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Titel620

Bemerkungen

Invasiv

Und wenn die Viren-Kontamination

wiederholte Epidemien

eine Invasion wären

nicht nur aufs Lebensgefühl

sondern globale Aktion

der Besetzung

Angriff und Inkubationsversuch

sozusagen kosmisch

Insemination und Annexion

Entleiblichung

der Wirte

das sind wir

Wolfgang Bittner

 

 

 

So gar nicht pfleglich

Der freie Journalist Christoph Lixenfeld schreibt seit fast zwei Jahrzehnten über eine Dienstleistung, die viele von uns eines Tages mehr oder weniger umfangreich benötigen: die Altenpflege. Sein gerade erschienenes Taschenbuch lässt bereits im Titel keinen Zweifel daran, dass die im Kern menschenverachtenden Zustände in den deutschen Landen ausgerechnet mit einem System zu tun haben, das Sicherheit verspricht: »Schafft die Pflegeversicherung ab!« Lixenfeld legt mit seiner umfassenden Studie nicht nur eine durchdringende Bestandsaufnahme und Analyse des zugunsten privater Profite politisch immer undurchsichtiger und inzwischen nachgerade absurd komplex gestalteten deutschen Pflegesystems vor – er ermöglicht durch den Einbezug vor allem skandinavischer Praxen auch das Kennenlernen entschieden besserer Systeme. »In Dänemarks Altenpflege«, verdeutlicht der Autor, »stehen die Menschen, ihre Bedürfnisse und ihre Lebensqualität im Mittelpunkt aller Bemühungen. Und für diese Bemühungen ist ein einzelner Akteur zuständig: die Kommune. In Deutschland steht das Geld im Mittelpunkt, und Akteure gibt es viele.« Nun verdienen in der Bundesrepublik Investoren und Heimbetreiber schon deshalb besonders gut, weil sie die Pflegebedürftigen gezielt zeitsparend abfertigen lassen; zudem betrügen laut Bundeskriminalamt »bandenmäßig« tätige ambulante Pflegedienste, Ärzte, Apotheker und Sanitätshäuser unsere Sozialsysteme seit Jahren um mindestens zwei Milliarden Euro jährlich.

 

Christoph Lixenfeld weiß nur zu gut: »Die Politik verdrängt seit Jahrzehnten die systemimmanente Vernachlässigung in vielen Pflegeheimen, weil sie sich nur mit radikalen Maßnahmen abstellen ließe. Diese Maßnahmen zu ergreifen, dazu fehlt der Mut.« Was Wunder, dass der Experte dafür plädiert, die Pflege nach Maßgabe etwa des dänischen Systems »zu einer zentralen, steuerfinanzierten Infrastrukturaufgabe des Staates« zu machen. Die Gründe, die er dafür in unser Blickfeld rückt, lohnen unbedingt die Lektüre dieser überzeugenden Studie.

 

Johann-Günther König

 

Christoph Lixenfeld: »Schafft die Pflegeversicherung ab! Warum wir einen Neustart brauchen«, Rowohlt Verlag, 224 Seiten, 12 €

 

 

 

Provinzen kämpfen

In den spanischen Provinzen steht es nicht zum Besten. Ende Februar demonstrierten zehntausende Spanier in der Stadt León gegen den Niedergang der einstigen Kohleregion. Im Spanischen Fernsehen TVE1 erklärten die Demonstranten in der Nachrichtensendung Telediario, sie hätten Angst um ihre Zukunft. Die Kinder fänden keine Jobs mehr und müssten, um Arbeit zu finden, die Provinz León verlassen. Mehrere Städte haben bereits ihre Unabhängigkeit erklärt, nicht die von Spanien, sondern von der Provinz Kastilien-León. Man hofft, wenn das ehemalige Königreich León wieder von Kastilien unabhängig würde, komme der Aufschwung zurück. Die Forderung in Léon heißt: »Lexit.«

