»Es ist das Ende des Egoismus und der Anfang der Brüderlichkeit. Es ist das Ende des Individualismus und der Beginn des Kollektivismus ... Die Wissenschaftler wissen sehr wohl, daß dies das Ende eines anthropozentrischen und den Beginn eines biozentrischen Lebens markiert.« So hat sich Evo Morales am 21. Dezember 2012 geäußert. Vor seine prophetische Vision hat der bolivianische Präsident – von seiner ethnischen Herkunft her ein Aymara – eine zeitliche Markung gesetzt: Er hat darauf hingewiesen, »daß laut Maya-Kalender der 21. Dezember das Macha-Ende und den Pacha-Beginn« kennzeichne. Auf diese Weise hat er all dem Weltuntergangs-Gequatsche der vorangegangenen Monate einen Schlußpunkt gesetzt!
Doch sind Weltuntergangs-Phantasien beileibe keine Erfindung der Neuzeit. Vor allem Religionen und deren Künder haben in allen Vergangenheiten derlei Schreckenspiele getrieben, auch und vor allem mit der Angst einfacher, indes oft gläubiger Zeitgenossen – dies in sozial zerfurchten Ordnungen, Klassen-Unordnungen eben!
Man findet derlei in uralten indischen Prophetien, im Islam sowie in altamerikanischen und auch neueren Religionen, im Judentum und vielfach im Christentum, also in Denk- oder Glaubensmodellen mit individuellen Heilsangeboten. Das ist dann auch mit Vorstellungen vom »Tag Jahwes« oder dem »Jüngsten Gericht« und vor allem sogenannten Endzeit-Vorstellungen und mitunter mit humanistischen, gar sozialrevolutionären Utopien verbunden.
Weltuntergänge – und unter Welt verstand man das Gebiet, was man halbwegs überschaute. Der Kosmos war noch klein, und Sternzusammenstöße waren trotz intensiver Himmelsbeobachtungen durch Gelehrte, die meist Priester waren, kaum erkennbar. Kosmogonie (griechisch »Weltentstehung«) und Kosmologie (Lehre vom Weltall als Ganzem) waren noch unentwickelt und vorrangig magisch-religiös bestimmt, etwa bei den Babyloniern und Mesopotamiern, später bei den Griechen. Sie entwickelten sich erst in der Neuzeit, etwa ab Descartes, zu den modernen Naturwissenschaften. Diese entdeckten in Mikro- und Makrokosmos gewaltige Umbrüche, die auch Untergänge alter Kosmen als Entwicklungssprünge darstellen können.
Ähnliche Themen, oft auch zu künstlerischen Stoffen geronnen, enthalten altgermanische Untergangssagen, das Weltende heißt da Ragnarök. Stoffe, aus denen Richard Wagner seine »Götterdämmerung« oder – wieder christlich – seinen Gral als Symbol einer jenseitlich besseren Welt hergeholt hat.
Bezeichnenderweise hat man sie so hart nicht in den eher heiteren griechischen und römischen Geschichten der Antike – die mediterranen Völker lieferten sie lieber realiter und ließen sie zur Kunst gerinnen (Trojamythos) oder praktizierten Untergänge politisch wie die hellenischen Nachfolger Alexanders, schließlich praktisch wie die Römer – erst ging West-, dann Ostrom unter. Doch ganz ohne Untergangs-Ideen waren auch sie nicht, um nur Hesiod, Platon oder Aristoteles zu nennen; und als Dichter Vergil.
Auch der alte Judengott Jahwe hatte solche Vorstellungen, diese seine mißratene Welt im alten Ozean untergehen zu lassen. Lag in dieser Vision bereits eine jüdische Ahnung, wie viele Fast-Untergänge ausgerechnet das jüdische Volk wird erleiden müssen?! Juden nannten solchen Untergang »Armageddon«; Zeugen davon gaben solche Epen wie das »Buch Henoch«, ja letztlich entstammt auch der Messias-Stoff mit seinem Hoffnungspotential diesen Epochen.
Die Christen waren konkreter, freilich auch verlogener.
Ausgerechnet im Dezember des Jahres 999 ließ Papst Silvester II. einen Weltuntergang für den 31. des Monats ankündigen – es sollte einfach keinen 1. Januar mehr geben. Der kam aber doch dank seiner – also des Kirchenfürsten – Gebete, und alles ging weiter, konfliktbeladen wie immer. Was haben dafür nachher die Völker zahlen müssen! Diese Herren nahmen doch immer.
Das Christentum übernahm von abrahamitischer Tradition einiges und entwickelte Endzeitvorstellungen, am stärksten im Johannes-Evangelium. Niemand hat solch große Bilder der Apokalypse entwickelt wie die Christen. Solches geht nur bei Vorstellungen eines Jenseits als besserer Welt. Freilich: Ein Martin Luther hatte 1585 sinnigerweise empfohlen, beim Weltenende ein »Apfelbäumchen« zu pflanzen.
