Wolfgang Schäuble, mit neuen Einsichten. – Als Bundestagspräsident haben Sie sich eingestanden, »die rechtsextreme Gefahr zu lange unterschätzt zu haben«, und Sie verlangten »rechtsextremistische Vereinigungen zu zerschlagen« (Westfälische Rundschau, 6.3.20). Als sie Bundesinnenminister waren, haben Sie Journalisten aus den »neuen Ländern« zu Seminaren zusammengeholt, um ihnen Ihre Texte vorzulegen, in denen gegen den angeblichen Missbrauch des Antifaschismus polemisiert wurde: »Die Linksextremisten sehen in ihm ein neues Schwerpunktaktionsfeld für sich, nachdem Friedensbewegung und Anti-Kernkraft-Bewegung abgeflaut sind. Sie setzen auf die traditionelle Zugkraft des Antifaschismus, um so ihre Bündnisfähigkeit zurückzugewinnen.« (aus »Texte zur Inneren Sicherheit«, hg. vom Bundesinnenministerium, Oktober 1990). Ahnungsvoll heißt es weiter: »Bis auf Weiteres wird gerade im vereinten Deutschland Antifaschismus als Volksfrontkitt eine gewisse Bedeutung behalten.« Die Arbeiten von Verfassungsschutzwissenschaftlern nach dem Strickmuster »rot ist schlimmer als braun, weil noch wirksam« spielten eine große Rolle in den Seminaren. Der inzwischen emeritierte Professor Eckhard Jesse referierte auf der Grundlage seines Grundsatzartikels in der FAZ vom 28.8.91: »Vielleicht werden die frühen neunziger Jahre dereinst als eine Inkubationszeit für den Beginn eines ›Anti-Antifaschismus‹ gelten.« Bald danach und nicht erst in letzter Zeit wurde diesem Begriff von Neonazis mit terroristischen Methoden Nachdruck verliehen.
Max Moor, ttt-Chef. – In Ihrer ARD-Sonntagspätabendsendung (8.3.) haben Sie sich lustig gemacht über Corona-geängstigte BRDianer, die bei ihren Hamsterkäufen die Einkaufswagen vorzugsweise mit Tütensuppen und Klopapier füllen. Was gibt es da zu spotten? So wissen wir doch wenigstens bei der nächsten Leitkulturdebatte, welche abendländischen Werte am dringendsten zu verteidigen sind.
Heribert Prantl, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung. – In Ihrer digitalen Wochenendkolumne »Prantls Blick« fragen Sie nach den Folgen der jetzt zur Bekämpfung der Corona-Epidemie getroffenen Maßnahmen für die Gesellschaft. »Es gibt einen virologisch-publizistisch-politischen Verstärkerkreislauf, bei dem man noch nicht weiß, wohin er führt und wann er endet – und was er mit der Gesellschaft und der Demokratie macht.« Da ist die Rede vom Einsatz der Bundeswehr im Inneren. »Zur Versorgung der Kranken? Zur Kontrolle von Verboten und Ausgangssperren? Zur Demonstration von Tatkraft?« Sie zitieren den »Staatsrechtler Carl Schmitt, der … Antidemokraten heute noch immer fasziniert«, seinen Satz: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Beim demokratischen Souverän Volk beobachten Sie angesichts der aktuellen Maßnahmen »fast schon Dankbarkeit, dass jetzt das Notwendige getan wird«, es herrsche das große Wir-Gefühl: »Wir halten zu den Alten.« Aber das Wir-Gefühl könnte mit der Zeit zerbröseln. »Muss dann mehr Kontrolle her? Mehr Überwachung? Mehr Polizei? Es wird, je länger die Krise währt, … wachsame Demokraten genauso brauchen wie gute Virologen.« Es geht nicht nur um die Vermeidung von Infektionen: »Man muss auch fragen, was angerichtet wird, wenn Grundrechte und Grundfreiheiten stillgelegt und das gesellschaftliche Miteinander ausgesetzt werden.« Könnte die Corona-Krise »zur Blaupause für das Handeln in echten oder vermeintlichen Extremsituationen« werden? Welche Lehren wird die Gesellschaft am Ende dieses »globalen Experiments« ziehen? Die Fragen, die Sie stellen, sollten uns beschäftigen, bevor die Antworten darauf unabänderlich feststehen.