 

Proteste gibt es auch in Teruel, im östlichen Zentralspanien. Tomás Guitarte, der seit November 2019 für die zur Wahl angetretene Bürgerbewegung Teruel Existe (Teruel existiert) als Abgeordneter im Parlament sitzt, erklärte in TVE1: »Ich bin sicher, viele der Politiker kennen die Probleme im ländlichen Raum.« Die Politik habe ihnen bislang nicht die höchste Priorität eingeräumt. »Dabei sind die Probleme des ländlichen Raums für die, die hier  leben, viel existentieller als die Probleme in Katalonien oder im Baskenland.«

 

Das beklagen auch viele Einwohner in Teruel. Da Guitarte im Januar Pedro Sánchez seine Stimme gegeben hat, sollte nun im Gegenzug die Regierung Milliarden in Teruel investieren. Der Abgeordnete hofft auf Autobahnen, die Eisenbahn und schnellere Datennetze. Wohl wurden vor Jahren neue Autobahnen und Eisenbahnverbindungen geplant, aber nie gebaut. Wirtschaftsexperten zweifeln, ob Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur die wirtschaftliche Entwicklung verbessern und vor allem die Landflucht eindämmen werden. Aber es gibt keine fertigen Lösungen, und so sollte man es mit Investitionen versuchen.

 

Karl-H. Walloch

 

 

 

Ex-Jurist und Jetzt-Künstler

Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, wird es zu einer Art Trost, dass die Freunde um einen herum auch nicht jünger werden. Und das ermutigt einen dazu, ihnen zu ihrer bisherigen und zu der noch zu erwartenden Lebensleistung dankbar und hoffnungsschwanger zu gratulieren.

 

Gern mache ich das bei Philipp Heinisch, der behauptet, am 28. März das 75. Lebensjahr hinter sich gebracht zu haben. Das Besondere daran: Er hat in dieser knappen Zeitspanne bereits zwei Leben bewältigt, und man kann sicher sein: Ihm und uns steht noch allerhand bevor. Die Vokabel »allerhand« ist übrigens nicht zufällig gewählt.

 

Geboren wurde er im Jahre 1945 in Coburg. Sein Vater war ein von den Nazis beargwöhnter Maler, und das väterliche Talent hat sich auch auf den Sohn übertragen. Da das jedoch keine Sicherheit für das Auskommen bot, wandte sich der junge Mann nach dem Abitur der Juristerei zu, studierte in Berlin und Freiburg, bestand seine Examina und wurde Anwalt. Als solcher betätigte er sich 20 Jahre lang in Berlin. Als Strafverteidiger absolvierte er 600 Verhandlungstage im Schmücker-Prozess, dem bisher längsten juristischen Quodlibet der BRD. Das letztlich gewonnene Verfahren brachte ihm den Adolf-Arndt-Preis ein, überreicht von der damaligen Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach.

 

Heinischs juristische Praxis unterscheidet ihn übrigens von seinem Idol Kurt Tucholsky, der es zwar auch zum examinierten Juristen brachte, aber seinem Beruf nicht nachging. Dafür stand er mehrfach als Angeklagter vor Gericht. Ob Heinisch diese Konstellation dazu bewog, später der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft beizutreten?

 

Seine Liebe zur Malerei, speziell zur Justiz-Karikatur, gewann schließlich doch die Oberhand. 1992 gab er seine Zulassung ab und erkor sein Hobby endgültig zu seinem Beruf, den er längst als seine Berufung empfand. Die in der juristischen Praxis gewonnenen Erfahrungen und Zweifel mögen dazu ebenso beigetragen haben wie die Beobachtung seiner Person durch den Verfassungsschutz.

