Vor sechs Jahren schrieb ich für Ossietzky einen Artikel mit der Überschrift »Kennen Sie Martha Heuer?« (Heft 4/2013, S. 126). Eigentlich ging die Frage ins Leere. Was es mit dem Namen auf sich hatte, war mir auch nur durch Zufall bekannt geworden. Martha Heuer gehörte zu den wenigen Deutschen, die sich dem Terror der Nationalsozialisten entgegengestellt haben. Sie hat verfolgte Menschen versteckt und damit vor dem Tode bewahrt. Auch das war Widerstand gegen das Unrechtsregime.
Wie konnte es geschehen, dass eine solche Frau im eigenen Land, ja selbst in ihrer Heimatstadt Bremen, unbeachtet blieb? Lag es daran, dass sie zu bescheiden war? Es hatte wohl eher mit der Gleichgültigkeit ihrer Umwelt und der Geschichtsvergessenheit der politisch Verantwortlichen zu tun. Ich nahm mir vor, etwas dagegen zu unternehmen. So kam es zu dem Ossietzky-Artikel und schließlich auch einer positiven Resonanz bei Behörden und Institutionen. Sie findet in den nächsten Tagen mit der Benennung einer Straße nach Martha Heuer ihren krönenden Abschluss. Am 25. März um 15 Uhr wird im Beisein des Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt, Bürgermeister Carsten Sieling, an der Einmündung der künftigen Martha-Heuer-Straße in den Pastorenweg 96/98 das erste Schild mit der Aufschrift »Martha-Heuer-Straße« enthüllt.
Dort in Gröpelingen, einem überwiegend von Arbeitern und Angestellten bewohnten Stadtteil, war Martha Heuer zu Hause. Als sie 1975 nach Israel eingeladen wurde, um in der »Allee der Gerechten« nahe der Gedenkstätte Yad Vashem einen nach ihr benannten Baum zu pflanzen, machte sie wenig Aufhebens von sich. In der Feierstunde begnügte sie sich mit zwei Sätzen. Einer lautete: »Ich würde es wieder tun.« Den Anstoß zu ihrer Ehrung hatten die nach Israel ausgewanderten Geretteten von einst gegeben. Martha, die damals noch Palme hieß, und ihre Mutter Melida Palme, die posthum in die Liste der »Gerechten unter den Völkern« aufgenommen wurde, hatten 1942 in Warschau sechs verfolgte Juden monatelang in einer angemieteten Wohnung versteckt und vor dem Abtransport in eines der Todeslager der Nazis bewahrt.
Als ich mit meinen Recherchen begann, besaß ich bis auf einen vergilbten Zeitungsartikel mit dem handschriftlich eingetragenen Datum vom 24. April 1975 nichts, auf das ich mich hätte stützen können. Der Artikel hatte in einer Zeitung gestanden, die nicht mehr existiert. Sie hieß Bremer Westen. Ich bekam den Artikel von einer Enkelin Martha Heuers, die mit einem Enkel von mir befreundet war. Er hatte ihr von meiner journalistischen Arbeit erzählt. Weder bei der Bremer SPD, für die Martha Heuers Mann Heinz als Abgeordneter nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bürgerschaft saß, noch beim Bremer Staatsarchiv hatte man jemals etwas von Martha Heuer gehört. Auch den Artikel kannte niemand.
Am 18. Februar 2013, wenige Tage nach dem Erscheinen meines Ossietzky-Artikels, schlug ich dem Bremer Amt für Straßen und Verkehr vor, eine Straße im Stadtteil Gröpelingen nach Martha Heuer zu benennen. Zur Begründung verwies ich auf ihre rettende Tat während der Nazizeit und die Ehrung in Israel. Mir ging es darum, die mutige Frau als Vorbild für menschliches Verhalten in Erinnerung zu rufen. Die Antwort kam schnell. Bereits zwei Tage später ließ mich das zuständige Referat wissen, dass es in Absprache mit dem Direktor des Bremer Staatsarchivs, Konrad Elmshäuser, die Initiative aufgreifen und den Namen Martha Heuer in einem dafür vorgesehenen Vorschlagsverzeichnis festhalten werde, »um sicherzustellen, dass Ihre Anregung bei Neu- bzw. Umbenennungen von Verkehrsflächen gem. § 37 des Bremischen Landesstraßengesetzes entsprechend Berücksichtigung findet«.
Der Schluss ließ befürchten, dass es wohl eine Weile dauern würde, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Doch es kam anders. Schon am 2. April 2013 befasste sich der Fachausschuss »Bau und Verkehr« des Stadtteilbeirates mit der Sache. Im Protokoll der Sitzung heißt es: »Dem Vorschlag für eine Straßenbenennung nach ›Martha Heuer‹ wird zugestimmt.« Hatte ich offene Türen eingerannt? Doch dann wurde es still. Abgesehen von dem einen oder anderen internen Meinungsaustausch unter Interessierten, die voneinander wissen wollten, ob sie den Namen Martha Heuer schon mal gehört hätten, geschah nach außen hin lange Zeit nichts. Aber es gab immer wieder Impulsgeberinnen wie die Bremer Germanistin und Autorin mehrerer Bücher über jüdische Schicksale, Anning Lehmensiek, die das Vorhaben unterstützten.
Nun wird also am 25. März, sechs Jahre nachdem Ossietzky gefragt hatte »Kennen Sie Martha Heuer?«, eine Straße nach jener bescheidenen Frau benannt, die mehr für die Menschheit getan hat als sämtliche mit Orden und Ehrenzeichen behängten Heerführer der Welt. Sie hat Menschenleben gerettet. Die Liste der »Gerechten unter den Völkern« aus Deutschland verzeichnet nach dem gegenwärtigen Stand 616 Namen. Gemessen an den 78 Millionen Einwohnern des Deutschen Reiches eine bescheidene Zahl. Wäre es nicht an der Zeit, diese Menschen auch deutscherseits zu ehren und ihnen einen Platz im kollektiven Gedächtnis des deutschen Volkes zu verschaffen?
Unter Berufung auf eine alte jüdische Legende zeichnet Israel Menschen als »Gerechte unter den Völkern« aus, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unter großen persönlichen Risiken Juden vor der Deportation in ein Vernichtungslager bewahrt haben. Nach der Schilderung von Hannah Arendt besagt die Legende, dass es in der Welt immer 36 unbekannte Gerechte gibt, ohne deren Anwesenheit die Welt in Scherben fiele.