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Titel615

Antworten

Cem Özdemir, Chancen suchend. – »Ganz nah bei der Bundeskanzlerin« – überschreibt die Neue Westfälische (Bielefeld) ein Interview mit Ihnen. Sie äußern darin Ihre ideelle Nähe zur Union, politpraktische ist damit angezielt, möglicherweise rücken Sie, jetzt Vorsitzender einer im Bund oppositionellen Partei, demnächst in das das Amt des Vizekanzlers ein. Bei den Grünen, sagen Sie, seien »Linke, Liberale und Wertkonservative« gebündelt. Aber mit »traditionell linkem« Gedankengut habe Ihre Partei nichts im Sinn, denn: Nicht »Umverteilung« strebe sie an, sondern »gute, transparente und partizipative Institutionen« und damit »gleiche Chancen für alle, unabhängig von Herkunft oder Geldbeutel«. »Umverteilung« – die müßten Sie als Grünenchef doch ohnehin nicht erst fordern, sie geschieht schon, ganz systematisch, mit durchschlagendem Erfolg. Von unten nach oben. Da hätte auch eine schwarz-grüne Bundesregierung nur eine Begleitrolle. Aber was mögen Sie mit den schönen »transparenten und partizipativen Institutionen« meinen, die Chancengleichheit bringen sollen? Vermutlich, beispielsweise, die Aufsichtsräte oder Vorstände von großen Konzernen. Da ist bekanntlich Transparenz gesichert, und Partizipation auch. Letztere jedenfalls, wenn auch grüne PolitikerInnen noch mehr Zugang dorthin erhalten, an deren Geldbeutel wird das nicht scheitern, sie müssen sich im Erfolgsfall eben einen größeren anschaffen.


Nachtrag zu einer Antwort. – Zu den von Horst Neumann bei VW künftig favorisierten »humanoiden Menschen« (s. Ossietzky 5/2015) und der Frage nach dem Verbleib der bisherigen Arbeiter gibt es eine alte, klassische Antwort, gefunden von der Ossietzky-Leserin Agnes Hasenjäger. Und zwar in Dieter Süverkrüps Kinderoper vom Auto Blubberbumm (technisch leider überholt – wer macht was Aktuelles?): Kalle hatte eine Freundin, nämlich eine große Maschine – er stellte allerdings fest, daß die nicht nur seine Arbeit machte, sondern dadurch auch sein und der Kollegen Arbeitsplatz verlorenging. Also fragt er seine Freundin: »Biste nun von uns die Freundin oder bist du die vom Boß?« Daraufhin tickert es aus ihrem Bauch – und damit ist alles gesagt: »Wenn ihr wollt, daß wir Maschinen endlich eure Freunde werd‘n, müßt ihr erstmal dafür sorgen, daß wir Maschinen euch gehörn.« So einfach, doch schwer zu machen.

Arno Widmann, Journalist. – In einem Nachruf auf Richard von Weizsäcker erwähnen Sie auch dessen Vater Ernst, der als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes einer der höchsten Beamten des NS-Staats war. In diesem Zusammenhang schreiben Sie, in der DDR seien »die alten Eliten nahezu vollständig getötet, verdrängt und vertrieben worden«. Wie bitte? Einer der gescheitesten, gebildetsten Schreiber der deutschen Presse wird doch nicht etwa eine solche fette Lüge verbreiten, oder? Wir lesen weiter, und da steht dann: »Zu den guten Seiten der Entwicklung der Bundesrepublik gehört gerade, daß es keinen Massenmord an den ehemaligen Eliten gab.« Ja, aus der Sicht der Flicks und Abs, der Globkes und Oberländers, der Gehlens und Heusingers und Speidels war es sicher eine gute Seite der BRD-Entwicklung, daß sie nicht verdrängt, nicht vertrieben oder gar getötet wurden, sondern ihre Karrieren fortsetzen durften. Wir nehmen zur Kenntnis, daß das jetzt auch Ihre Sicht ist. In dieser feinen Gesellschaft wird es Ihnen irgendwann auch noch gelingen, uns die Massengräber der in der DDR getöteten alten Eliten zu zeigen. Der Antikommunismus hat hierzulande schon vieles möglich gemacht. Aber müssen wirklich auch Sie die gewesene DDR (1949–1989) dermaßen dämonisieren? Wir meinen: Sie haben es nicht nötig, auf Bild-Niveau hinabzusteigen?