 

Philipp Heinisch widmete sich fortan vor allem mittels der politischen Karikatur Bild-Reflexionen über Recht und Gerechtigkeit, scheute sich nicht vor dem französischen Vorbild Daumiers und überprüfte und vervollkommnete weitere künstlerische Techniken. In Ausstellungen konfrontiert er mit satirischer Treffsicherheit die juristische Prominenz und den Rest der Öffentlichkeit mit gesellschaftlichen Erscheinungen und Tendenzen, die mit dem Rechtsstaat schwer zu vereinbaren sind oder ihm mitunter auch schaden. Irgendjemand leitete daraus die Laudatio »Justitias drittes Auge ist der Blick von Philipp Heinisch« ab. Und dieses dritte Auge begegnet dem Betrachter in seinen seit 1988 herausgegebenen Jahreskalendern, in seinen Bildbänden »Sehe ich Recht?«, »Recht und Specht«. »Kühles Recht und heiße Suppe« sowie in seinen Illustrationen der Bücher anderer Autoren. Ob man allerdings seinen steuerrechtlichen Empfehlungen – so der Frage »Wie kann ich meinen Mann absetzen?« – unbeschadet folgen sollte, muss jeder selbst entscheiden.

 

Apropos Laudatio. Kunst und Justiz sind bei dem Ex-Juristen und Jetzt-Maler keine Antipoden. Wer schon ein- oder mehrmals den von Philipp Heinisch initiierten und von ihm geleiteten »Gesprächskreis Kunst und Justiz« besucht hat, wird das von Herzen bestätigen. Deshalb sind – wie neulich im Februar Uwe Wesel – nicht nur juristische Fachleute bei ihm zu Gast, sondern Autoren, Schriftsteller, Schauspieler und Koryphäen der unterschiedlichsten Bereiche. Von Heino Ferch oder Volker Ludwig – um nur zwei Beispiele zu nennen – habe ich dadurch persönliche Eindrücke gewonnen, die die Bühne oder die Leinwand allein nicht hergeben können.

 

Tucholsky ist Heinisch nicht mehr begegnet. Das verwundert, denn seine Feststellung »Unter der Binde der Justitia leuchten zwei wohlgefällig plinkernde Augen« kann sich eigentlich nur auf ihn beziehen (Kurt Tucholsky: »Schnipsel«, erweiterte Neuauflage, herausgegeben von Wolfgang Hering und Hartmut Urban, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1995, S. 145).    

                 

Wolfgang Helfritsch

 

Eine Kostprobe aus Philipp Heinischs Zeichenfeder finden Sie auf der Umschlagseite 4. Der Band »Sehe ich Recht?« ist im Schaltzeitverlag erhältlich (204 Seiten, 29,80 €). Ferner erschien soeben im Selbstverlag »Lebensfreude mit Recht«, Liebhaberausgabe ohne ISBN (14 €, www.kunstundjustiz.de).

 

 

 

Bernauer Mauer

An der Stadtmauer hängt ein Relief, das Werner Stötzer aus Marmor schlug. Es hängt dort seit fünfunddreißig Jahren schon, weshalb es nicht mehr jungfräulich weiß leuchtet. Davor rostet ebenso lange bereits eine Stele, auf der, aus dem gleichen Stahl gefertigt, ein Stapel rostbrauner Akten ruht. Dieses Kunstwerk ist von Jan Skuin, und bei den Ordnern handelt es sich um Drehbücher, die der auf diese Weise Geehrte verfasste. Das Ensemble gilt Konrad Wolf, dem DEFA-Regisseur und Präsidenten der Akademie der Künste der DDR. Es wurde dort zu seinem 60. Geburtstag installiert. Der Schöpfer von »Ich war 19« und »Solo Sunny« war 1982 verstorben, mit 56 Jahren.

 

Der Zufall führte mich nach Bernau, und mich überraschte die Tatsache, an eben jenem Ort zwei Sträuße frischer Schnittblumen vorzufinden. Die Tafel klärte mich auf: Wolf war am Vortag vor 38 Jahren verstorben. Kein runder Jahrestag, und dennoch hatten mindestens zwei Menschen an diesem Samstag mit Tulpen und Nelken an ihn gedacht.

