erstellt mit easyCMS
Titel617

Der russophobe Kandidat  (Ralph Hartmann)

Gelobt sei der Tag, an dem er uns erschienen ist, der Erlöser der Gequälten, der Heilsbringer für die Unterdrückten und Verarmten, der Schwertträger und Retter der SPD, der am 29. Januar des Jahres von der SPD-Spitze zum Kanzlerkandidaten ausgerufen wurde. Alsbald hat er, der untadelige Martin Schulz, sich ans Werk gemacht und dem Wahlvolk versprochen, Korrekturen, wenn vorerst auch kleine, an der Agenda 2010 vorzunehmen. Das ist umso höher zu bewerten, da er sie einst vehement verteidigte. Jetzt hat er gar »Fehler« eingestanden. Selbstkritik zeichnet große Männer aus. Dumm ist lediglich, dass er die Erkenntnis nicht früher hatte, sondern ausgerechnet zum Auftakt seines Kampfes um Wählerstimmen.

 

Aber gut, dieser wahlpolitische Schwenk wie auch der zu anderen innenpolitischen Themen ist in den Medien ausreichend behandelt worden; ebenso wie sein obszön hohes Einkommen als Präsident des Europaparlamentes, das das der Kanzlerin beträchtlich überstieg. Auch das spricht, nebenbei bemerkt, für seinen Charakter, dass er sich jetzt um einen Posten bewirbt, der ihm weniger Euro einbringen wird. Ungeachtet dessen erinnern seine politischen Gegner von rechts und links daran, dass der Kanzlerkandidat, der sich so aufopferungsvoll für »die hart arbeitenden Menschen« einsetzt, als Parlamentspräsident eine umfassende Aufklärung der LuxLeaks-Affäre, die seinen Freund, den EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker, in die Bredouille brachte, verhinderte. Zuweilen unterlaufen ihm auch Fehler, die an den Wahlkampf von Donald Trump erinnern. So behauptete er zum Beispiel in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren hätten knapp 40 Prozent befristete Arbeitsverträge. Das war ein wenig übertrieben, denn laut Statistischem Bundesamt waren es 2015 lediglich 13,8 Prozent, was immer noch viel zu viel ist.

 

Ungenügend und zum Teil gar nicht beleuchtet wurden die außenpolitischen Positionen der SPD-Ikone. Schließlich will er Bundeskanzler werden, und da ist es nicht gerade nebensächlich, wie er zum Beispiel zu CETA und TTIP steht, welche Haltung er zu den gegenwärtig akutesten und gefährlichsten Krisen, in der Ostukraine und in Nahost, und nicht zuletzt gegenüber Russland einnimmt. Was das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) anbelangt, so hat er den Vertrag als Noch-Präsident des EU-Parlaments in diesem Gremium durchgepeitscht (vgl. Ossietzky 5/2017). Für ähnliches Vorgehen im Falle des Abkommens mit den USA (TTIP), das er ebenfalls begrüßt, reichte seine Mandatszeit in Brüssel nicht aus. Beabsichtigt er etwa im jetzt begonnenen Wahlkampf auch hier angesichts der Stimmung unter der Mehrheit der Wähler einen kleinen »Fehler« einzugestehen und eine 180-Grad-Wende zu vollziehen? Lassen wir uns überraschen!

 

Was Schulz‘ Haltung gegenüber Russland anbelangt, so war sie bislang nicht gerade auf einen Abbau von Spannungen gerichtet, im Gegenteil. Das militärische Eingreifen Moskaus in den schrecklichen Krieg in Syrien, das bekanntlich erst einmal Verhandlungen ermöglichte, verurteilte er. In einem Interview mit der Deutschen Welle sprach er im Oktober 2016 die Erwartung aus, dass sich die EU dem russischen Kurs widersetzt. Was Russland mache, sei völlig unannehmbar. Hinter dessen aggressiven Handlungen stecke ein Konzept von Gesellschaft, eine Sicht auf die Welt, »die mit unserer europäischen Philosophie von gegenseitigem Respekt und Offenheit nichts zu tun hat«. Deshalb solle die Botschaft der Europäer an Herrn Putin sein: »Wir stimmen mit Ihnen nicht überein! Wir müssen hart in unserer Gegenstrategie sein.« Wie diese im Einzelnen aussehen soll, hat er leider nicht verraten.

