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0708

Die Kröte ist giftig, Kollege Bsirske  (Otto Meyer)

Allenthalben wird der Tarifabschluß im Öffentlichen Dienst als großer Erfolg der Gewerkschaft verkauft. Das selbsternannte Arbeiterorgan Bild titelte mit dicken Lettern »8 % – Mehr Geld für den öffentlichen Dienst« und fragte: »Bekommen wir jetzt alle so viel?«, worauf Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sogleich in der Financial Times Deutschland mit der Warnung antwortete, der Abschluß sei die falsche Weichenstellung und »kein Vorbild für die Privatwirtschaft«. Die Kommentatorin der FAZ ließ ebenfalls Tadel für die staatliche Arbeitgeberseite durchblicken: »Teuer erkauft«.

Die gewerkschaftlichen Verhandlungsführer, allen voran ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske, lassen sich offenbar gern als Sieger im monatelangen Tarifpoker darstellen. Nur ganz verschämt wird angemerkt, daß die angeblich jetzt vereinbarten acht Prozent mehr in der Lohntüte erst im Jahr 2009 und dann auch nur annähernd erreicht werden. Tatsächlich steigen die Löhne 2008 generell nur um 3,1 Prozent; zusammen mit einem monatlichen Festbetrag von 50 Euro soll das durchschnittlich 5,1 Prozent ergeben. 2009 kommen 2,8 Prozent hinzu, und einmalig werden 225 Euro gezahlt, die bei der künftigen Tarifentwicklung nicht mitzählen. Gestartet war ver.di aber mit der Forderung nach acht Prozent mehr schon für 2008, um nach etlichen »Nullrunden« endlich einen Ausgleich für die in den letzten Jahren um mindestens acht Prozent gestiegene Inflationsrate zu erlangen.

Bsirske sprach von einigen »Kröten«, die er habe schlucken müssen. Eine der Kröten wären demnach diese unvollständigen acht Prozent, mit denen wohl auch 2009 kein Inflationsausgleich erreicht wird, zumal die Inflation inzwischen weiterläuft.

Über die dickste Kröte aber wird so geredet, als wäre sie ganz leicht zu verdauen. Die Gewerkschaft stimmte zu, daß im Öffentlichen Dienst generell wieder länger, nämlich mindestens 39 Wochenstunden gearbeitet wird – ohne Angleichung des Lohns. Das bedeutet eine Minderung des Stundenlohns um mindestens 1,3 Prozent. Die »8 %« der Bild-Zeitung sind in jedem Fall Falschgeld.

Aber selbst wenn die Mehrarbeit vergütet würde, wäre Arbeitszeitverlängerung immer ein tarifpolitischer Rückschritt. Wie alle Gewerkschaften hat auch ver.di jahrzehntelang zu recht für generelle Arbeitszeitverkürzung gekämpft, möglichst bei Erhalt des vollen Lohns. Dadurch sollten die Lohnabhängigen am technischen Fortschritt beteiligt werden, durch den sich der Bedarf an menschlicher Arbeit verringert. Statt daß immer mehr Beschäftigte auf die Straße gesetzt werden, sollten alle immer weniger arbeiten müssen. Die IG Metall, die die 35-Stunden-Woche erkämpfte, weitgehend ohne Lohneinbußen, sicherte dadurch nachweislich rund 500.000 Menschen den Arbeitsplatz.

Nicht ganz so erfolgreich waren die Gewerkschaften im Öffentlichen Sektor, sie erreichten nur die 38,5-Stunden-Woche, noch dazu unter Verzicht auf Einkommenssicherung (die höheren Stundenlohn für weniger Arbeitsstunden verlangt hätte). Notwendig wäre auch hier wie in der gesamten Volkswirtschaft – entsprechend dem jetzigen Entwicklungsstand der Technik, also der Produktivität – eine radikale Senkung der Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden bei vollem Lohnausgleich; damit ließe sich endlich der Skandal der Massenarbeitslosigkeit beseitigen.

Die Arbeitgeber, auch die öffentlichen, steuern in die entgegengesetzte Richtung. Noch unter der Schröder-Regierung setzten sowohl der Bund als auch die meisten Länder zumindest für die ohne Tarifvertrag arbeitenden Beamten die Wochenstundenzahl auf bis zu 41 Stunden hoch, ohne Bezahlung der Mehrarbeit. Ähnliche Regeln gelten schon länger für die Beschäftigten in den ostdeutschen Ländern.

Bisher hatte ver.di immer dagegen protestiert, jetzt ist die Gewerkschaft eingeknickt und wird dann wohl den Weg in die unbezahlte Mehrarbeit weiter und weiter gehen. Die Langzeitwirkung dieser giftigen Kröte ist absehbar: Die Arbeitslosigkeit wird wachsen, jungen Menschen wird der Zugang zu sinnvoller Berufstätigkeit mehr und mehr verbaut.

Schon heute haben die Regierenden als Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst gegenüber 1991 einen Rückgang der Beschäftigung in Vollzeitstellen um rund 1.8 Millionen zu verantworten. Und es liegt auf der Hand, daß die sozialen, kulturellen und pädagogischen Dienstleistungen des Staates und der Kommunen noch mehr an Qualität einbüßen werden.