 

Die Stadt Bernau verlieh anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus Konrad Wolf die Ehrenbürgerwürde. Das kam daher, dass er – als Siebzehnjähriger der Roten Armee beigetreten – zu den Befreiern der Ackerbürgerstadt vor den Toren Berlins gehörte. Er war Neunzehn, als ihn seine Vorgesetzten zum sowjetischen Stadtkommandanten von Bernau machten.

 

Das geschah am 22. April vor 75 Jahren.

 

Wie es heißt, wollen sich an jenem Tag Freunde und Gesinnungsgenossen dort an der Stadtmauer versammeln und Konrad Wolf, den antifaschistischen Befreier, ehren.

 

Zwar tragen die Filmuniversität Babelsberg und eine Straße in Berlin-Hohenschönhausen seinen Namen. Konrad Wolf steht auch auf einer Gedenktafel an einem Wohnhaus in Moskau, von dem aus er damals in den Krieg gegen die Faschisten zog, und auf seinem Grabstein am Pergolenweg in Berlin-Friedrichsfelde. Aber eben jener Platz in Bernau ist die einzige auch so benannte Gedenkstätte für ihn.

 

Sie befindet sich unweit des sowjetischen Ehrenfriedhofes, auf dem über vierhundert im letzten Monat des Krieges gestorbene Rotarmisten fern der Heimat bestattet wurden. Darunter waren auch drei »Helden der Sowjetunion«, weshalb der Stern auf dem Obelisk nicht rot, wie sonst üblich, sondern in Gold gefasst ist. Gleich daneben, jenseits des Mühlentors, erinnert das wilhelminische Denkmal von 1890 an die drei sogenannten deutschen Einigungskriege, und hängt an der Stadtmauer seit 1998 auch ein beeindruckendes Bronzerelief von Friedrich Schötschel für die Kriegsdienstverweigerer. »Gewidmet allen Deserteuren und Verweigerern, deren Heimat die Mutter Erde ist, die im Feind den Menschenbruder erkennen, die statt auf Generäle auf den Befehl ihres Gewissens hören, die nicht an Ideologien, sondern am Leben hängen, deren Angst kleiner als ihre Liebe ist.«

 

Alles in einer Reihe, auf hundert Metern verteilt an der Stadtmauer zu Bernau zu sehen. Ein Geschichtslehrpfad der dialektischen Art. Der Geschichtenerzähler Konrad Wolf hätte gewiss seinen Gefallen daran gehabt.          

 

Frank Schumann

 

 

Nachti, Heym und der Teufel

Nachti, Katharina Nachtrab, gesprochen Nacht-rab, aus Nürnberg, will in Ost-Berlin (das ist wichtig!) Mitte der neunziger Jahre Theaterregisseurin werden. Sie wird Studentin an einer Berliner Schauspielschule. Nachtis Klasse besteht aus fünf Kommilitonen, ausgewählt aus einer Bewerberflut. Sind die »Elite-Studenten« schon eine seltsame Truppe, so sind die Dozenten fast gespenstisch. Und alter Ost-Kader obendrein, Stasi-Verwicklungen inklusive. Sie sind zwar Meister ihrer Fächer, aber hängen der alten Ost-Pädagogik an, nach der, so liest man es, die Alumni erst einmal »gebrochen« werden müssen. Am schlimmsten treibt es ein »Starregisseur« namens Brandner, dessen Neffe Tadeusz ebenfalls Student in der Gruppe ist – was zunächst niemand weiß, weil der Umstand mit Brandners Vergangenheit zu tun hat. Brandner stellt den hoffnungsvollen Nachwuchsregisseuren die Aufgabe, ein rätselhaftes FAUST-Fragment des Expressionisten Georg Heym (1887–1912) in Szene zu setzen. Dazu teilt er den zwei Seiten langen Text unter ihnen auf. Das Projekt treibt die Individualisten zusammen, aber auch in Wahnsinn und Drogenrausch, einen von ihnen in den Tod, der natürlich am 16. Januar stattfindet, dem Tag, an dem Heym beim Schlittschuhlaufen ertrank und an dem Heiner Müller beerdigt wird.

