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Wer zieht Steinmeier zur Rechenschaft?  (Ralph Hartmann)

Als der bundesdeutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Bundestag mitteilte, daß das Merkel-Kabinett beschlossen hatte, Kosovo als »unabhängigen Staat« – er bezeichnete das NATO- und EU-Protektorat tatsächlich als »unabhängig« – anzuerkennen, erging er sich in wohltönenden Phrasen:

»Neun Jahre insgesamt haben wir uns um eine einvernehmliche Lösung bemüht«, »Jetzt ist unsere Verantwortung gefordert«, »Es gilt, das Beste daraus zu machen. Das Beste heißt: einen demokratischen Rechtsstaat zu schaffen, europäische Werte im Kosovo ... durchzusetzen«, »Ich habe der Führung der Kosovo-Albaner ausgerichtet und ich sage auch den Verantwortlichen in Serbien: Lassen Sie uns in diesen Tagen und in der kommenden Zeit die Gespenster der Vergangenheit ruhen«, »Jetzt müssen wir ehrlich sein. Es gibt Situationen, in denen man anerkennen muß: Es geht nicht weiter«, »Wir werden uns deshalb in Zukunft nicht nur mit Tausenden von Bundeswehrsoldaten im Kosovo engagieren, sondern uns mit Polizisten, Richtern, Staatsanwälten und Regierungsberatern auch zu einem beträchtlichen Teil an der zivilen EU-Mission beteiligen müssen«…

Und so weiter.

Mit keiner Silbe erwähnte er die jahrzehntelange Unterstützung der albanischen Separatisten, die deutsche Teilnahme am barbarischen Aggressionskrieg gegen Jugoslawien, die Beteiligung der Bundeswehr an der Okkupation des südserbischen Gebietes, die Mitschuld an der Vertreibung der Serben und an der Zerstörung welthistorischen Kulturgutes. Kein Wort verlor er über die grobe Verletzung der UN-Charta, die Mißachtung der UN-Resolution 1244, die die territoriale Zugehörigkeit Kosovos zur Republik Serbien garantierte, und über die ständige Erpressung der Republik Serbien, der nunmehr 15 Prozent ihres Staatsterritoriums geraubt wurden.

Gerade dieses Verschweigen machte seine Anerkennungsrede zu einem großen Schwindel. Zugleich wirft derartiger Umgang mit der Wahrheit ein bezeichnendes Licht auf die deutsche Außenpolitik.

Knapp 14 Tage später überraschte Gunter Pleuger, 1999 bis 2002 Staatssekretär im Auswärtigen Amt und 2002 bis 2006 ständiger Vertreter der BRD bei den Vereinten Nationen in New York, mit bemerkenswerten Eingeständnissen. In der Berliner Zeitung erinnerte er an die Sitzung des Weltsicherheitsrates vom 5. Februar 2003, auf der der damalige US-Außenminister Colin Powell in der berüchtigten Dia-Show seine Lügen über die Massenvernichtungswaffen im Irak vortrug, mit der er die Aggression gegen das Land propagandistisch vorbereitete. Damals habe die Bundesregierung, so Pleuger, gewußt, »daß so ziemlich alles, was er vortrug, falsch war«. Noch deutlicher: »Wir wußten aus eigenen Quellen schon vorher, daß die gegebenen Informationen falsch waren.« Und was hat damals Powells Amtskollege Joseph Fischer, der die Sitzung als »Chairman« leitete und den kleinen braunen Hammer schwang, dazu geäußert? Nichts! Er hat mit keinem Wort widersprochen, und so konnten die USA wenig später mit ihrer »Koalition der Willigen« das Zweistromland überfallen. Deutschland wollte den Krieg nicht ernsthaft verhindern, es wollte sich nur nicht offen selbst daran beteiligen, denn vor den Bundestagswahlen im September 2002 hatten sich Kanzler Schröder, sein Außenminister und ihre Parteien unzweideutig gegen den sich abzeichnenden Irak-Krieg positioniert. Nichts war populärer, denn als Friedenskanzler und -parteien in die Wahlschlacht zu ziehen. Diese Politik trug Früchte. Die rot-grüne Koalition wurde, wenn auch knapp, wiedergewählt.

Ganz anders war es vier Jahre zuvor gewesen. Als die NATO-Entscheidung zum Überfall auf Jugoslawien fiel, waren die Wahlen vorüber. Schröders und Fischers Regierung saß fest im Sattel. Friedensgesäusel war nicht nötig. Es galt, die Kriegsvorbereitungen voranzutreiben. Amerikanische Lügen waren hochwillkommen. So auch als der komplotterfahrene US-Botschafter Walker am 16. Januar 1999 der Weltpresse im Dorf Racak in einem Graben 45 aufgehäufte tote Kosovo-Albaner präsentierte und die Inszenierung im Widerspruch zu allen Tatsachen als ein Massaker an unbewaffneten Zivilisten ausgab. Die bundesdeutsche Regierung stimmte in den Lügenchor ein und trug aktiv dazu bei, die Hysterie um das angebliche grausame Verbrechen der Serben gegen die Menschlichkeit zu schüren. Mehr noch: Kriegsminister Scharping und Fischer übertrafen mit ihren antiserbischen Völkermord-, Vertreibungs-, KZ- und Hufeisenplan-Lügen sowie der neuen Auschwitz-Lüge selbst ihre US-amerikanischen Verbündeten. So wurde der Boden bereitet, auf dem sich Deutschland erstmals seit 1945 wieder an einem Krieg beteiligte. Die letzten Weichen dazu wurden mit dem Ultimatum von Rambouillet gestellt, woran, nebenbei bemerkt, der jetzt so offenherzige Herr Pleuger als einer der deutschen Verhandlungsführer und Serben-Erpresser mitwirkte.

Derjenige aber, der zu jener Zeit als Kanzleramtschef die Fäden für die Vorbereitung der deutschen Teilnahme an der Aggression gegen Jugoslawien und an der Abspaltung Kosovos zog, stellte sich jetzt vor den Bundestag und behauptete, die BRD habe sich neun Jahre um eine einvernehmliche Lösung bemüht. Allerdings konnte er es sich, Triumphgefühle nur mühsam unterdrückend, nicht ganz verkneifen zu erklären, daß er in der Abspaltung Kosovos »den Schlußpunkt aus dem – teilweise gewaltsamen – Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens« sehe. Warum auch nicht? Schließlich führt von der deutschen Politik der Einmischung in die innerjugoslawische Krise Ende der 80er Jahre und der von Genscher 1991 durchgesetzten verhängnisvollen eiligen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens eine gerade Linie zu der von Steinmeier betriebenen und nun anerkannten völkerrechtswidrigen Abtrennung Kosovos. Und als sich die serbische Bevölkerungsmehrheit in Kosovska Mitrovica, im Nordteil des geraubten Gebietes, gegen ihre gewaltsame Eingliederung in den albanischen Herrschaftsbereich zur Wehr setzte, verurteilte Steinmeier das aufs Schärfste und forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Wer aber zieht ihn zur Rechenschaft?