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Titel0709

Schwarzmaler und Hellseher  (Werner René Schwab)

Sie können es nicht lassen. Mindestens eine Prognose pro Monat scheint das Soll für die deutschen Wirtschaftsinstitute und ihre Wissenschaftler zu sein. Deshalb überschlagen sich die selbsternannten Experten im Wochentakt mir ihren Einschätzungen zur Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Ob sie einander widersprechen, ob 14 Tage später nach eigenem Eingeständnis ihre Angaben längst überholt sind, ist ihnen egal. Und die Medien? Brav, treuherzig, kritiklos veröffentlichen sie diese Prognosen, als wäre jeder Zweifel daran ausgeschlossen. Zwar schlug zum Beispiel Anfang Januar der Chef der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, vor, keine Konjunkturprognosen mehr abzugeben, weil sie in solchen Zeiten ohnehin nicht seriös sein könnten. Doch drei Wochen später wurde er wieder zum Hellseher und kündigte für 2009 den schwersten Konjunktureinbruch seit Kriegsende an. Ähnlich verhielt sich der Chefvolkswirt der Commerzbank, Josef Krämer. Er konstatierte dieser Tage, daß angesichts der ständigen Irrtümer und notwendigen Korrekturen viele nicht verstehen, wieso die Volkswirte weiterhin und sogar immer öfter Voraussagen abgeben, da sich doch die Daten Tag für Tag änderten. Gleich im folgenden Satz prophezeite er dann selbst für die nächsten neun Monate einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts um sechs bis sieben statt drei bis vier Prozent wie noch vor 14 Tagen.

Vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung war jetzt zu erfahren, daß die deutsche Wirtschaft um 4,8 Prozent schrumpfen wird. Gleiche Zahlen nennt das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Die DBG-nahe Hans-Böckler-Stiftung spricht von fünf Prozent. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, prophezeite Anfang März sogar finster neun Prozent. Er ist dafür bekannt, alle vier Wochen seine Zahlen zu ändern. Die Meinung der Bundesregierung wird uns Ende April bekannt, wenn die sogenannten Wirtschaftsweisen ihr Gutachten vorlegen – das, nebenbei bemerkt, bisher immer schon nach einem Monat korrigiert werden mußte. Noch zu Beginn des Jahres 2008 hatten die Weisen das üble Spiel der Investmentbanken nicht durchschaut. Vielmehr hatten sie die merkwürdigen Geschäfte der US-amerikanischen und dann auch der europäischen Banken mit billigen Kreditvergaben und -ver-käufen, Zinssenkungen und so weiter als die endlich gefundene Quelle märchenhafter Gewinne gelobt – und die Bundesregierung, die sich darauf verlassen hat, zahlt weiter brav das hohe Honorar für solche Expertisen. Also liefern die »Weisen« wie auch andere Wirtschaftsinstitute die von Kapital und Kabinett gewünschten Zahlen, mit denen sich alles Erdenkliche rechtfertigen läßt, notfalls auch Kurzarbeit, Massenentlassungen, Lohnsenkungen und staatliche Hilfe an Banken und Industrieunternehmen.

Doch nicht alle malen schwarz. So behauptete Ende März US-Notenbank-Chef Ben Bernanke: »Noch in diesem Jahr wird der wirtschaftliche Abschwung in den USA enden. Ab 2010 geht es wieder aufwärts.« Das gleiche sagte zur selben Zeit auch der Internationale Währungsfonds und gab sich sicher, daß die Produktivität weltweit um 1,5 bis 2,5 Prozent steige. Der ständig seine Meinung ändernde Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, bleibt sich treu und ist am 25. März davon überzeugt, daß das Institut, dem er dient, 2009 wieder Gewinne macht. Auch die Finanzexperten des in Mannheim beheimateten Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) verbreiten Optimismus schon für dieses Jahr. Bereits im Sommer werde die Talfahrt ihr vorläufiges Ende erreicht haben und sich die Wirtschaft allmählich aus dem Tief befreien. »Es gibt bereits erste Lichtblicke. Sie sollten jetzt nicht kaputt geredet« oder durch zu hohe Löhne kaputtgemacht werden, lautet die Botschaft. Das Kapital verwertet beides, Pessimismus und Optimismus.

Wer nun aber glaubt, diese aus nur einem Monat stammenden Beispiele für das Verwirrspiel der Wirtschaftswissenschaftler seien Zeichen einer schweren Krankheit des Kapitalismus, irrt sich. Selbstverständlich gibt es auch unter den Oligarchen und ihren Helfern Meinungsverschiedenheiten. Eines aber eint sie immer wieder, was auch geschehen mag: die Verteidigung ihrer Klassenherrschaft, ob sie sie Kapitalismus oder zur Abwechslung Neoliberalismus, Globalisierung, freier Markt oder soziale Markwirtschaft nennen. Sehen sie diesen ihren Schützling in Gefahr, vergessen sie ihre Zwistigkeiten und schließen sich zusammen. Noch liegt die Macht bei ihnen. Aber daß sie ihre im Grunde banalen Streitigkeiten offen und öffentlich austragen, den normalen Bürger durch einander widersprechende Prognosen über die Zukunft ängstigen und die Mehrheit der Menschen immer tiefer ins Elend stürzen, sind schon Anzeichen aufkeimender Schwäche. Die Vorfälle der letzten Zeit zeigen, daß auch diese Macht vergehen kann. Denn es wird immer offenkundiger, daß der Kapitalismus abgewirtschaftet hat. Allein in der BRD halten bereits 50 Prozent der Bevölkerung trotz aller Medien-Propaganda den Sozialismus für besser als die hemmungslos freie Marktwirtschaft.

Es mag noch einige Zeit dauern, aber der Tag wird kommen, an dem der Klassenkampf nicht mehr nur von oben nach unten geführt wird.