Erstmals traf ich den Oberstleutnant der Luftwaffe Jürgen Rose am 1. Mai 2001 in München. Mit am Tisch saß Heinrich Graf Einsiedel (1921–2007), der ehemalige Jagflieger an der Ostfront. Es ging um das große Thema »Geschichte als Waffe«, schließlich um die Traditionswürdigkeit von Oberst Werner Mölders (1913–1941), dem Jagdflieger-Idol der »Legion Condor«. Jahre später griff Rose das Thema in Ossietzky 11/06 auf und nannte Mölders einen »Auftragskiller« der Diktatoren Franco und Hitler. »Rose fühlt sich berufen«, so ereiferte sich in einer Mölders-Verteidigungsschrift der pensionierte Luftwaffengeneral Hermann Hagena, »die Fackel der Aufklärung in die letzte dunkle Ecke der Tradition zu tragen.«
Es gibt noch viele dunkle Ecken, die von der Bundeswehr behütet werden.
Von 1995 bis 1998 tat Rose Dienst im Marshall-Center in Garmisch. Zu dieser Liegenschaft gehört auch die Dellmensingen-Kaserne. Der Kasernenpatron Konrad Krafft von Dellmensingen (1862–1953), bekannt für seine Ausfälle gegen das »Weltjudentum« (»Alle englischen Kriegstreiber sind Juden oder Judenstämmlinge«), gehörte zu einem bayerischen Verschwörerkreis, der ab Januar 1920 aufgebaut wurde. Nach dem geplanten Umsturz sollte Dellmensingen als Militärdiktator von Bayern ausgerufen werden. Die Bundeswehr, nachdrücklich darauf angesprochen, schweigt dazu. Antidemokraten wie Dellmensingen bleiben Vorbilder.
Zu den heutigen Kriegern, die von solcher Traditionspflege geprägt sind, zählt Daniel Kaufhold, Hauptmann im Kommando Spezialkräfte (KSK), einer geheimen sogenannten Elitetruppe der Bundeswehr, deren früherer Kommandeur Reinhard Günzel seine stramm rechten Neigungen nicht kaschierte und deswegen den Dienst quittieren mußte; die Denkweise des Generals blieb zurück. Hauptmann Kaufhold sandte im vergangenen Jahr diese Haßmail an Oberstleutnant Rose: »Ich beurteile Sie als Feind im Inneren und werde mein Handeln daran ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen.« Und: »Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht.« Postskriptum: »Es lebe das heilige Deutschland.«
Rose sah sich an Weimarer Zeiten erinnert, als Stahlhelmer, Freikorpsleute, Frontkämpferbünde und Deutsch-Nationale offen agierten, weil sie von der Justiz nichts zu befürchten hatten. Er bat um disziplinarische Ermittlungen. Kaufhold kam jedoch nicht vors Truppengericht. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, der Kaufholds Äußerungen »unerträglich« fand, bemühte sich beim Verteidigungsministerium um eine Überprüfung der »völlig unzureichenden« disziplinarischen Würdigung. Aber das Ministerium schweigt – es scheint sich stillschweigend mit demokratiefernen Kameradschaften zu solidarisieren.
Von der Zeitung Neues Deutschland befragt, attackierte Rose die Bundeswehrführung: »Seit Ende des Kalten Krieges wird versucht, einen traditionalistischen Kämpferkult in der Bundeswehr zu etablieren. Vom Staatsbürger in Uniform wollen manche Kreise nichts mehr wissen. Der immer noch amtierende Inspekteur des Deutschen Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, fordert zum Beispiel lauthals den ›archaischen Kämpfer‹. Wenn man solche Latrinenparolen verkündet, die sich kaskadenartig durch alle Hierarchieebenen bis nach unten ergießen, braucht man sich nicht zu wundern, wenn dann auf unteren Ebenen, nicht nur in Calw (Standort des KSK; Red.), sondern auch in Coesfeld und anderswo diese Kloaken entstehen.«
Die nationalistischen Soldatenbünde der Weimarer Republik landeten sämtlich bei den Nazis. Die Bundeswehr hat sich auch von solchen Traditionen nie wirksam distanziert. Kasernennamen sagen es deutlich, zum Beispiel in Hildesheim. Dort gibt es eine Mackensen-Kaserne. Als Matthias Erzberger am 21. August 1921 von Offizieren des Geheimbundes »Organisation Consul« ermordet wurde, empfand Generalfeldmarschall August von Mackensen (1849–1945) Genugtuung: »Den Schädling sind wir los...«