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Titel0612

Die Große Zapfenstreichreform  (Otto Köhler)

In Kompaniestärke war die vierte Gewalt, Presse und Fernsehen, angetreten, um diesen Mann »aus dem Amt zu treten«. Darob schüttelte am Vorabend des Ereignisses Empörung den ehrwürdigen Rechtswissenschaftler Uwe Wesel. Der Emeritus der immer noch Freien Universität war geladen – 34 Jahre hatte er ohne Rat und Hilfe der Partei leben und lehren müssen: die SPD hatte ihn wegen angeblich kommunistischer Umtriebe 1974 ausgeschlossen und erst 2008 mutmaßlich wegen erwiesener Unschuld wiederaufgenommen – er war geladen zu Maybrit Illners Talkshow »Mein Haus, mein Auto, mein Zapfenstreich – Was hat Wulff verdient?«

Dieses Gezerre um den Sold seiner Ehre jedenfalls nicht, Wesel unentwegt empört: »Ich möchte nicht in einem Staat leben, in dem der ehemalige Bundespräsident von ›Hartz IV‹ leben muß.« Obwohl – dialektisches Denken ist dem Wiederaufgenommenen nicht fremd geworden – »Hartz IV« diesem Staat und seiner Wirtschaft, so betonte er gleich danach, gut getan habe. »Was Schröder macht, ist richtig!« proklamierte der Professor schon 2004 und unterschrieb eine ganzseitige Zeitungsanzeige von Wirtschaftsgrößen zugunsten von »Hartz IV« und der Agenda 2010. Und jetzt, bei Illner, entschied der Rechtsgelehrte, mit dem Zapfenstreich könne man Wulff seine Würde zurückgeben, die doch laut Grundgesetz jedem Bürger zustehe.

So geschah es 20 Stunden später. Gewiß, da war nicht jeder zum Schloß Bellevue gekommen: Die Ex-Präsidenten nicht, obwohl jeder von ihnen über ein Ehrenauto samt Chauffeur verfügt, und so mancher Kabinettskollege auch nicht. Sogar der Freund, der ihn gerade als Chef des Bundespräsidialamtes vor »Hartz IV« bewahrt und ihm den Sold seiner Ehre zugeschoben hatte, konnte gerade nicht. Aber es war ein prächtiges Schauspiel, ein gewaltiges Tonwerk. Die Vuvuzelas der Bürger draußen vor dem Tor vermischten sich mit den Trommeln und Trompeten der Soldaten zu einer mächtigen Symphonie. Keiner blieb ungerührt von diesem Zusammenklang von Soldat und Volk. Gewiß, der Kommandeur der angetretenen Soldaten fand, zuvor vom Fernsehen befragt, diesen Zapfenstreich »nicht wirklich« wichtig: »Wir stellen uns hin. Am Abend ist es ja dunkel.« Da wußte er nicht, wie schön der Abend noch werden würde.

Von diesem wunderbaren Zapfenstreich muß ein Ruck ausgehen zur zeitgemäßen Reform dieser Einrichtung, die bisher für alle Söldner und auch für Christian Wulff (wie auch für Karl Theodor zu Guttenberg) nur das Ende des Bierausschanks bedeutete.

Die Zapfenstreichreform tut not: Erst die Ehre, dann die Justiz. Unmittelbar nach dem »Helm ab zum Gebet«, nach dem »Wir beten an die Macht der Liebe«, dem »Helm wieder auf« samt »Deutschlandlied« marschieren die angetretenen Soldaten, diesmal wirklich zwecks Vaterlandsverteidigung, zur Auslieferung des Delinquenten. Die Bürger in Uniform übergeben ihren jeweiligen Bundespräsidenten feierlich zu den Klängen des auf Vuvuzelas geblasenen Hohenfriedberger Marsches (»Schnall um Deinen Säbel und rüste Dich zum Streit«) mit tief auf den Boden gesenkten Fahnen an die in schwarzer Robe angetretene Abordnung der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft. Diesmal hatte es der Bundespräsident noch geschafft, zurückzutreten, bevor die Staatsanwaltschaft offiziell die Aufhebung seiner Immunität beantragen konnte. So bekam der Zapfenstreich einen Hautgout, weil er einem Manne galt, gegen den die Staatsanwaltschaft bereits ermittelt. Das muß anders werden: Rücktritt unmittelbar zusammen mit Zapfenstreich und dabei Übergabe an die Staatsanwaltschaft. Eile tut not.

Die Zapfenstreichreform muß vollendet sein, bevor der nächste Bundespräsident – diesmal womöglich wegen Hochstapelei als Bürgerrechtler und Zusammenarbeit mit der Stasi – zurücktreten wird. Wenn dann, und es könnte bald sein, die Große Zapfenstreichreform vollendet ist, dann könnte Wirklichkeit sein, was der respektable Uwe Wesel unter großem Beifall gefordert hat: »Das Amt hat es verdient, daß es würdevoll beendet und wieder angefangen wird.