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Die Paten der Soldaten  (Rainer Butenschön)

Was haben sich die Friedensaktivisten dieses Mal einfallen lassen? Hannovers Stadtväter sind nervös. Die Polizei hat Sicherheitsauflagen gemacht. Vorsorglich wird eine zeitgleich geplante Ausstellungseröffnung im Rathaus abgesagt. Doch schließlich kann Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) befreit durchatmen: »Rein zahlenmäßig ist die Sache für die Bundeswehr ausgegangen.«

Der offenbar für möglich gehaltene »Sturm auf das Rathaus« findet nicht statt. Die hannoverschen Antimilitaristen, die seit Monaten öffentliche Auftritte der Bundeswehr kritisch und provokant begleiten, bescheiden sich an diesem Tag mit einer kleinen Protestkundgebung vor dem Rathaus der niedersächsischen Landeshauptstadt.

Drinnen, im Mosaiksaal, lauschen derweil Soldaten »in Ausgehuniformen und mit akkuratem Haarschnitt«, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung meldet, den Ansprachen von Oberbürgermeister Weil und Generalmajor Wolf Dieter Langheld, dem Kommandeur der 1. Panzerdivision, dessen Stab in Hannover residiert. Beide tauschen Artigkeiten und Geschenke aus, feiern das 25jährige Jubiläum einer »in Deutschland einzigartigen Verbindung einer Landeshauptstadt mit einem Großverband der Bundeswehr« (Langheld).

Seit die Stadt unter sozialdemokratischer Führung 1983 beschlossen hat, die Patenschaft über die Division zu übernehmen, gibt es eine »intensiv gelebte Zusammenarbeit« (so die Bundeswehr). Die Patenschaft sei »mehr als nur ein Lippenbekenntnis«, sie sei »sehr dicht an Freundschaft«, freut sich der Kommandeur. Und der Oberbürgermeister bekennt: »Wir sind stolz, an Ihrer Seite stehen zu dürfen.«

»Hannovers Bürger wurden nie gefragt, ob sie Paten der Soldaten sein wollen«, monieren lokale Gruppen, die ihre Aktionen im »Antimilitaristischen Arbeitskreis Hannover« koordinieren. Sie haben gezielt die 1. Panzerdivision in ihren Blick genommen, seitdem diese im Zuge der Umrüstung der Bundeswehr in eine weltweit einsetzbare Angriffsarmee zur wichtigsten deutschen Kampfeinheit aufgerüstet wird.

Die schwer bewaffnete Division firmiert seit einigen Jahren auch als »Division der Eingreifkräfte«. Von 10.000 ist sie auf 19.0000 Soldatinnen und Soldaten aufgestockt worden. »Ausrüstung und Material ermöglichen einen guten Panzerschutz, hohe Feuerkraft und schnelle Beweglichkeit«, rühmt die Division ihre »hohe Stoß- und Durchsetzungskraft«, ihre »Robustheit« und »Befähigung, sich in kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgreich durchsetzen zu können«.

Rekrutiert werden fast nur Freiwillige. Viele von ihnen werden vom Fliegerhorst Wunstorf nahe Hannover in die weite Welt hinaus geflogen. Momentan sind 4500 Divisionäre auf drei Kontinenten (Afrika, Asien, Europa) im Auslandseinsatz. 200 weitere Kämpfer der Division wird am 22. April der Niedersächsische Landtag nach Afghanistan verabschieden. Dieser Feierstunde werde es an politischer Harmonie mangeln, haben die Fraktion der Linken und örtliche Friedensgruppen angekündigt.

In Afghanistan sollen diese Soldaten als »Quick Reaction Force« (Schnelle Eingreiftruppe) und »taktische Reserve« der »International Security Assistance Force« (ISAF) mit ihrer Feuerkraft aushelfen. Auf dem NATO-Übungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide hat die Einheit am 17. März ihre Kampfkraft den Medien vorgeführt. Die Platzpatronen-Schau habe wie »die perfekte Inszenierung eines Kriegsschauspiels« gewirkt, berichtet die hannoversche Neue Presse. Brigadegeneral Jürgen Weit, der die ISAF ab Juli kommandieren wird, erläutert: »Wir bilden unsere Soldaten für alle Eskalationsstufen aus.« Auf Nachfrage fügt er hinzu: »Ich habe die Soldaten und ihre Familien aufgefordert, sich mit dem Thema Tod und Verwundung auseinanderzusetzen.«

Mit diesem Thema versuchen Friedensaktivisten schon lange auch Hannovers feine Gesellschaft beim größten gesellschaftlichen Ereignis der Stadt zu konfrontieren, einem riesigen Sommerfest, »Sommerbiwak« genannt, das auf Einladung der 1. Panzerdivision Jahr für Jahr im Stadtgarten gefeiert wird. Eine Nacht lang amüsieren sich dort 6500 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur mit den Uniformträgern. Jugendlichen der »Roten Aktion« ist darüber erstmals im Jahr 2005 der Kragen geplatzt. »Kriege führen und Feste feiern, das paßt nicht zusammen«, meinten sie, stellten sich unangekündigt mit Antikriegsparolen in den Haupteingang des Biwaks – und wurden so rüde von Feldjägern traktiert, daß sie froh waren, als endlich die Polizei kam.

