Sie betritt die Bühne, nimmt die Brille ab, dreht sich nach allen Seiten für den Fotografen – ein Medienstar. Jeder kennt sie, aber: Wie kommt sie hierher, nach Hamburg in die Kampnagel-Fabrik? Sie sitzt doch im Untersuchungsgefängnis in München – Beate Zschäpe. Ihre täuschend echte Kunstfigur, hier spricht sie sächsisch. Gibt Erklärungen ab: nicht dabei gewesen, weder an den Vorbereitungen noch sonst wie beteiligt. Dann: »Ich entschuldige mich bei allen Opfern der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten – danke.« Stets wird sie dabei gefilmt.
Der erste Teil einer »Kwiskotheka« genannten Inszenierung heißt: »Wie das Lächeln aus dem Gesicht der Beate Zschäpe verschwindet.« Regie führte Branko Šimić, der auch das Festival »Krass« auf Kampnagel leitet.
Zum Stück. Es gab in den 70er Jahren eine Kultsendung in Jugoslawien: »Kwiskotheka«. Daran orientiert sich diese Neuauflage. Aber: Kann man in Form einer Quiz-Sendung, die Zuschauer miteinbezieht, dem Thema »NSU« gerecht werden? Ein agiler, wie immer etwas alberner Quizmaster (Manuel Muerte) konfrontiert das Publikum mit einem Fragespiel, greift sich einzelne Zuschauer und holt sie auf die Bühne. Als Preise gibt es Piccolo-Sekt. Der Quizmaster beginnt: »Heute geht es um Tote, kurz, um den NSU – den rechtsextremen Untergrund«, seine Stimme schwillt an. Auf einem Video: »Paulchen«, der rosarote Panther, der Comic-Klau des NSU-Trios. Und immer irgendwo auf der Bühne ein paar rosarote Gestalten in Plastikanzügen, auch das Gesicht ist rosa verhüllt – nur die Augen sind Löcher. Sie agieren als willige Helfer, assistieren durch Tanz, sehr akrobatisch. Sind sie das Volk? Eine Titelzeile: »Kopfschuss-Killer ist nicht zu fassen« – Bild? Ein rosa Männlein trägt Trenchcoat und Hut.
Die Quiz-Kandidaten müssen rote Knöpfe drücken. Frage. »Wie lautete der Spitzname von Beate Zschäpe?« Ja, »Diddl-Maus«. Richtig, »Toll, dass Sie hier sind, Frau Zschäpe«, streut er ein, nebenbei. Kandidat A gewinnt haushoch. Der Moderator stellt Fragen zum Thüringer Heimatschutz, zum Verfassungsschutz. Sein Kommentar: »Hier ist ein Bezug zu den Morden sehr wahrscheinlich.« Dann wird der Gast vorgestellt, sie sei noch ein wenig schüchtern nach so vielen Jahren im Gefängnis, so blass. Er fragt nach ihrem Alkoholkonsum. Sie liest vom Blatt ab – ihre Formulierungen vor dem Gericht. Doch bald geht sie aus sich heraus, der Quizmaster hat ihr eine Piccolo-Flasche Sekt gereicht. Sie trinkt ihn ex und plaudert: »Jeder hatte sein eigenes Zimmer, auch die Katzen.« Von Waffen habe sie nichts gesehen. Sie sagt: »Lügenpresse«. Doch: »Schön, dass man hier alles sagen darf.« Sie braucht immer mehr Piccolo-Fläschchen und zieht sich Oberteile aus. Sie und er, beide liegen irgendwie verquer auf dem Sofa. Dann verschwinden sie. Die rosa Gestalten tanzen. Auf dem Video: ein riesiges brennendes Kreuz und Fackeln. Ein Ku-Klux-Mann mit Kapuze. Der Tanz drückt Gewalt aus. Rauch. Zschäpe gesteht, es sei schwierig gewesen, die ganze Zeit zu schweigen. Sie will zur »Revolution« aufrufen. »Wir Deutsche müssen zusammenhalten.« Und: »Die weiße Rasse ist beinahe tot, aber noch nicht ganz.« Der Moderator kommt wieder zum Assoziationsspiel: »Da müssen Sie ihr Gehirn benutzen.« Auf der Bühne ein Quiz mit dem Namen: »Endlösung«. Worte, die aufgedeckt werden: Waage, Robe, Richter. Ja, Roland Freisler ist richtig, »der sympathische Richter«, so tönt es von vorn. Irgendeine Frage mit Knoblauch. Zschäpe weiß es: »Kanake!« – sie kriegt Sekt. Dann der Moderator: »Wir haben vier Fragen, sind der Endlösung schon ziemlich nahe.« Auch der »Döner-Mord« der Bild-Zeitung wird – hier – aufgedeckt.
