Wer in das statistische Taschenbuch des Bundesministeriums für Arbeit schaut, kann schnell feststellen, wo ein Großteil der Verantwortung für die skandalöse Zunahme der Arbeitslosigkeit zu suchen ist, besonders auch für den nochmaligen Anstieg der Arbeitslosenzahl um mehr als zwei Millionen in den letzten beiden Jahrzehnten. 1991 waren im Öffentlichen Dienst 1991 5,1 Millionen Menschen vollzeitbeschäftigt, 2007 nur noch 3,1 Millionen. Auch wenn Bahn und Post mit einstmals gut 700 000 Mitarbeitern inzwischen nicht mehr als Öffentlicher Dienst gelten, minimiert das die Zahl der vom Staat mit Vorsatz zerstörten Arbeitsplätze nur geringfügig; denn auch dort wurde mindestens die Hälfte der Arbeitsplätze gestrichen, und da beide sich nach wie vor überwiegend in Bundesbesitz befinden, muß man weiterhin auch die staatlichen Verursacher haftbar machen.
Es waren die Regierenden in Bund, Ländern und Gemeinden, die in ihrem direkten Zuständigkeitsbereich mit immer neuen Kürzungsprogrammen den Stellenabbau in Schulen und Hochschulen, Krankenhäusern, Altersheimen, Jugendhäusern, Theatern und so weiter vorangetrieben haben. Auch bei Gerichten oder in der Forstverwaltung wie in allen anderen Behörden war – und ist weiterhin – »Personalverschlankung« das Mittel der Wahl, sobald »Berater« aus der neoliberalen Schule ins Amt geholt wurden und »Effizienz-Strategien« vorgeben, um Personalkosten »zu sparen«. Die Auswirkungen dieses Sparwahnes bekommen wir alle tagtäglich zu spüren, sobald wir öffentliche Dienste in Anspruch nehmen wollen oder müssen. Am schlimmsten sind jene betroffen, die auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen bleiben.
Wie in der Privatwirtschaft haben auch im öffentlichen Bereich die Gewerkschaften sich im Wesentlichen darauf beschränkt, den Stellenabbau möglichst sozialverträglich zu gestaltet und zum Beispiel Frühverrentung oder Versetzung anstelle von Entlassung auszuhandeln. Aber was soll daran »sozialverträglich« sein, wenn vielleicht die eigenen Kinder nun auch im Öffentlichen Dienst kaum noch eine Möglichkeit haben, eine Ausbildung oder Anstellung zu bekommen?
In der gegenwärtigen Kapitalismuskrise wird plötzlich die Rolle des Staates wiederentdeckt, nachdem jahrzehntelang die Parole galt: »Mehr Markt und weniger Staat!« Doch dieser scheinbare Sinneswandel der neoliberalen Protagonisten hat bisher ausschließlich das Ziel, die Kapitalbesitzer vor weiteren Schäden zu schützen und den gewohnten Profitfluß wiederherzustellen, den der »Freie Markt« zur Zeit verweigert. Ob Pleitebanken vom Staat übernommen werden oder Großbetriebe mit Staatsbeteiligung vor der Insolvenz »gerettet« werden sollen, immer geht es darum, das Privatkapital bei Laune zu halten. Der Erhalt oder gar der Aufbau von Arbeitsplätzen steht bisher nicht auf der Regierungsagenda. Allenfalls werden die Geschenke an die Unternehmen propagandistisch für die Öffentlichkeit dargestellt, als wolle man Arbeitsplätze erhalten. Tatsächlich wird die Entlassung von Leiharbeitern und die Einführung von Kurzarbeit mit erheblichen Lohneinbußen auch für die »Kernbelegschaften« verlangt, um die Rentabilität des Betriebes für die Besitzer wieder zu gewährleisten. Bei Opel zum Beispiel genügen die vom Betriebsrat schon zugesagten Lohnverzichte den Sanierungsbeauftragten der Banken und der Regierungen noch lange nicht.
