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Titel614

Die »Zersetzungsmaßnahmenplanungsrepublik«  (Ralph Hartmann)

Er war, wie es so seine Art ist, ein wenig übereifrig. Noch bevor der Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und allzeit wachsame politische Sittenwächter die jüngste zweiteilige »Dokumentation« über die DDR gesehen hatte, twitterte Hubertus Knabe: »Das ZDF strahlt eine neue Doku zur DDR aus: ›Es war nicht alles schlecht‹. Mehr Zynismus gegenüber den Opfern einer Diktatur geht nicht.« Es wäre wohl besser gewesen, wenn er die Ausstrahlung der »Doku« abgewartet und sich auch ein wenig an den Einschätzungen der Leitmedien orientiert hätte.

Springers Welt überschrieb ihren Beitrag: »Es war nicht alles schön in der DDR« und bescheinigte dem ZDF, seinen »Bildungsauftrag« erfüllt zu haben. Und die FAZ meinte gar: »Der Satz ›Es war nicht alles schlecht‹ gehört zu den Allzweckwaffen im Aufklärungsgeschäft über das wahre Leben in der DDR … Ohne Pathos und pädagogische Zeigefinger wird das Urteil dem Zuschauer überlassen.«

Wie objektiv und sachlich der Zuschauer informiert wird, zeigen sowohl der erste als auch der zweite Teil der Sendung. Allerdings unterscheiden sich beide höchst bemerkenswert. Teil 1 gibt sich den Anschein der Objektivität. Schöne farbenprächtige Bilder scheinen Filmen der DDR-Auslandsinformation entnommen zu sein. Doch kaum wird eine nicht wegzuleugnende positive Tatsache genannt, wird sie wenig später mit Entstellungen und Lügen zugeschüttet und, wenn möglich, in ihr Gegenteil verkehrt. Die Frankfurter Rundschau hat das erkannt und stellte erleichtert fest: »Der Titel dieser … Dokumentation ließ zunächst befürchten, es werde ein Loblied auf Vollbeschäftigung, Emanzipation und Kinderreichtum gesungen. Dankenswerterweise entlarven die beiden Filme den Titel als pure Ironie. Im ersten Teil kamen eine Vielzahl positiver Aspekte zur Sprache, aber der Verdacht der Verklärung wurde umgehend zerstreut, weil die meisten Dinge dank der sorgfältig ausgewählten Zeitzeugen als Propaganda relativiert wurden.« Wie das geschieht, zeigen zwei willkürlich ausgewählte Beispiele:
Untermalt mit freundlichen Filmausschnitten berichtet der Moderator in sachlichem Ton: »Wohnungen sind in der DDR keine Renditeobjekte. Alle Mieten werden wie Grundnahrungsmittel subventioniert. Und Kindergärten sind auch längst nicht so knapp wie im Westen … Das ist unter anderem eine ökonomische Notwendigkeit, denn die DDR ist in Europa das Land mit den meisten berufstätigen Frauen. Drei von vier arbeitsfähigen Frauen gehen einem Beruf nach …« Plötzlich wechselt der Tonfall zu aufklärerisch-anklagender Diktion: »Arbeitskräfte sind knapp. Frauen werden in der Produktion gebraucht. Und neben Beruf und Familie sollen sie sich auch noch für den Sozialismus engagieren!« Und exakt an diesem Punkt kommt eine der »sorgfältig ausgewählten Zeitzeugen« zu Wort, die ehemalige DDR-Leistungssportlerin Ines Geipel, Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, die das schwere Los der ostdeutschen Frauen beklagt und mit keinen Widerspruch duldender Stimme der Wahrheit Geltung verschafft: »Es gehört zu einer der großen Lügen über die DDR, ja, die Frauen-Emanzipationsgeschichte. Sie waren ja letzten Endes die großen Verlierer. Sie mußten ja auf den verschiedensten Ebenen leisten, leisten, leisten!«

An anderer Stelle wird sachlich berichtet, daß »die ganztägige Betreuung in Krippen und Kindergärten die volle Beköstigung (einschließt), bei nur 17 Mark Kosten für die Eltern«. Dazu gibt es anrührende Filmausschnitte über Mädchen und Jungen bei der gemeinsamen Mahlzeit in einer Kinderkrippe. Der Kommentar dazu aber lautet: »Schöne Bilder fürs DDR-Fernsehen! Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Krippenkinder in der DDR sind oft krank, und über die vielen Bettnässer spricht man nicht!« Hier meldet sich die brandenburgische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Ulrike Poppe, zu Wort: »Und die Krippen waren alle überfüllt. Es gab ja keine Arbeitskräfte, so daß da manchmal Aushilfskräfte für 21 Kinder oder so zuständig waren, und selbst bei bestem Bemühen war nicht mehr möglich als so ‘ne reine Versorgung.«

Im zweiten Teil der »Doku« kommt es zu einem Bruch. Auf schöne Bilder und auf eingestreute halbwegs sachliche Informationen wird völlig verzichtet. Jetzt »war alles schlecht in der DDR«. Schlag auf Schlag werden Stereotype über den untergegangenen Staat aneinandergereiht: »Willkür«, »Gefängnis«, »grauer Alltag«, »Mangelwirtschaft«, »Unzufriedenheit«, »zu kaufen gab es nichts«, »Grenze, Minenfelder«, »Stasi, Einschüchterung, Festnahmen, Abhöranlagen, staatliche Schikanen, Sterben im Stasi-Gefängnis«, »Polizeistaat«, »Staat, der seine eigenen Bürger terrorisierte«, »Überwachungsrepublik«, »Zersetzungsmaßnahmenplanungsrepublik«, »Republik des Psychoterrors«.

Kalter Krieg, Technologieembargo, Wirtschaftskrieg, Abwerbung von Fachkräften und andere bundesdeutsche Wohltaten für die DDR bleiben unerwähnt. An »sorgfältig ausgewählten Zeitzeugen« mangelte es nicht, darunter, um nur einen zu nennen, Ilko-Sascha Kowalczuk, dessen emsige Tätigkeit als Mitarbeiter der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde ungenannt bleibt. Noch zum 20. Jahrestag der »Wiedervereinigung« erinnerte er sich im Bonner Generalanzeiger mit Stolz daran, daß er ihn noch nach dem Mauerfall kontrollierenden DDR-Grenzsoldaten zurief: »Ihr gehört alle an die nächste Laterne!«, um fortzufahren: »Aber ich fühlte mich nach all den Jahren im Recht, übrigens auch heute noch.« Ein wunderbarer Zeitzeuge! Dagegen ist sein jetziger Chef ein Waisenknabe. Er gibt in der »Doku« wenigstens zu, »ein schönes Leben« in der DDR gehabt zu haben, selbstverständlich »nicht wegen, sondern trotz des Staates«.

Alles in allem: ein schönes Kunstwerk, das einen Vorgeschmack auf die bevorstehenden Großjubiläen gibt. Weshalb Knabe als Einziger schon im Titel einen »Zynismus« sah, bleibt sein Geheimnis. Mit der scharfen Kritik daran geht es ihm wie dem Hirten in Ludwig Uhlands »Schäfers Sonntagslied«: »Das ist der Tag des Herrn. Ich bin allein auf weiter Flur.« Vielleicht war er auch erzürnt, daß er in dem dokumentarischen Opus magnum nicht als bestinformierter Zeitzeuge auftreten durfte. Schließlich wußte er schon vom fernen Unna aus, daß es in der DDR soziale Sicherheit gab, denn »in einem Gefängnis gibt es immer soziale Sicherheit«.