Alle Kunst beginnt für ihn beim Menschen, aber nicht bei dessen äußeren Erscheinung. Dem Berliner Maler Hans Vent geht es nicht um die Fortführung einer künstlerisch bedeutungslos gewordenen Tradition: der weibliche Akt als Schönheitsideal, als Sex-Symbol. Für ihn wurde die nackte Gestalt, der Kopf, das Gesicht, vereinzelt oder im spannungsvollen Miteinander, zum Ausdrucksträger. Der Körper ist in stark vereinfachte rhythmische Formen zerlegt, breite Farbgesten, Farblagen entstehen durch das Vor- und Zurückschwingen des farbentriefenden Pinsels. Das Bild scheint abstrakt, obwohl die Pinselbahnen sich zu Figuren, zu Köpfen (nicht zu Porträts) zusammenfügen. Figur und Malgeste sind eins mit dem dynamisierten Bildgrund. Die wie improvisiert wirkenden Bildoberflächen Vents sind das genaue Gegenteil des kurzen und tupfenden Pinselduktus im analytischen Kubismus, sie unterscheiden sich aber auch von den tumultuarischen Pinselstrichen des niederländischen US-Amerikaners Willem de Kooning, mit dem dieser einen Abwehreffekt erzielen wollte. Dessen »Woman«-Bilder sind angesiedelt zwischen Atavistischem und Trivialem. Vents Akte haben auch nichts mit Francis Bacons klinischer Betrachtung des menschlichen Körpers als Objekt ohne jede Intimsphäre zu tun. Seine Malerei der Neuen Expressivität ist als ästhetisches Gegenprogramm zu verstehen: Er setzt dramatische Konfliktzeichen.
Vor einem Jahr – kurz vor seinem 84. Geburtstag – starb Hans Vent, einer der Mitbegründer der (Ost-)Berliner Malerschule, die es als »Schule« gar nicht gegeben hat. »In memoriam Hans Vent« zeigen jetzt zwei Berliner Galerien Gemälde, farbige Arbeiten auf Papier, Radierungen, aber auch Kacheln und Skulpturen vor allem aus den letzten drei Jahrzehnten des Künstlers.
Wie absichtslos lässt Vent seine Gestalten und Köpfe aus dem Amorphen auftauchen. Sie treten aus der Materie hervor und verschwinden wieder. Es sind halluzinatorische Figurenbilder, beunruhigend und bedrängend, drohend und verhängnisvoll, zerstörerisch und quälend, dann aber auch wieder versöhnend, einander Schutz gebend. Mitunter wiederholen sich die Figuren – wie die Gesichter – echoartig in parallelen, aber auch konfrontativen, doch immer wieder ihre Form neu deformierenden Erscheinungen. Zu der Endlichkeit der Ausdehnung – die Figuren und Köpfe erscheinen mitunter wie klaustrophobisch im Bildrahmen eingezwängt – steht die Vertiefung des Farbereignisses scheinbar im Kontrast durch die häufige Turbulenz der Abstufungen, Durchdringungen und Überschneidungen. Doch nur scheinbar, denn alle Töne werden an eine gemeinsame Farbskala gebunden. Vent führt den Bildraum dann auch wieder durch irrationale gegenstandsfreie Farben in abrupte Tiefen – so in seinen Landschaften, seinen »Figuren am Strand« –, aus denen er aber sofort wieder in die vorderste Ebene hinübergleitet. Konzentrationen, Deformationen, Abdrängungen, Erhellungen, Verfinsterungen bestimmen das Sein. Erschreckend gleichzeitig, wie die Figuren und Gesichter – einander zu- oder auch abgewandt – reagieren. Wie sie zufällig zusammenkommen und im nächsten Augenblick wieder zerfließen. Es sind Begegnungen eines Erlebnismoments. Doch jedes Moment bricht mehrfach aus dem gleichen Moment hervor. Die psychische Wirklichkeit überströmt die äußere Realität mit unaufhaltsamer Intensität. Als vordergründige Gefühlslage wird aber der physiognomische Ausdruck suggeriert. In den Gesichtern, die wie Zerrspiegel anmuten, spürt der Maler dem abgründigen Sein nach. Das Lächeln gerinnt zu einem grimassierenden Ausdruck, Wut, Zorn und Empörung steigern sich zur Bösartigkeit. Manche Physiognomien geraten zu Karikaturen ihrer selbst. Vent hat ein Gefühl für den Nerv der Zeit, für die Krisensituation einer Gesellschaft.
Das Verhältnis zu den Farbräumen, auch zu den Schatten, welche die Figuren werfen, die sich vom Hintergrund lösen und zwischen die Figuren eindringen, die Verschmelzung von Männlichem und Weiblichem aus dem anfänglichen Gegenüber in das Ineinander einer neuen Figuration, das alles sind die Rätsel, die dem Kreatürlichen aufgegeben sind und die nicht allein aus dem Bewusstsein bewältigt werden können. Es sind Archetypen eines intellektbetonten, von Körper und Natur entfremdeten Menschseins.
Beunruhigend und bedrängend, dann aber auch wieder besänftigend und auf Ausgleich bedacht sind Vents Arbeiten – eine Sprache von unerhörter Sensibilität. Das wiedergefundene Menschenbild – ein objet trouvé – ist auf ganz neue Art wieder Teil eines prozessualen Kunstprojekts geworden.
»Hans Vent. Der andere Blick – Malerei, Zeichnung, Skulptur«, Galerie Forum Amalienpark, 13187 Berlin, Breite Straße 2 a, Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–16 Uhr, bis 30. März. – »In memoriam Hans Vent«, Galerie der Berliner Graphik-Presse, 10247 Berlin, Silvio-Meier-Straße 6, Mi–Fr 13–18.30 Uhr, Sa 11–15 Uhr, bis 26. April.