Die meisten Renaissance-Dichter dachten eher positiv, Weltuntergänge spielten eine eher geringe Rolle. Im Europa des 17. Jahrhunderts kamen immer wieder solche Bilder auf – in den vierzig Jahren der französischen Hugenottenkriege und im Dreißigjährigen europäischen Krieg in Deutschland. Bürgerliche Aufklärung und Französische Revolution beförderten andere Bilder, die Klassik erst recht. In der Romantik kamen sie wieder, doch arg klein, und da trieb sie Heinrich Heine hinaus oder machte sie revolutionär.
Im 20. Jahrhundert rückten solche Untergänge über politischen Zerfall alter Systeme und militärische Erfindungen und Praxis zweier Weltkriege bis Hiroshima sehr nahe. Die Literatur von Thomas Mann über die Expressionisten wie Jakob Hoddis »Weltende«, Erich Kästner »Das letzte Kapitel«, Paul Zech »Deutschland, dein Tänzer ist der Tod« bis hin zum jüdischen Dichter Leo Perutz variiert das Thema, doch im Sinne des Widerstandes gedacht. Jörg Zink beschrieb »Die letzten sieben Tage der Schöpfungsgeschichte«; Michail Bulgakow führte das Thema in seinem opus magnum, dem Roman »Der Meister und Margarita« ein und durch.
Ein besonders belangvolles Theaterstück ist vom Österreicher Jura Soyfer (herkunftsmäßig ukrainischer Jude) »Der Weltuntergang – Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang«, um 1936 entstanden und in einem Wiener Cafétheater (nur für 50 Personen zugelassen, nur auf solcher Bühne zensurfrei) uraufgeführt worden: Die Sonne ist unzufrieden mit der kriegerischen Erde und beauftragt den Kometen Konrad, diese zu zerstören. Konrad umfliegt die Erde, lernt sie lieben. Er hört Wiener Chansons wie das der Straßensänger »Gehen ma halt a bisserl unter«, bemerkt das Wiener Laissez-faire, doch auch den Willen zum Widerstand. Er kehrt zurück und verteidigt die Erde vor dem Rat der Planeten. Sein »Kometensong« wurde später zum »Lied von der Erde«, welches ich 1951 von der Bühne auf den Treppen vor dem heutigen Konzerthaus anläßlich der damaligen Weltfestspiele der Jugend und Studenten gemeinsam mit einer jungen Sprecherin vorgetragen hatte – die Erstaufführung für Berlin. Es sei hier vollständig zitiert:
Denn nahe, viel näher, als ihr es begreift,
Hab ich die Erde gesehn.
Ich sah sie von goldenen Saaten umreift,
Vom Schatten des Bombenflugzeugs gestreift
Und erfüllt von Maschinengedröhn.
Ich sah sie von Radiosendern bespickt;
Die warfen Wellen von Lüge und Haß.
Ich sah sie verlaust, verarmt – und beglückt
Mit Reichtum ohne Maß.
Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß.
Denn nahe, viel näher als ihr es begreift,
Steht diese Zukunft bevor.
Ich sah, wie sie zwischen den Saaten schon reift,
Die Schatten vom Antlitz der Erde schon streift
Und greift zu den Sternen empor.
Ich weiß, daß von Sender zu Sender bald fliegt
Die Nachricht vom Tag, da die Erde genas.
Dann schwelgt diese Erde, erlöst und beglückt,
In Reichtum ohne Maß.
Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß!
Das ist fürwahr eine Absage an jede Art von Untergang. Nach Auschwitz und Hiroshima kaum noch erfahrbar. Und dennoch: So lange es durchzuhalten ist, sollen diese Verse sag- und sangbar sein – sie sind ein Stück »Prinzip Hoffnung«; auch Ernst Bloch hat sie geschätzt. Das Lied gibt immer noch Kraft – gegen den Untergang! Und darum seien die letzten Verse aus Evo Morales’ Ansprache an unsere Erde gesetzt: »Es ist das Ende des Hasses und der Beginn der Liebe. Das Ende der Lügen und der Beginn der Wahrheit./ Es ist das Ende der Trauer und der Beginn der Freude./ Es ist das Ende der Teilung und der Beginn der Einheit.// Dies ist ein Thema, das in der Menschheit entwickelt werden muß./ Darum laden wir diejenigen dazu ein, die ihre Fähigkeiten zum Wohle der Menschheit teilen wollen.«
Wer in dieser Erdenwelt ist noch zu solchem Optimismus fähig?