Der Extremismus ist seit langem das Lieblingssteckenpferd von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Und mit Extremismus, damit meint Frau Schröder vor allem den Linksextremismus. Die seit Anfang des Jahrtausends laufenden Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus stellte Frau Schröder dagegen erst einmal unter extremistischen Generalverdacht. Denn dem Verfassungsschutz ist schließlich zu entnehmen, daß Antifaschismus ein beliebtes Agitationsfeld des bösen Linksextremismus ist. In Schröders Augen handelt es sich dabei wohl um eine Einstiegsdroge in den Kommunismus. Mit der Extremismusklausel wurden die aus Bundesmitteln geförderten Projekte fortan verpflichtet, nicht nur selber Grundgesetztreue zu geloben, sondern auch all ihre Kooperationspartner notfalls mit Hilfe von Verfassungsschutzberichten nach einer solchen zu durchleuchten.
Analog zu den Programmen gegen Rechtsextremismus wurde dann 2010 die Initiative »Demokratie stärken gegen Linksextremismus und Islamismus« gestartet. Für Kritik weit über radikal linke Kreise hinaus sorgte etwa die als Unterrichtsmaterial für Schulen konzipierte Broschüre »Demokratie stärken« der Münchner Zeitbild Stiftung. Darin wurde etwa die bislang in keinem Bundesverfassungsschutzbericht aufgeführte Tageszeitung neues deutschland zum verfassungsfeindlichen Blatt erklärt, SPD-Gründungsvater Ferdinand Lassalle unkommentiert neben einem Bild von Lenin zum Linksextremisten gestempelt und die Zustimmung zur Forderung »Durch radikale Umverteilung müssen soziale Unterschiede beseitigt werden« als Einstieg in den Linksextremismus gewertet. Obwohl die Familienministerin sogar das Vorwort zu der mit 120.000 Euro aus dem Anti-Extremismus-Programm gesponserten Broschüre verfaßte, blockt die Bundesregierung auf eine parlamentarische Nachfrage der Linksfraktion ab: »Der Inhalt der Broschüre liegt im Verantwortungsbereich der Zuwendungsempfängerin und wird von der Bundesregierung nicht bewertet.« Kann die Zeitbild-Broschüre noch als dreiste Manipulation bewertet werden, so erscheint eine von der CDU-Jugendorganisation Junge Union aus Köln durchgeführte und aus dem Bundeshaushalt bezahlte Reise nach Berlin als »Hauptstadt des Linksextremismus« nur noch als Peinlichkeit. In der »Stadt der brennenden Autos« standen neben der Besichtigung von Stasi-Gruselmuseum und Mauerresten sowie der Vorbeifahrt an einem ehemals besetzten Haus auch ein »Ausflug in das Berliner Nachtleben« auf dem Programm der Jung-Unionler, die ansonsten sicherlich nicht allzu anfällig für Linksextremismus sind.
Das renommierte Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat nun im Regierungsauftrag einen Zwischenbericht der Wissenschaftlichen Begleitung für das Bundesprogramm vorgelegt. Zehn über einen längeren Zeitraum laufende Projekte, die pro Jahr mit Bundesmitteln zwischen 29.000 und 250.000 Euro subventioniert werden, wurden für das Jahr 2011 analysiert. Das Ergebnis ist für die Auftraggeberin schlicht desaströs. Schon der ominöse Linksextremismusbegriff bleibt für die auswertenden Wissenschaftler schwammig. Dieser Linksextremismus scheint irgendwo zwischen Stasi, RAF und autonomer Antifa angesiedelt zu sein. Das zumindest suggerieren die unterschiedlichen Maßnahmen der geförderten Projekte. Die Wissenschaftliche Begleitung kann hier keine »inhaltliche Klammer« erkennen und sieht die Eingrenzung des Themas dadurch erschwert, »daß der Gegenstand ›Linksextremismus‹ noch nicht ausreichend erforscht und spezifiziert ist«. Die Hälfte der geförderten Projekte lehnt gar den Begriff »Linksextremismus« weitestgehend ab, da er »nicht ausreichend gefüllt« sei und die Extremismustheorie »als wissenschaftlich zu umstritten angesehen wird«. Eine schallende Ohrfeige für die Mutter aller Extremismustheorien, Kristina Schröder!
Der Linksextremismusbegriff entpuppte sich demnach als hinderlich, um überhaupt an das anvisierte »linksextreme« Klientel heranzukommen, das diese vorausverurteilende Fremdzuschreibung schlicht ablehnt. Als ebenso hinderlich beim Erreichen von Angehörigen der linken Szene erwies sich die Kooperation mit Partnern »die in linken Kreisen wenig Vertrauen genießen« wie Polizei und Verfassungsschutz. Auch die Extremismusklausel empfanden mehrere der Projekte gegen Links als hinderlich, da eine »große Unsicherheit« besteht, welche Kooperationen sie eingehen können, ohne selber gegen diese »Demokratieerklärung« zu verstoßen.
Unter den Zuwendungsempfängern befinden sich mehrere Wissenschaftsprojekte, die über das Phänomen Linksextremismus beziehungsweise die Autonomen forschen wollen – offenbar ebenfalls mit mäßigem bis ausbleibendem Erfolg. So besetzten Studierende der Evangelischen Hochschule Hamburg im April 2011 das »Institut für soziale Praxis«, um gegen eine im Rahmen der Bundesprogramme laufende Studie zu »linksextremen Jugendlichen« zu protestieren. Die Hochschulkonferenz forderte die Rückgabe der Forschungsgelder für das Projekt an das Familienministerium. Das daraufhin eingestellte Forschungsprojekt krankte zuvor schon daran, keine »linksextremen Jugendlichen« aus der autonomen Szene für Interviews gewinnen zu können.
