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Titel616

Das bundestrojanische Pferd und seine Jockeys  (Wolfgang Bittner)

Sehr geehrter Herr Verfassungsschutzpräsident!

Aus der Presse erfahre ich, dass die Bundesregierung den deutschen Geheimdiensten grünes Licht für den Einsatz des sogenannten Bundestrojaners gegeben hat. Danach – so lese ich – können unsere Sicherheitsorgane künftig mit einer speziellen Software in die Computer und Smartphones von Verdächtigten eindringen und deren Kommunikation überwachen. Obwohl ich als gesetzestreuer Staatsbürger wirklich nichts zu verbergen habe, muss ich gestehen, dass mich diese Eingriffsmöglichkeiten doch beunruhigen.


Wie ich den Presseberichten entnehme, hat das Bundesverfassungsgericht zwar entschieden, dass »heimliche Fernzugriffe« nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten Gefahr für Leib und Leben oder bei zu erwartenden Straftaten gegen die Grundlagen oder den Bestand unseres Staates vorgenommen werden dürfen.


Aber wie kann eine solche Gefahrenlage ermittelt und beweiskräftig festgestellt werden, ohne dass vorher bereits eine genauere Überwachung stattfindet? Ab wann, so frage ich mich, mache ich mich verdächtig. Gerate ich schon ins Visier des Verfassungsschutzes oder des Bundesnachrichtendienstes, wenn ich etwas tue, was unseren Staatsschutzbeamten ungewöhnlich erscheint?


Diese Frage quält mich seit Tagen und beunruhigt mich zutiefst. Denn ich engagiere mich in einer Friedensinitiative und beabsichtige, demnächst eine Friedensdemonstration anzumelden. Könnte ich dadurch eventuell eine Gefahr für Leib und Leben heraufbeschwören, und müsste ich deswegen – mehr als bisher – mit Überwachungsmaßnahmen rechnen?


Außerdem bin ich im Gegensatz zu unserer Regierung der Ansicht, dass wir aufgrund der Aggressionspolitik und der Aufrüstungsforderungen der NATO-Führung aus diesem Bündnis austreten sollten. Könnte es sein, dass ich damit eventuell die Grundlagen oder den Bestand unseres Staates gefährde?


Das alles lässt mich nicht mehr zur Ruhe kommen. Bevor ich mich nun dem Verdacht verfassungsfeindlicher oder sogar staatsgefährdender Aktivitäten aussetze und mich dadurch in ernste Schwierigkeiten bringe, bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sich zu den verbleibenden Möglichkeiten politischer Betätigung zu erklären. Denn für viele bisher unbescholtene engagierte Bürger wäre es fatal und beruflich äußerst schädlich, gerieten sie mit den Organen unseres Staatsschutzes in Konflikt.


Hochachtungsvoll
Ein zutiefst besorgter Bürger