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Titel618

Kritik am Neujahrsempfang der Bundeswehr  (Ekkehard Lentz)

Seit 1997 wird der Neujahrsempfang der Bundeswehr im Bremer Rathaus durchgeführt – erstmals unter dem damaligen Präsidenten des Senats, Bürgermeister Henning Scherf (SPD). Sein Vorgänger, Klaus Wedemeier, gab mir bei einer zufälligen Begegnung an einer Friedens-Plakatwand im Jahr 1998 am Fedelhören in Bremen zu verstehen, solange er etwas zu sagen gehabt habe, habe er im Rathaus keine »Stiefel« sehen wollen. Erst seit Scherf ist die Bundeswehr ein gerngesehener Gast im Herzen der Hansestadt.

 

In diesem Jahr zieht die Bundeswehr in die Bremische Bürgerschaft (Landtag) ein – am 27. März. Die Veranstaltung findet im Bürgerschaftsgebäude statt, weil, wie es offiziell heißt, das Rathaus aus »technischen Gründen« nicht infrage komme. Der Neujahrsempfang wird dieses Mal mit einer Kommando-Übergabe verbunden: Oberst Claus Körbi, Kommandeur des Landeskommandos Bremen, geht in den Ruhestand und übergibt an seinen Nachfolger, Oberst Hans Peter Dorfmüller. Eine Sprecherin des Landeskommandos gab auf Nachfrage des Bremer Weser-Kurier an, Körbi habe sich einen Auftritt des Musikkorps der Bundeswehr gewünscht, und die Lautstärke des Orchesters hätte das wertvolle Interieur der Oberen Rathaushalle gefährden können. 2019 soll der Bundeswehrempfang wieder im Rathaus begangen werden, wie ein Sprecher der Senatskanzlei ankündigte.

 

Das Bremer Friedensforum mutmaßte in einer Erklärung, mit der Verlegung des Empfangs in das Parlamentsgebäude solle gleichzeitig »eine größere Verbundenheit zwischen Abgeordneten und Armee« hergestellt werden. Dies sei ein »weiterer Schritt zur militärischen Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche«. Das Bremer Friedensforum kritisiert das Ritual und fordert eine strikte Gewaltenteilung. Nach Ansicht der Friedensaktivisten gehört ein Empfang der Bundeswehr in die Kaserne, »wo er früher auch stattgefunden hat«. Demokratie verlange eine strikte Gewaltenteilung, auch bei solchen Ritualen.

 

Die Bundeswehr versteht sich inzwischen als Armee im (weltweiten) Einsatz – in Afghanistan, im Kosovo, im Sudan, im Irak, in Syrien, in Mali und anderswo. Überall da, wo das Militär zu »Hilfe« eilte, hat sich die Lage der Menschen nicht verbessert. So viele verzweifelte, gedemütigte, gewaltbereite, entwurzelte, verarmte, hungernde Menschen wie heute hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben – hervorgerufen auch durch den Einsatz militärischer Gewalt von Deutschland aus. Diese ist in den letzten Jahren verstärkt politisches Mittel der jeweiligen Bundesregierungen geworden. Die gestiegenen Rüstungsausgaben und die geplante weitere Erhöhung des Rüstungshaushalts auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts lassen wenig Hoffnung auf bessere Zeiten aufkommen.

 

Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind die Ausführenden einer militarisierten Politik, die auch für sie immer gefährlicher wird. Unter anderem durch die Sprachregelung und Rechtfertigung der Bundeswehr-Auslandseinsätze als »humanitäre Einsätze für Menschenrechte«, gepaart mit einer geschickten und millionenschweren Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr, ist es der herrschenden Politik bisher gelungen, größeren Widerstand zu unterbinden. Die Imagekampagnen der Bundeswehr im öffentlichen Straßenbild auf Plakatwänden, Straßenbahnen und Bussen, durch großformatige Anzeigen, auch in sogenannten alternativen Medien (taz lässt grüßen), die Tage der Bundeswehr mit Volksfestcharakter, die Präsenz von intensiv ausgebildeten Jugendoffizieren in Schulen und auf Jobbörsen und nicht zuletzt die Herausstellung der jüngsten Medaillen-Erfolge von Bundeswehrangehörigen bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea sind Bestandteile einer schleichenden Militarisierung der Gesellschaft, die öffentlich viel zu wenig wahrgenommen und thematisiert wird.

 

Mit zahlreichen Konzerten der 16 Militärmusikkorps der Bundeswehr wird zudem eine Gemeinnützigkeit demonstriert. Ziel ist die positive Darstellung in der Öffentlichkeit, aber auch eine direkte Nähe zur Zivilgesellschaft, die an die Bundeswehr gewöhnt werden soll. Ganz gezielt werden öffentliche Auftritte, zum Beispiel Benefizkonzerte inszeniert, um Akzeptanz zu schaffen für eine Bundeswehr, die sich seit den frühen 1990er Jahren zu einer international agierenden Eingreifarmee gewandelt hat. Musizierende Bundeswehreinheiten sind keine Wohltäter. Über Militärkonzerte in Kirchen und Konzerthäusern informiert die Website https://musiker-gegen-militaermusik.jimdo.com/.

 

Die dringend erforderliche Erneuerung der deutschen Außenpolitik angesichts der Vielzahl von Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann nur in einer Priorisierung des Zivilen vor dem Militärischen bestehen. Der Empfang im Bremer Parlamentsgebäude und ähnliche Veranstaltungen tragen jedoch dazu bei, der Bundeswehr und der zunehmenden Militarisierung in der Öffentlichkeit immer mehr Raum zu geben und somit Kriege und die Beteiligung daran zu normalisieren. Kriege dürfen aber nicht weiter zur Normalität werden.

 

Das Bremer Friedensforum wird – wie in den Vorjahren – mit einer Mahnwache gegen den Empfang protestieren, zusammen mit anderen antimilitaristischen und pazifistischen Kräften in der Stadt. Treffpunkt: 27. März, 12 Uhr, Marktplatz Bremen.

 

Wenige Tage später findet am 31. März in der Hansestadt der Ostermarsch statt. Auch im Rahmen dieser bundesweiten Aktion der Friedensbewegung stehen die Forderungen nach Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr, nach Stopp der Waffenexporte und der Verringerung des deutschen Rüstungsetats ganz oben auf der Agenda.

 

Jugendliche, die gerade volljährig werden, haben im Übrigen die Möglichkeit, gegen die Weitergabe von Daten an die Bundeswehr (wie übrigens auch an Adressbuchverlage, Parteien, Kirchen und andere Dritte) Widerspruch einzulegen. Das gilt bundesweit. Einmal jährlich übermitteln die deutschen Kommunen der Bundeswehr die Daten jedes deutschen Staatsangehörigen, der oder die demnächst volljährig wird. Die Bundeswehr erhält Daten, damit sie Jugendliche anschreiben kann, um sie für den Dienst an der Waffe zu gewinnen. Es ist möglich, gegen diese Datenweitergabe Widerspruch einzulegen. Aktuell gilt: Wer im Jahr 2002 geboren ist und keine Datenübermittlung an die Bundeswehr wünscht, kann beim Einwohnermeldeamt gemäß § 18 Absatz 7 Melderechtsrahmengesetz (MRRG) Widerspruch gegen die Datenübermittlung an das Bundesamt für Wehrverwaltung einlegen.

 

Weitere Informationen: Bremer Friedensforum, Villa Ichon, Goetheplatz 4, 28203 Bremen, https://www.bremerfriedensforum.de, https://www.facebook.com/bremerfriedensforum