 

Was für eine großartige Geschichte, ruft man aus. Und das ist sie auch. Aber wer sie lesen will, braucht langen Atem und mildes Gemüt, darf den Weg durch die Redundanz nicht fürchten und auch nicht fehlerhafte Grammatik, muss hinnehmen, dass alles in der sich blähenden Handlung verhandelt wird: Theaterwissenschaft, Drogen, Satanismus, DDR und BRD, Suff, Literatur, Liebe, Soziales, schmutzige Unterwäsche, Nazis, Expressionismus und so weiter und so fort. Der Leser darf sich nicht fürchten vor den Wiederholungstriumphen des Adverbs »irgendwie«, er muss sich daran gewöhnen, dass es dauernd »knarzt«, dass Türen immer »aufschwingen«, dass wieder und wieder auf die dampfende Oberfläche von Getränken geblasen wird. Ja, man fragt sich, warum niemand der Autorin zur Straffung, zur Lakonie riet, warum niemand die offensichtlichen Fehler, die bekanntermaßen jedem widerfahren können, ausmerzte, warum die fesselnde Geschichte nicht aus der Perspektive der Katharina Nachtrab erzählt wird, warum unbedingt auch noch in jede Figur »hineingestiegen« werden muss, deren Sprache dann nicht immer überzeugt. Der seitenlange Teufelsklamauk (mit Maske und Hexensalbei, fast soll es klingen, als wäre der Leibhaftige mit von der Partie), der wäre gekürzt sogar faszinierend. So faszinierend wie viele Passagen des Romans, der trotz etlicher Mängel in den Bann zu schlagen vermag, der rasant erzählte Passagen hat, auch atmosphärisch dichte, der aus äußerer Spannung auch innere erzeugt. Am wichtigsten jedoch: Der Roman rückt eines der größten und unglücklichsten Genies der deutschen Literatur wieder in die Aufmerksamkeit: Georg Heym. Er zeigt eindrucksvoll und auf bedrückende Weise, was mit Menschen geschieht, die sich dem Teufelsbetrieb der Verlage, Theater, Kinos, der »Kunstherstellung«, verschreiben. Und wenn es eine Tradition des Berlin-Romans in der deutschen Literatur gibt, dann hält man hier einen spannenden in der Hand. 

 

Albrecht Franke

 

Christiane Neudecker: »Der Gott der Stadt«, Luchterhand Literaturverlag, 672 Seiten, 24 €

 

 

 

Im Verborgenen Gutes tun

In den Waggons der Berliner U-Bahn erregt ein Plakat Aufsehen mit dem Slogan: »Im Verborgenen Gutes tun!« Geworben wird für »Ausbildung und duales Studium beim Inlandsnachrichtendienst«. Ein roter Button fordert auf: »Jetzt bewerben und Verfassungsschützer/in werden: www.verfassungsschutz.de/karriere.

Sabine Kebir

 

 

Wie ehrlich sind wir eigentlich?

Man will es einfach nicht glauben …, mit welchen Themen sich Wissenschaftler mitunter beschäftigen. Schwarze Löcher, Dinosaurier-Aussterben oder Klimaveränderung – ja, aber auch mit ganz profanen Dingen. So haben Forscher aus der Schweiz und den USA im vorigen Jahr in einer großen Studie die Ehrlichkeit beim Finden einer Geldbörse untersucht. Die Studie wurde in 355 Städten in 40 Ländern durchgeführt – und das mit 17.000 Geldbörsen mit Geldbeträgen in verschiedener Höhe. Eine Frage war dabei: Hängt unsere Ehrlichkeit von der Höhe des Geldbetrages in der gefundenen Brieftasche ab?