 

Klarer formuliert der Kanzler eventuell in spe seine antirussische Haltung, wenn es um die Krim und die Ostukraine geht. Bereits vor Beginn des EU-Gipfels im März 2014 berieten sich die Staats- und Regierungschefs mit dem Parlamentspräsidenten Schulz, der sie darüber aufklärte, dass das »sehr brutale Vorgehen« Russlands bei der »Annexion der Krim« eine »neue Dimension« bedeute. Und nach diesem Treffen äußerte er große Sorge, dass sich Russlands »Begehrlichkeiten« nicht auf die Krim beschränkten. Deswegen sei jeder weitere Schritt der russischen Regierung mit »verschärften Sanktionen« (www.t-online.de/nachrichten/specials/id_68602080/) bis hin zu einer »dramatischen wirtschaftlichen Konfrontation« zu beantworten. Kurz zuvor hatte er gegenüber der Zeit vor dem Einfluss Russlands in der EU gewarnt und die Sanktionspolitik als »sehr erfolgreich« bezeichnet. »Das geschlossene Auftreten der EU in der Sanktionsfrage« sei in der Tat »ein großer außenpolitischer Erfolg, den es in dieser Form vielleicht bisher noch nicht gab«. An dieser konsequenten, unnachgiebigen Haltung hielt er auch in der Folgezeit fest. Ob er nun als SPD-Hoffnungsträger angesichts der Wünsche vieler Wähler auch gegenüber Russland eine elastischere Position einnehmen wird, bleibt abzuwarten.

 

Dass der so bescheiden auftretende und eigentlich herzensgute Schulz knallhart und kompromisslos reagieren kann, zeigte eine kleine, aber letztlich doch symptomatische Episode. Als die Europaabgeordnete Tatjana Ždanoka, Vertreterin der russischsprachigen Minderheit in Lettland, im Sommer 2014 die Krim besuchte, war der ob dieser Untat erzürnte Parlamentspräsident außer sich. Er schickte der Abgeordneten einen Beschwerdebrief, in dem er sie scharf kritisierte. Ihre auf der Halbinsel abgegebenen Stellungnahmen, mit denen sie deren Wiedervereinigung mit Russland verteidigte, seien »extrem unangemessen« und schädlich für das »Image und die Glaubwürdigkeit jener Institution« gewesen, deren Mitglied sie sei. Sie habe dafür kein Mandat. Ihre Bemerkungen zum Krim-Status stünden im eklatanten Widerspruch zur EU-Position. Weiter teilte er ihr mit, dass er sich »ohne Verzögerung« bei der ukrainischen Regierung für ihren Besuch entschuldigen werde, den er »absolut« verurteile. Zudem sprach er die Hoffnung aus, dass sich eine solch schädliche Aktion in Zukunft nicht wiederhole (www.lettische-presseschau.de/politik/eu/812-2014). Anstelle Selbstkritik zu üben, erdreistete sich die uneinsichtige Europaparlamentarierin, die Vorwürfe gegenüber der russischen Nachrichtenagentur ITAR-TASS als »Unsinn« zu bezeichnen, wobei sie auf die Meinungsfreiheit gewählter Abgeordneter verwies. Der Parlamentspräsident war ob dieser Erklärung verständlicherweise nicht gerade erfreut. Aber er konnte sich trösten und zugleich bestätigt fühlen. Die Abgeordnete Tatjana Ždanoka ist Russin. Und Russen kann er partout nicht leiden. Erst unlängst, am 14. Februar, hat er es in der ARD bei Anne Will zu Protokoll gegeben und erklärt: »Ich mag sie [die Russen] übrigens nicht besonders. Es ist auch schwer, sie zu mögen.« Mit anderen Worten: Der gute Mann ist russophob. Eine gute Eigenschaft, um im Bundeskanzleramt für Kontinuität zu sorgen.