Das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper war eine der zentralen Forderungen der Frauenbewegungen der 1970er Jahre. Heute wird Selbstbestimmung oft eingefordert, ohne nach der sozialen Bedingtheit der Wünsche zu fragen. In einer auf Zwängen, Ungerechtigkeiten und Konkurrenz beruhenden Gesellschaft kann es keine wirklich freien Entscheidungen geben. Beispiele sind die weitverbreitete und schon zum Standard gewordene Anwendung von Pränataldiagnostik (PND) und die kürzlich erfolgte Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Beide Diagnoseverfahren bedeuten nicht, wie die Forderung nach Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch (StGB), daß die Frau allein darüber entscheidet, ob und wann sie Kinder haben will – oder eben nicht. Sie suggerieren die Möglichkeiten zur »Normalisierung« und »Optimierung« und machen die Entscheidung über die eigene Lebensführung mit Kind zu einem selektiven Prozeß, indem einmal gewünschte Kinder aussortiert werden (können). Es ist zudem schwierig, die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch oder das Austragen einer (ungewollt) eingetretenen Schwangerschaft ohne Fremdbestimmung zu treffen, solange der § 218 im Strafgesetzbuch steht, solange die Abtreibung ein moralisches Problem ist und solange fundamentalistisch-christliche alte Männer, die selbst keinen Sex haben dürfen, darüber entscheiden.
Für christliche Fundamentalisten, die das Recht auf Selbstbestimmung grundsätzlich in Frage stellen, ist jede Abtreibung Mord, Sterbehilfe und Abtreibung nach PND bezeichnen sie als »Euthanasie«. Sie fordern das bedingungslose Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und reproduktiven Technologien, weil nur Gott allein über Leben und Tod bestimmen soll und jedes Kind ein »Gottesgeschenk« ist. (Nicht nur) Atheistinnen und Freidenkerinnen können die Entscheidung für oder gegen ein Kind nicht in die Hände eines Gottes – welchen Gottes auch immer – geben; auch nicht in die des Papstes oder eines Arztes. Sie haben es da schwerer als christliche Fundamentalistinnen, denn sie sind selbst dafür verantwortlich, unter den Umständen, in denen sie leben, zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht.
Sie als Mörderinnen zu bezeichnen oder der »Euthanasie« zu bezichtigen ist nicht nur falsch – denn Abtreibung ist unter bestimmten Bedingungen auch in der gegenüber fast allen EU-Ländern hinterherhinkenden BRD legalisiert –, sondern stellt auch eine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen dar. Der fragwürdige Begriff Selbstbestimmung sollte von Feministinnen nicht vorschnell aufgegeben werden, sondern (wieder) politisch gefüllt und mit einer Kritik an machtförmigen, ökonomischen und bevölkerungspolitisch determinierten Begrenzungen verbunden werden.
Mediale Aufmerksamkeit hat die Diskussion über die beiden katholischen Krankenhäuser in Köln bekommen, die eine wehrlos und entscheidungsunfähig gemachte und mutmaßlich vergewaltigte Frau abgewiesen hatten, weil sie kein Beratungsgespräch über die Pille danach führen wollten. Die katholischen Krankenhäuser sind nicht die einzigen. Nach den Erfahrungen von pro familia sind auch viele Notfallmediziner an staatlichen Kliniken unsicher oder abweisend. Der Verband hatte im Dezember 2009 und Januar 2010 eine Befragung durchgeführt, bei der 34 Prozent der Frauen angaben, daß Ärzte in Notdienstzentralen die Pille danach – aus welchen Gründen auch immer – nicht verschrieben. Der Verband und führende Gesundheitspolitikerinnen fordern schon lange die Rezeptfreiheit der Pille danach. Sie verhindert oder verschiebt den Eisprung bei rechtzeitiger Einnahme so, daß keine Befruchtung stattfinden kann. Sie sollte spätestens 72 Stunden nach einer »Verhütungspanne« eingenommen werden. Die Verhütungspille ist in 28 europäischen Ländern rezeptfrei erhältlich. Es gibt inzwischen Langzeitstudien, die Nebenwirkungen widerlegen.
Am 21. Februar 2013, zum Abschluß ihrer Frühjahrsvollversammlung in Trier erklärte die Deutsche Bischofskonferenz, daß in katholischen Krankenhäusern Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, »selbstverständlich menschliche, medizinische, psychologische und seelsorgliche Hilfe erhalten. Dazu kann die Verabreichung einer ›Pille danach‹ gehören, insofern sie eine verhütende und nicht eine abortive Wirkung hat.«
Ausdrücklich betonen die Bischöfe in ihrer Erklärung: »Medizinisch-pharmazeutische Methoden, die den Tod eines Embryos bewirken, dürfen weiterhin nicht angewendet werden.« Damit präzisierten die Bischöfe lediglich die Stellungnahmen des Kölner Erzbistums, in denen zunächst die Tötungsabsicht bei der Einnahme der Pille danach zum moralischen Ausschlußkriterium gemacht worden war. Wie können katholische Bischöfe über den Bauch der Frau entscheiden? Ausgerechnet im Jahre 1968 hatten sie verkündet, es sei »daran festzuhalten, daß die Frage, ob und unter welchen Umständen eine Geburtenregelung zulässig ist, nicht der Willkür der Ehepartner überlassen werden kann«. Und Papst Paul VI. verkündete im gleichen Jahr in einem Lehrschreiben über »die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens« die »Untrennbarkeit von liebender Ver-einigung und Fortpflanzung«. Damit werden Frauen auf ihre Gebärfähigkeit reduziert, und Homosexualität wird als nicht »zielführend« diskriminiert. Der Kölner Erzbischof Meisner änderte seine Haltung unter dem Druck der Öffentlichkeit nur im Blick auf die Behandlung von Frauen nach einer Vergewaltigung, denn das Kölner Erzbistum rechtfertigte dies damit, daß Sex nur zwischen Eheleuten statthaft ist und es nach einer Vergewaltigung »um die Verhinderung einer verbrecherischen Befruchtung« gehe.
Frauen müssen Unterstützung zur Wahrnehmung ihrer Rechte erfahren, unabhängig von ihrer Herkunft, familiären, sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Situation. Notwendig sind umfassende und leicht zugängliche Informationen, verbesserte Aufklärung und freier Zugang zu Verhütungsmitteln, dazu gehört auch die Pille danach – ohne Rezeptzwang. Notwendig ist von der Kirche unabhängige, qualifizierte, freiwillige Schwangerenberatung und – bei ungewollter Schwangerschaft – der Zugang zu sicherem Schwangerschaftsabbruch. »Kirche raus aus den Gebärmuttern!« Diesem Spruch, den eine junge Frau auf einer der zahlreichen Gegendemonstrationen gegen die Abtreibungsgegner auf ihrem T-Shirt trug, ist nichts hinzuzufügen.
Die Autorin war bis Mai 2010 Bundesvorsitzende von pro familia.
Zum Weiterlesen: Kritische Feministinnen: »Positionspapier Neue Reproduktionstechnologien – Selbstbestimmung – Selektion«, Bezug unter anderem über: kritische_feministinnen@riseup.net. Familienplanungszentrum – Balance (Hg.): »Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter-)nationalen Raum«, AG SPAK Bücher, 95 Seiten, 14 €