Seitdem wird das »Sommerbiwak« regelmäßig von Demonstrationen mehrerer hundert Hannoveraner begleitet. Im vergangenen Jahr erteilte ihnen die Stadtverwaltung elf Seiten lang so viele detaillierte Auflagen, daß vom Einsatz der Lautsprecher bis zur Länge der Transparentstangen fast keine ihrer Regungen ungeregelt blieb. In diesem Jahr wollen sie der Soldaten-Sause erstmals ein »Friedensbiwak« entgegensetzen: eine bunte Veranstaltung mit Politik und Kultur, die die innenpolitischen Legitimationsstrategien der Bundeswehr und die scheinbar so harmlose Integration des Militärs in den zivilen Alltag problematisieren soll.

Hannovers Antimilitaristen haben das bislang am wirkungsvollsten am 28. November 2007 versucht: »Chaoten stürmen Marktkirche«, schlagzeilte die Bild-Zeitung am Tag danach. An jenem Abend verteilten Demonstranten vor der imposanten Backsteinkirche in Hannovers Altstadt Flugblätter mit Informationen über die 1.Panzerdivision; andere stellten sich friedlich mit einem Transparent vor den Altar: »Aufrüstung mit Gottes Segen – Hand in Hand in den Kriegseinsatz«.

Die Provokation gelingt. In der Kirche soll gerade das »Adventskonzert« beginnen – zum achten Mal veranstaltet vom Heeresmusikkorps der 1. Panzerdivision, die einen entsprechenden Vertrag mit der Kirche hat. Der verärgerte Kommandeur Langheld erklärt sich den Demonstranten gegenüber zum Hausherrn. Stadtsuperintendent Wolfgang Puschmann korrigiert ihn zwar in diesem Punkt, ruft aber seinerseits die Polizei. Da die Demonstranten erst gehen wollen, wenn auch die Uniformierten das Gotteshaus verlassen. erstattet er Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Polizisten drängen und schubsen die »Störer« schließlich in Richtung Ausgang. Die rufen »Blut an Euren Händen« und »Soldaten sind Mörder«. Vor der Kirche eskalieren die Beamten den Konflikt, kesseln einen Teil der Aktivisten ein, drücken sie zu Boden, fesseln sie und halten sie bis zu sechs Stunden in Polizeigewahrsam. Alle müssen sich nackt ausziehen, werden erkennungsdienstlich behandelt. Frauen, die sich nicht entblößen wollten, berichten, ihnen sei gedroht worden, männliche Polizisten würden sie entkleiden.

Die Demonstranten erreichen ihr Ziel, »den Schulterschluß von Kirche und Bundeswehr zu skandalisieren«. Christen aus der ganzen Republik senden Protestschreiben an die Kirche. Bis heute ist die Aktion in der Stadt und der Kirchengemeinde Gesprächsthema. Ob der Stadtsuperintendent seine Ankündigung weiterer Konzerte mit dem Heeresmusikkorps – jetzt erst recht – wahrmachen kann, bleibt ungewiß, da nicht unwidersprochen. »Wir gehen davon aus, daß sich möglicherweise etwas ändern wird, und werden intensiv darüber in der Gemeinde diskutieren«, sagte Kerstin Sjöstedt-Hellmuth, Mitglied des Kirchenvorstands, am 5. März vor 250 Zuhörern einer Diskussionsveranstaltung zwischen »Störern« und Kirchenvertretern. Marktkirchen-Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann bekennt. »Die Aktion hat uns gezeigt, wie sehr wir uns mit dem Thema Frieden beschäftigten müssen.«

Da der Stadtsuperintendent Militär-Kritiker an die Politik verweisen will und trotz zahlreicher Appelle an seiner Anzeige wegen Hausfriedensbruchs festhält, werden die Kontroversen demnächst vor Gericht fortgesetzt werden. Hannovers Friedensaktivisten, die Ostersamstag erstmals eine neue lokale Friedenszeitung Gemeinsam gegen Krieg in 10.000er Auflage verteilt haben, wollen sich auch dazu einiges einfallen lassen.