Er gehört zur Avantgarde – ein Revolutionär war er nicht. Der 1872 in den Niederlanden geborene Piet Mondrian sah sich eher dem langsamen evolutionären Prozeß zugeneigt. Obwohl er in Paris 1912 einmal sein Atelier neben Diego Rivera hatte. In Hamburg versucht das Bucerius Kunst Forum in der Ausstellung »Mondrian Farbe« (bis zum 11. Mai, Katalog: 207 Seiten, 29 Euro) den Weg des Malers zu verfolgen. Von den Anfängen: Landschaften in erdigen gebrochenen Farben über die besondere Bedeutung des Lichts in Spiegelungen, zur intensiven Farbe von Türmen, Mühlen, Bäumen, zu kubistischen Einflüssen bis zur Entwicklung des Stils, den Mondrian selbst Neoplastizismus nannte und der ihn bekannt machte mit seinen abstrakten Werken in den Primärfarben.
Die frühen Bilder – wer denkt da an Mondrian? »Sommernacht« von 1907: eine neblige Landschaft mit einer Baumreihe, die sich im Silber des Flüßchens spiegelt, der Mond mit Hof wie ein Auge darüber. Symbolistisch? Das Licht an der Küste in Zeeland zog die Maler an. Mondrian begann dort mit Farbe zu experimentieren. Hochaufragende Bauwerke: Leuchttürme im glühenden Rot der Abendsonne, Kirchen oder einzelne Bäume. Der »Blaue Apfelbaum« (1908) – wie ein Gerippe, drohend vor schmutzigblauen Himmelsfetzen. Ganz anders ein Bild aus demselben Jahr: »Andacht« – ein Mädchen mit feuerrotem Haar, nach oben schauend zu einer Blume. Umgeben ist sie von wildem blaugelbem Farbgestrichel. Eine Aura? 1909 trat Mondrian der Theosophischen Gesellschaft in Amsterdam bei – wie viele Künstler damals. Das veränderte seine Sicht auf die Welt und die Kunst. Auch die Beschäftigung mit Goethes Farbenlehre gehörte dazu. Er hatte Vorträge von Rudolf Steiner besucht. Später, 1921, schrieb er Steiner einen Brief. Darin setzte er seinen Neoplastizismus zur Anthroposophie Steiners in Beziehung. Eine Antwort erhielt Mondrian nie.
In Paris, wohin er 1912 gezogen war, entstehen vom Kubismus inspirierte Bilder – die verwaschenen Farben, von den Abbruchhäusern gegenüber seinem Atelier entliehen. Sogar eine Reklame für Brühwürfel bezieht er mit ein (1914). Niederländische Künstler hatten sich 1917 zusammengeschlossen zur Gruppe »De Stijl«, um eine ganz neue Farb- und Formensprache zu entwickeln. Die gleichnamige Zeitschrift bot Mondrian ein Forum für seine grundlegende Schrift über die »Neue Gestaltung«. Sie sei ein Vorbild für die gesamte Kultur und werde, ausgehend von einer kleinen Gruppe, sich über die ganze Menschheit verbreiten. Das moderne Leben spiegle sich »in der vollständig gereinigten Malerei« wider. Aber auch der Krieg reinigte nichts. Das war in Holland.
1919 kehrt Mondrian nach Paris zurück und veröffentlicht ein neues Programm für die Kunst. Seine Bilder haben nun nichts Gegenständliches mehr, rautenförmige Kompositionen. An Farben läßt er nur rot, blau und gelb zu, schwarze Linien und den weißen Grund. 1925 werden Mondrians Forderungen in Deutsch veröffentlicht, in der Bauhausbücher-Reihe. Kurt Schwitters und Hannah Höch machen sich lustig über seine rechten Winkel und seinen Dogmatismus. Mondrian jedoch meint, in der Strenge sei die Freiheit enthalten. Und die Primärfarben drücken für ihn das Innerliche aus. Plaziert er sie deshalb oft ganz außen – wie in der » Komposition III« von 1937 das winzige Blau? Die »Rautenkomposition mit vier gelben Linien« von 1933: die unregelmäßigen gelben Streifen, die wie Bänder das gekippte weiße Quadrat umfassen, sie kreuzen sich außerhalb des Bildes, im Unsichtbaren. Kein Schwarz begrenzt den Blick. Der Rhythmus, dem sich alles unterordnen soll – hier scheint er gestört. Mondrian emigriert nach London und später nach New York, wo er 1944 stirbt.
Noch Fragen? Die Ausstellungsmacher laden zum 9. Mai, nach »exklusiven« Kurzführungen ins angeschlossene Restaurant zum »Ersten Internationalen Bucerius Quiz-Forum« ein: »Piet und der Neoplastiquizmus«. Ja, Fragen: Wie hätte Mondrian reagiert auf diese Vermarktung seiner Kunst, er, der noch in New York zwischen angestrichenen Apfelsinenkisten hauste?