Kamerafahrt durch leere Räume, Zimmerfluchten, immer neue Türen. Davor und darunter Tänzer, die mit dem Kopf an eine Wand schlagen. Keine Tür, kein Fenster. Die Kampnagel-Bühne in Hamburg ersetzt den Steinbruch bei Avignon. Dort wurde im letzten Sommer das Tanztheaterstück »Puz/zle« des marokkanisch-belgischen Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui uraufgeführt. Hier in Hamburg bestehen die Quader, Klötze, Podeste nur optisch aus Stein – sie müssen bewegt werden, verschoben, aufgetürmt, umgeworfen. Die elf Tänzer und Tänzerinnen der Gruppe »Eastman« aus Antwerpen, sie kriechen wie eine riesige Raupe über die Treppenstufen oder werden zum Tausendfüßler, der in seinen unzähligen Armen Steine hält. Die Tänzer, alle schwarz gekleidet – eine Menge, die einen Außenseiter steinigt. Sie werfen von oben in eine Grube. Das Opfer, erst sichtbar, wenn eine Wand weggeschoben wird. Steine als Waffen, die auch einmal drohend gegen das Publikum erhoben werden. Das ist fasziniert von den immer neuen Bildern, die die Tänzer schaffen. Und von der Musik. Die sechs Männer der korsischen Gesangsgruppe »A Filetta« bilden einen Ruhepol mit ihren Harmonien, sie können auch anfeuern. Bewegung und Musik – eine Einheit. Die libanesische Sängerin Fadia Tomb El-Hage reißt die Zuhörer mit. Wer den Text nicht versteht – ihr klagender Gesang öffnet Klangräume. Genauso wie das Flötenspiel des japanischen Musikers Kazunari Abe, der auch mit seinen Trommeln die Tänzer antreibt. Die schlagen mit Steinen auf den Boden – protestierend, oder nur der Akustik wegen? Mit den Pflastersteinen läßt sich eine Grenze quer über die Bühne ziehen.
Tempel werden errichtet und Statuen. Die Tänzer haben eine weiße Toga umgelegt. Sie versuchen sich im Bogenschießen, im Spielen von Instrumenten – alles imaginär. Sie werden zu lebenden Skulpturen, an denen ein Steinmetz meißelt und bohrt. Die manchmal rituell wirkende Aufführung wird hier gebrochen – durch Komik. Und wieder ein Zu-Stein-Werden, zur Riesenskulptur, zum Denkmal. Ein Wechsel in Alltagskleider. Mauern sich die Tänzer ein? Werden sie von einer Platte erschlagen? Einer steht da wie ein Fakir. Seine Hände tanzen. Indische Mudras? Ein Puzzle der Kulturen.
Eine Skulptur, sie wird aus einem Gefäß gezogen, weiß wie aus Gips, fast nackt. Klein und zerbrechlich, beinahe noch ein Kind, steht sie dann oben auf den Stein-Trümmern, lebendig geworden. Ein Heilsbringer, wie ein Jesuskind? Die andern huldigen ihm. Dann beginnt einer, etwas auf eine Wand zu zeichnen: ein geöffnetes Fenster. Wunschprojektion? Ein paar Blumen mit blauer Farbe daneben gesprüht. Die kleine weiße Gestalt bekommt auch etwas ab. Da, wo das Herz ist, leuchtet ein blauer Fleck. Herzjesuwunde – blau? Egal, die Tänzer begeistern, gerade weil sie mehr bieten als reine Kunst.
Wie am Anfang: die Kamerafahrt durch geöffnete Türen. Ein Tänzer davor scheint hindurchzulaufen. Jetzt erst fällt die Wand. Alle laufen wild durcheinander, kriechen am Boden, der sich auftut. In den Spalten versinken die Tänzer. Nur einzelne Körperteile ragen noch hervor. Es wirkt nicht komisch. An welche Mauern dachte der Choreograf? An jene, die Kulturen und Religionen trennen?