 

Die Resultate waren erstaunlich. Je dicker ein gefundenes Portemonnaie war, desto ehrlicher waren die Finder. Befanden sich zum Beispiel 80 Euro darin, konnten sich immerhin 71 Prozent der Leidtragenden über eine Rückgabe des Verlorengegangenen freuen. Noch höher war die Erfolgsrate, wenn sich in der Geldbörse ein Schlüssel befand. Wahrscheinlich suggerierte dieser bei den Findern etwas Wichtiges und Persönliches für den Besitzer.

 

Die Studie zeigt, dass wir Menschen wahrscheinlich ehrlicher sind, als vielfach angenommen wird. Oder plagt uns einfach nur das schlechte Gewissen? Also: Das nächste Mal keinen großen Schreck bekommen, wenn das Portemonnaie verlorengeht – besonders, wenn viel Geld drin war. Aber welchen praktischen Nutzen hat nun die Studie? Ist doch klar: Ich werde demnächst auf Nummer sicher gehen und verlasse das Haus stets mit mindestens 80 Euro und unserem alten Kellerschlüssel in der Tasche. Und dann hoffe ich, dass die Forscher recht behalten.    

 

Manfred Orlick

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Das Coronavirus rüttelt die internationale Wirtschaft und den Reiseverkehr ganz schön durcheinander. Und die länderübergreifenden gesundheitlichen Ängste der Menschen und die interregionalen politischen und militärischen Konfrontationen auch. Letzteres kann sich allerdings sogar vorteilhaft auswirken: So sind die USA und Südkorea übereingekommen, ihre Manöver der Pandemie wegen zu verschieben. Und die USA setzen die Truppenverlegungen über den Atlantik für die NATO-Kriegsübung »Defender 2020« wegen der Corona-Explosionen aus (vgl. dpa/jW vom 14./15.3.20). Gut so! Vermutlich will man vermeiden, selbst die Soldaten wegen der Viren in Quarantäne nehmen zu müssen. Für den Infektionsschutz bleiben ohnedies noch etliche Fragen offen. So wird den Normalbürgern nicht nur empfohlen, sich häufig und gründlich die Hände zu waschen – darauf muss man erstmal kommen! –, sondern bei einem Niesanfall ausreichenden Abstand zum Nebenkörper zu halten und die Sekrete nicht in die Frühlingslandschaft, sondern in die eigene Armbeuge zu husten. Aber wie? Soll man dazu die Ärmel hochkrempeln und das eigene entblößte Gelenk besprühen oder die persönliche Wäsche infizieren? Soll man zuvor spornstreichs den Mundschutz ablegen? Soll man nicht sich, sondern dem Gesprächspartner die Bazillen in die Ellenbeuge sprühen? Oder soll man sich oder anderen aus hygienischen Gründen besser in die Kniekehlen schneuzen? Das dürfte für Bürger im Seniorenalter allerdings artistische Hilfestellungen erfordern! Und wie sollen sich Kopftuchträgerinnen und Vermummte verhalten? Ist es zweckmäßig, Geburtstage kurzerhand abzusetzen? Vermutlich, dadurch könnte auch das Lebensalter gesenkt werden, so dass die Risikogruppe der Älteren nicht zunimmt. Dass Schulen dichtgemacht werden, kommt auf jeden Fall Quereinsteigern zugute. Sie können jetzt pädagogische Erfahrungen ohne direkte Kontakte zu Schülern erwerben. Aber wie kann man das Gedränge in Bahnen und Bussen noch effektiver neutralisieren? Die Haltegriffe und Sitzbänke ausbauen? Nur noch an den Endstationen halten? Fragen über Fragen! – Kunibert-Edelfried Bleibtreu (74), Pensionär ohne Befund, 02699 Niesendorf

Wolfgang Helfritsch