Morgenandachten sind seit der frühen Nachkriegszeit feste Bestandteile in den Rundfunkprogrammen. Der Deutschlandfunk (DLF), der sich seiner »Spitzenstellung unter den gehobenen Programmen« rühmt, hat seine Morgenandacht zwischen Frühnachrichten und »Informationen am Morgen« um 6.35 Uhr eingebettet. Damit könnte sie laut laut »Media Analyse 2017« von Montag bis Freitag mehr als 1,6 Millionen Hörer täglich erreichen. Viele Hörer allerdings, so ist zu vermuten, nutzen die 4.30 Minuten, in denen die geistliche Wortmaschine läuft, um derweil ins Bad zu gehen oder den Kaffee vorzubereiten, ähnlich wie in den Halbzeitpausen bei Fußballspielen.
Doch es bleiben bisweilen auch Worte hängen, die einem nachgehen können; so geschehen am 26. Januar. Die geistliche Sprecherin hatte in ihren »Gedanken zur Woche« gerade an den Überfall der Türkei auf die syrischen Kurdengebiete erinnert, der unter dem Slogan »Operation Olivenzweig« läuft, und danach das Bild vom biblischen Ölzweig vorgestellt, auf dem eine Friedenstaube mit Ölzweig im Schnabel, nicht aber »Panzer zu sehen« sind, um dann – noch einen alttestamentlichen Friedenstext zitierend – ganz unvermittelt und im Gegensatz dazu, wie in einem Glaubensbekenntnis gesprochen, fortzufahren:
»Nein, ich bin keine Pazifistin; jedenfalls nicht mehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dem Kriegsherrn Assad mit Diplomatie das Handwerk legen könnte.« Das bleibt als die zentrale Botschaft ihrer Worte im Gedächtnis.
Fragen tun sich auf: Sie, die evangelische Sprecherin, keine Pazifistin mehr? Wodurch und wann war sie es einmal geworden? Durch die Friedensbewegung in den 1980er Jahren oder schon früher, als in den 1950er Jahren die westdeutsche Regierung nach Atomwaffen gierte? Und wodurch ist sie zu einer Nichtpazifistin geworden? War das 1999, als der damalige EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock einen Tag nach dem Überfall der NATO auf Jugoslawien dieses völkerrechtswidrige Terrorunternehmen als »einzig wirksames, letztes Mittel« anerkannte? Oder war es zehn Jahre später, als 2009 der deutsche Bundeswehroberst Klein in Kundus/Afghanistan den Befehl gab, zwei Tanklastwagen zu beschießen, wodurch mehr als 100 unschuldige Menschen, darunter viele Kinder, zu Tode kamen? Dem Hörer blieb sie die Antwort schuldig.
Fragen auch zum zweiten Satz: Warum nennt sie beim völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf das nordsyrische Kurdengebiet nicht den Kriegstreiber Erdoğan mit Namen, sondern nur den »Kriegsherrn Assad«, dem man »mit Diplomatie das Handwerk nicht legen kann«? Also, muss der Hörer folgern, nur noch militärisch. Folgt man den Aussagen des Robert F. Kennedy Jr., Sohn von Bobby und Neffe von John F. Kennedy, war tatsächlich ein Krieg gegen Syrien aus »energiepolitischen Gründen« und damit ein Regime Change schon seit »langem geplant« gewesen, spätestens seit 2008, drei Jahre vor der Rebellion von Oppositionsgruppen gegen Präsident Assad. Sie wurden deshalb sogleich kriegstüchtig ausgestattet, und der Präsident des Landes wurde zu einem Feindbild gemacht.
Pazifisten, die zum Beispiel noch auf Diplomatie setzen, kann man in westlichen Medien selbstverständlich nicht gebrauchen.
Übrigens: In den Seligpreisungen bei Matthäus im 5. Kapitel, den zentralen Aussagen der Botschaft Jesu, heißt es in Vers 9 in der lateinischen Fassung, wörtlich aus dem griechischen Urtext übersetzt, »Beati pacifici« – »selig sind die Pazifisten«.