, produziert bei Bedarf für sich selbst die notwendigen Feindbilder. Seine Kriege sind immer die Gegenüberstellung eines guten und eines bösen Weltprinzips (so der Amerikanist Detlef Junker) – wobei die USA natürlich stets das »Gute« verkörpern. Und so waren die Feinde, die man bekriegte, zuerst die Indianer, dann England, dann die Spanier und Mexikaner, später die Deutschen, die Japaner, Russen, Chinesen, Nordvietnamesen und die Iraker, heute die Taliban – und morgen die Iraner?
Und was haben »wir« damit zu tun? Deutschland ist als Staat offensichtlich doch nicht so souverän oder frei, wie viele vielleicht glauben. Wenn der frühere Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) einmal ganz ernsthaft gesagt hat, daß unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt werde, dann wird klar, wie sehr auch Deutschland ins Fahrwasser der USA geraten ist. Aber auch Amerikaner können irren. Der frühere US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara bezeichnete den Vietnamkrieg, den er selbst militärisch ausführte, später als »furchtbaren Irrtum«, als den »absurdesten Krieg«, den Amerika je geführt habe. Müssen »wir« bei jedem Krieg, den wir künftig mitführen müssen, auch auf so späte Einsicht von Ministern warten?