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Titel615

Digitalisierungsglück?  (Arno Klönne)

So richtig zufrieden sind die professionellen Politiker in der Bundesrepublik derzeit nicht – zwar steht die hiesige Wirtschaft im internationalen Vergleich noch gut da, aber wer weiß schon, was aus all diesen Krisen im Außenfeld wird und was sie kosten werden – die Ukraine, Griechenland, das Euro-System ...


Ein Thema aber bietet sich an für optimistische Deutungen: Die »vierte industrielle Revolution« (oder, je nach wissenschaftlicher Begriffswahl, »dritte«, mitunter auch »zweite«), etwas vage »Digitalisierung« genannt. Kein Parteitag, kein Auftritt vor anderem Publikum – unentwegt sprechen die Kanzlerin, ihr Stellvertreter und andere politische Größen über diese »große Herausforderung«, welche deutsche Tüchtigkeit, dessen könne das Volk gewiß sein, »annehmen und bewältigen« werde, mit höchst erfreulichen Folgen für wirtschaftliches Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsmarkt.


In der Industrie und genauso bei den Dienstleistungen sollen intelligente Roboter und hochvernetzte Denkmaschinen, Programmierungskünste und Datenflut nutzend, anstrengende menschliche Arbeit ersetzen, die Produktivitätsrate rasant erhöhen; eine schöne neue Wirtschaftswelt bahne sich da an. Der Weg dorthin ist schon in vielen Branchen beschritten, vom Autobau über den Finanzservice und den Einzelhandel bis zum Gesundheitssektor.


Soweit, so geeignet für Politikerreden, die in gute Stimmung versetzen sollen. Allerdings ist die Frage: Wen? Die Verkäuferin im Einkaufsparadies, wo künftig die Kasse auch ohne sie klingelt? Den Bankangestellten, dessen Tätigkeit überflüssig wird? Oder auch die vielen Industriearbeiter, an deren Platz »humanoide Maschinen« rücken?


Nur ein Beispiel: Die VW-Aktiengesellschaft, weltweit ein Star in der Branche, hat neulich angekündigt, sie plane flächendeckend die Reduzierung von Personal, aus Rentabilitätsgründen; Roboter seien kostensparend. Der Betriebsrat mache mit, eine Stammbelegschaft könne weiterhin auf sichere Arbeitsplätze rechnen, und im übrigen habe das Wegdigitalisieren anstrengender körperlicher Arbeit doch gesundheitlichen Vorzüge. Außerdem kämen demographische Entwicklungen ( »die Babyboomer-Generation geht in Rente«) einer Sozialverträglichkeit des Stellenabbaus entgegen. (Siehe Ossietzky 5/2015, »Antwort« an Horst Neumann, S. 180.)


Und die Chancen des arbeitsuchenden Nachwuchses, auch der Immigranten? Die Möglichkeiten der jetzt »Freigesetzten«, in anderen Branchen, eine existenzsichernde neue Beschäftigung zu finden? Ohne Zweifel räumt die Digitalisierung in immer größerer Dimension menschliche Arbeit weg, eine Kompensation durch massenhaft neu entstehende Arbeitsplätze in innovativen Wirtschaftssektoren ist überhaupt nicht zu erwarten. Und bisher gut entlohnte Tätigkeiten werden in prekäre, schlecht bezahlte Zeit- oder Leiharbeit abgedrängt.


Wissen oder ahnen digitalisierungseuphorische PolitikerInnen dies nicht? Soviel Naivität sollte man ihnen nicht zuschreiben. Aber die meisten von ihnen neigen dazu, das Wohl des Volkes einzig als Wettbewerbserfolg deutscher Unternehmen im Weltmarkt zu definieren. Zudem herrscht in der Politik kurzfristiges Kalkül vor: Für die nächsten Wahlen, für das Vertrauen in »Regierungsfähigkeit« steht Marketing an, da müssen Gutwetterzeiten versprochen werden, wenigstens solche in der deutschen Ökonomie. Wenn durch Arbeitsplatzverluste die Binnenkaufkraft absinkt? Nur jetzt nicht daran denken, lieber die Legende verkünden, für die Bundesrepublik sei ein »FacharbeiterInnen-Mangel« das Problem, und wer qualifiziert sei oder sich qualifiziere, der trage die Eintrittskarte für den lohnabhängigen Wohlstand schon im Tornister.


Realistisch beschreibt Patrick Spät die Zukunft des Arbeitsmarktes (in der jungen Welt vom 21./22.2.2015) als »Horrorszenario«. Freilich sieht er darin auch eine Chance: Der Kapitalismus säge »den Ast ab, auf dem er sitzt«, nämlich die Profitmaschinerie, als Ausbeutung von menschlicher Arbeit und Gewinnschöpfung aus dem Massenkonsum. Diese Argumentation hat etwas Plausibles, nur: Der Gang auch der neuen »industriellen Revolution« geht schrittweise, es kann eine Weile dauern, bis der besagte Ast fällt, für die in der Gegenwart von Arbeit »Befreiten« ist das keine tröstliche Aussicht. Also werden sie jede Möglichkeit nutzen müssen, sich dem Abbau von Arbeitsplätzen entgegenzustellen, auch kollektive Selbsthilfe zu organisieren, mit den und ohne die Gewerkschaften. In der Geschichte historischer Arbeiterbewegung sind Anregungen dafür zu finden. Widerstand erfordert Aufklärung über die Realität: Anders als die politische Klasse es verkündet, ist nicht Menschenfreundlichkeit das Leitmotiv dieser »digitalen Revolution«, sondern Profitstreben. Die »humanoiden« Maschinen und Computer sind nicht auf Humanität programmiert.