Auch ein Antigewalttraining des Violence Prevention Network für linke Jugendliche, die bei Demonstrationen straffällig wurden, floppte: »Die Erfolgsquote ist in diesem Fall mit bisher einem Teilnehmer sehr gering«, heißt es geradezu euphemistisch in der DJI-Evaluation. Der mangelnde Erfolg dieser Maßnahme wurde besonders darauf zurückgeführt, daß viele der von Sicherheitsbehörden zu Linksextremisten erklärten Randalierer sich als gänzlich unpolitische erlebnis-orientierte Jugendliche erwiesen. »Plastisch« macht die Studie die unterschiedliche Bewertung »linksextremistischer« Straftaten durch Sicherheitskräfte und Täter am Beispiel angezündeter Autos deutlich. Wurden brennende Autos von Unionspolitikern immer wieder als Beweis für einen massiven Anstieg linker Gewalt gewertet, so hält die Berliner Polizei nur noch ein Viertel der Brandstiftungen für politisch motiviert, und die Hamburger Polizei geht gar nur von sechs Prozent politisch motivierten Tätern aus. Und auch da ist die linke Zuordnung mehr als fragwürdig. »Wenn der (ein »Hartz IV«-Empfänger; U. J.) sich etwa ärgert, daß sich ein anderer noch ein Auto leisten kann und durch die Straßen geht und es anzündet, rechnen wir es als linkspolitsche Tat«, hatte ein Berliner Polizeisprecher das Motiv »Frust« zur linken Überzeugungstat erklärt.
Für »problematisch« hält die Wissenschaftliche Begleitung, daß Ansätze, die zur Bekämpfung des Rechtsextremismus entwickelt wurden, auf Linke übertragen werden. Parallelen in den Radikalisierungsprozessen, Ein- und Ausstiegskarrieren, den Charakterstudien oder den Einstellungsmustern zwischen Rechts- und »Linksextremismus« seien nicht belegt beziehungsweise nach Einschätzung einiger Wissenschaftler gar nicht vorhanden. Aussteigertelefone, wie sie etwa für Neonazis aufgrund der massiven Bedrohung von Abtrünnigen in der rechten Szene seit langem existieren, werden nicht benötigt. Denn in der linken Szene gilt: »Wer keine Lust mehr hat, geht einfach.« Abgesehen von Besuchen in der Stasi-Gruselstätte Hohenschönhausen finden auch keine Begegnungen mit »Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des DDR-Regimes« statt. Die Wissenschaftliche Begleitung sieht einen möglichen Grund dafür darin, »daß eine kritiklose Befürwortung des autoritären DDR-Staates, auch nach Erfahrungen der Projekte, unter (linken) Jugendlichen kaum existent« sind. Erstaunt zeigen sich die Wissenschaftler gleichzeitig, daß aktuelle gesellschaftspolitische Fragen mit »linkem Bezug« wie Globalisierung oder Bankenkrise von keinem der geförderten Projekte explizit aufgegriffen wurden. »Hier besteht bei den Modellprojekten Potential, stärker als bisher, an den Interessen linkspolitischer Jugendlicher anzuknüpfen«, rät die Wissenschaftliche Begleitung. Der Zwischenbericht benennt als Adressaten neben dem Familienministerium ausdrücklich die »interessierte Fach- und breitere Öffentlichkeit, denen die Erkenntnisse der Wissenschaftlichen Begleitung zugänglich gemacht werden sollen«. Doch Öffentlichkeit scheut Schröders Ministerium angesichts der schlechten Noten offensichtlich. Der Bericht wurde zurückgehalten und nur die Veröffentlichung einer Kurzfassung in Aussicht gestellt. Auch das Deutsche Jugendinstitut verweigerte gegenüber der Presse die Herausgabe der Studie. Nachdem Schröder dann noch der Berliner taz vorwarf, in einem Bericht zur Studie »sehr schlecht recherchiert« zu haben, stellte das Blatt die Expertise, in dessen Besitz es gelangt war, in voller Länge auf seine Internetseite.
Allzu viel Schaden dürften die Schröderschen Projekte gegen Linksextremismus bislang noch nicht in den Köpfen der Bürger angerichtet haben. Nur wer vorher schon der Überzeugung war, daß alles Linke Teufelszeug ist, dürfte diesem Projekten etwas abgewinnen. Doch die aus rein ideologischen Motiven geschaffenen Anti-Extremismus-Programme ziehen Gelder ab, die zur Bekämpfung des Neofaschismus benötigt werden. Dies und die gleichzeitige Fesselung bürgerschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus durch die Schrödersche Extremismusklausel sind der wahre Schaden.
Den Rechtsextremismus hat Frau Schröder dabei keineswegs aus dem Auge verloren, wie das Projekt »Dortmund den Dortmundern« beweist. In der Ruhrgebietsmetropole, die seit Jahren als eine Hochburg der gewalttätigen Autonomen Nationalisten gilt, sollen 30 Neonazis mit 30 »demokratischen« Jugendlichen über den richtigen Weg für Dortmunds Zukunft diskutieren. 115.000 Euro ist dem Familienministerium der Agitationsworkshop für die örtliche Naziszene wert. Da bleibt einem nur noch die Spucke weg.