Daß die Öl-Multis den Markt für Heizöl und Kraftstoffe auch hierzulande beherrschen und, zur Mehrung des immensen Profits, ihre Übermacht obendrein mittels verbotener Preisabsprachen mißbrauchen, kann jeder Laie aus der Entwicklung des Benzinpreises an der Tankstelle schließen. Der Vorsitzende des Automobilclubs Europa (ACE), Wolfgang Rose, kritisierte jüngst: »Eine Handvoll Großkonzerne kann Millionen Verbrauchern Einheitspreise diktieren – wir fordern von der Politik Maßnahmen gegen Wucherpreise und Ölpreisspekulanten.«
Ob der ACE dergleichen »von der Politik« (wer immer das sei) fordert oder ob in Chikago eine Wurst anbrennt, bleibt sich gleich, aber Roses Beweisführung ist schlüssig: Der Preis für ein Barrel (Faß) Rohöl habe im Jahr 2008 auf dem Rekordhoch von 150 US-Dollar gelegen, für den Liter Superbenzin habe sich daraus im Durchschnitt ein Preis von 1,30 Euro ergeben. Heute koste das Faß Rohöl nur noch rund 80 US-Dollar, also rund 45 Prozent weniger, der Preis für einen Liter Superbenzin sei aber nicht entsprechend gefallen, im Gegenteil: Super koste nun bis zu 1,44 Euro, also rund elf Prozent mehr. Der ACE-Vorsitzende über die Preistreiberei: »Dafür gibt es keine marktwirtschaftlich begründete Erklärung.«
Falsch. Profitmaximierung ist absolut marktwirtschaftstypisch und bedarf gar keiner weiteren Erklärung. Besonders die Ölmultis sind ohnehin über alle Begründungszwänge erhaben. Sie leben ihr Handelsmonopol für die Öl-Belieferung der Welt an nur zwei Börsen aus: der New York Mercantile Exchange (NYMEX) und der Intercontinental Exchange (ICE), die in London sowie in Atlanta ansässig ist.
Die USA und Großbritannien, Schirmherren der drei Handelsplätze, hatten im Herbst 2009 im Rahmen ihrer Bemühungen zur Eindämmung der Finanzkrise versucht, dem Ölmarkt-Spekulantentum Grenzen zu setzen. Die Börsen-Aufsichtsbehörden beider Regierungen, die amerikanische Commodities and Futures Trading Commission (CTFC) und die britische Financial Services Authority (FSA), vereinbarten Inspektionen im jeweils anderen Land. Die Inspektoren dürfen Einblick in die Handelsdaten einzelner Börsenakteure nehmen, Übeltäter abmahnen und allzu krumme Dinge publik machen: immerhin wurden dadurch seither die exzessivsten Preissprünge verhindert.
Aber die Multis zocken ja nicht nur den Erdölpreis an den drei weltweit einzigen Handelsplätzen aus, sondern beherrschen auch die Weiterverarbeitung des Rohöls und die Preisbildung für Öl-Produkte auf den nationalen Märkten. Hier holen sie sich beim Verkauf von Heizöl, Diesel und Superbenzin den Profit, den sie dort fürs Rohöl nicht mehr einstreichen können. In Deutschland hindert sie niemand daran. Die Kumpanei zwischen Wirtschaft und Politik erlaubt es nicht, und der brave Michel nimmt es hin. Eine Mehrheit der Deutschen ist nach wie vor »mit der Arbeit der Kanzlerin zufrieden«: Der ARD und dem ZDF kann man zu diesem großartigen Versagen bei der Vermittlung von Information und politischem Grundwissen nur gratulieren, und noch ein Hoch sei auch auf die kaffeesatzlesende Demoskopie ausgebracht.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, wie der Verband der deutschen Mineralölwirtschaft, der auf nationaler Ebene neben dem Heizölhandel und den Tankstellenketten auch die Ölmultis repräsentiert, das aktuelle Preisgeschehen rechtfertigt: mit »... deutlich höheren Einkaufspreisen am Großmarkt für Benzin in Rotterdam«. Die Dreistigkeit der Ölmultis ist grenzenlos. Derzeit verkünden sie, am Ölmarkt werde auf steigende Nachfrage spekuliert, weil im Frühjahr die Autosaison in den USA beginne und weil generell mit einer konjunkturellen Erholung gerechnet werde. So geben sie unverblümt zu, selbst Preistreiber und Abkassierer zu sein.
Selbstverständlich durchschaut auch der ACE-Vorsitzende Rose ihre dergestalt nachgewiesene Geschäftstüchtigkeit: »Die haben Förderrechte, Lager, Raffinerien und Tankstellen. Sie profitieren auch von den Spekulationsgeschäften.« Eben.
Welche Schlußfolgerungen zieht der Vorsitzende eines gewerkschaftlichen Interessenclubs aus dem Preiswucher? Notfalls müsse »... es eine Marktentflechtung geben, um wirklichen Wettbewerb herzustellen.« Eine Bemerkung, die, falls sie überhaupt zu den Konzernmanagern gelangt ist, dort allgemeine Heiterkeit bewirkt haben dürfte.
Hätte Rose die Verstaatlichung der Mineralölwirtschaft verlangt – oder, besser noch, die Verstaatlichung des kompletten Energiesektors einschließlich Kohle, Gas und Strom – dann hätte ich ihm gern zugestimmt. Aber das ist von ihm nicht zu erwarten. Denn Eigentümer des ACE ist der lammfromme DGB, der seinen Vorstandsmanagern sechsstellige Traumgehälter bewilligt und Initiativen für einen Generalstreik gegen das herrschende Elend im Lande allemal zu blockieren versucht. Der DGB, der stolz auf seine gut 200 Bundestagsabgeordneten ist. Der viele politische Optionen hat, aber keine davon konsequent nutzt. Der nicht einmal mehr zum Reparaturbetrieb für den Kapitalismus taugt (hach, »...notfalls Markentflechtung«).