Das rosa Volk gibt Neonazi-Sprüche von sich – oder Sprüche aus dem Internet, Facebook? »Was ist ein Neger? – Ein verbrannter Jude?« Oder, »Sieg Heil, ihr gottverdammten Verbrecher, euch sollte man alle entsorgen. Mit Gaskammern wäre das Problem besser zu lösen. In unserer städtischen Müllabfuhr wäre noch Platz für 1000 Muslime.« Und: »Hass, Hass, Hass«-Rufe, immer schneller, sich überschlagend. Der im Trenchcoat hampelt sich in Wut-Lust. Plötzlich ziehen sich alle ihre rosa Gesichtshaut ab. Der Trenchcoat-Mann ist ziemlich schwarz, die Tänzer – sehen so echte Deutsche aus? Sie gehen stumm weg.
Beate Zschäpe kommt im langen braunen Kleid. Der Moderator meint: Er könne zaubern. Die Schauspielerin sagt: »Ich bin gebürtige Jugoslawin.« Später sei sie in die »Hitlerstadt« Linz gezogen, um dort zu studieren. Dann ging sie nach Jena ans Theater. Bekam dort die Rolle der Schneekönigin. Beim Bäcker morgens: Sie sähe ja wie Beate Zschäpe aus, »unsere Beate«. Aber ihr Name ist Tina Keserovic aus Kroatien. Sie spricht von Jena: »Du musst ein Deutscher sein, wenn du in diese Kneipen kommst.« Dann ertönt auf der Bühne der Muezzin-Gesang – sie ist Sängerin. Nicht in Jena, in Hamburg. Sie geht, stammelt nur noch, summt wie unterdrückt.
Auf dem Video, nur Schatten, die sprechen: »Wir sind die Mordopfer des NSU.« Wir hören ihre Namen, sehen Fotos, die ihre Arbeit zeigen: Blumenhändler, Obst- und Gemüseverkäufer, Friseur. Jedes der Opfer nimmt etwas mit ins Jenseits (oder ins Grab), was ihm wichtig war im Leben. Auch eine Fahne vom FC St. Pauli ist dabei. Eine Frau starb so schnell, dass sie nichts mitnehmen konnte. Und Michèle Kiesewetter, die war doch »deutsch«? So viele Fragen, die sich vor allem den Angehörigen stellen, die lange Zeit selbst beschuldigt wurden von der Polizei – als Täter.
Links auf der Bühne, ein Pult mit Mikrophon. Es spricht die Schwester eines der Ermordeten – ist es die Darstellerin von Beate Zschäpe? »Sehr geehrter Herr Bundespräsident. Leider werde ich Ihre Einladung nicht annehmen können.« Sie schildert, was sie fühlte, als sie ihren Bruder tot vor sich liegen sah. Eine Tänzerin übersetzt das alles pantomimisch in Gesten. Die Frau am Mikrophon: »Alles, was ich möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter dem NSU? Wer hat die Akten vernichtet?« Ihm, Gauck, sei der Bruder nur wichtig, damit er sich im humanitären Glanz sonne – vor dem Volk. Die Tänzerin geht langsam weg.
Ein Nachspiel. Die von ihren rosa Tarnanzügen Befreiten stellen sich vor als hier lebend. Flüchtlinge nennen sie sich nicht, aber: »Wir sind die Opfer der Zukunft.« Sie sagen, was sie hier machen: Eine betreibt ein Nagelstudio, einer ist ein »Meister der islamischen Gitarre«. Aber es gibt Bedrohungen: einen Anschlag auf einen Laden. Eine leitet eine Beratungsstelle für Jugendliche – Hoffnung? Oder doch: Weggehen? Alle rufen: »Wir stehen nicht still, denn die Reise ist unsere Herkunft.« Und tanzen wild nach Pop-Songs in Serbo-Kroatisch. Mit Matratzen wird eine Mauer gebaut und wieder umgeworfen. Auf dem Video dreht sich eine Windrose immer schneller, so wie die Mitwirkenden. Zschäpe steht an einer Säule, tanzt nicht mit.
Sehr viel Beifall für ein Stück, das zunächst irritierte, ein paar Zuschauer flüchten ließ, dann überzeugte.