Dabei wäre es längst an der Zeit, zumindest im Öffentlichen Dienst die Arbeitsmarktpolitik arbeitnehmer- und menschenfreundlicher zu gestalten. Ein Sofortprogramm könnte auf den Weg gebracht werden, um wieder ein bis zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze einzurichten, mit tariflich abgesicherten ordentlichen Löhnen, wovon Mann und/oder Frau auch die eigenen Kinder auskömmlich ernähren könnte. Der Bedarf an zusätzlichen, verstärkten, verbesserten öffentlichen Dienstleistungen ist groß, das Angebot an Arbeitnehmern auch. In diesem Bereich sind nicht einmal zeit- und kostenaufwendige Investitionen erforderlich, um mehr Arbeitsplätze bereitzustellen; die Grundausstattung der wegrationalisierten ist meist noch vorhanden.
»Aber das kostet trotzdem noch Unsummen an Personalkosten, und der Staat hat doch nun mal kein Geld!« Nun, wer heute noch mit der angeblich fehlenden Staatsknete argumentieren will, müßte uns zunächst einmal erklären, woher denn plötzlich zum Beispiel die 100 Milliarden Euro genommen werden, die allein einem einzigen Finanzinstitut, der Hypo Real Estate, schon bewilligt wurden – ganz zu schweigen von den 500 Milliarden Euro, die da vielleicht bald noch fällig werden. Das scheinbar alle sozialen Forderungen erledigende Argument der zu hohen Kosten konnte schon vor zehn Jahren widerlegt werden, als der »Erfurter Erklärung«, die einen Politikwechsel gefordert hatte, Ende Januar 1999 der »Erfurter Appell« folgte: »Eine Million Arbeitsplätze in öffentlicher Beschäftigung bis zur Bundestagswahl!« (Man setzte damals noch Hoffnungen in die kurz zuvor ins Amt gekommene rot-grüne Regierung – welch fataler Irrtum!)
Zum Beweis seien hier unsere damaligen Berechnungen (s. Ossietzky 3/99) in Kurzform auf heutige Beträge übertragen: 2008 hätte der jährliche staatliche Brutto-Aufwand für eine Million Arbeitsplätze mit durchschnittlichem Brutto-Arbeitnehmerentgelt (das heißt einschließlich der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkosten, der sogenannten Lohnnebenkosten) rund 37 Milliarden Euro betragen, denen aber beträchtliche Summen gegenzurechnen sind: Zunächst ergibt sich ein sofortiger Rückfluß von rund 50 Prozent der Gesamtsumme (Sozialabgaben von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag, die direkt vom Lohn auf die staatlichen oder vom Staat verantworteten Kassen überwiesen werden müssen). Es verbleiben 50 Prozent als Nettoauszahlung an die Neueingestellten: 18,5 Milliarden Euro. Außerdem entfällt das bisherige Arbeitslosengeld oder die Sozialhilfe und das Arbeitslosengeld 2, wodurch von dieser Summe wiederum mindestens die Hälfte eingespart wird. Demnach würden die staatlichen Kassen für das Eine-Million-Arbeitsplätze-Programm nur noch mit gut neun Milliarden Euro belastet.
Ein weiterer positiver Effekt würde sich schon im Verlauf des ersten Jahres einstellen. Die Neueingestellten mit jetzt einigermaßen sicheren und auskömmlichen Jobs würden einen nicht geringen Teil ihrer Lohneinkommen für die Anschaffung neuer Gebrauchsgüter ausgeben, für die sie bisher kein Geld hatten. Die angeblich so dringend erwünschte Nachfragebelebung auf dem Konsumgüter-Binnenmarkt würde in Gang kommen, und zwar weit direkter und vor allem menschenfreundlicher als durch alle bisher aufgelegten Konjunkturprogramme für neue Straßen oder Hilfen für Autoindustrie und Werften. Das würde auch ganz schell zusätzliche Mehrwert- und Gewinnsteuereinnahmen bringen, außerdem noch zusätzliche Arbeitsplätze in der Konsumgüterindustrie.
Ähnlich realistische und nachprüfbare Berechnungen sind schon seit Jahrzehnten mehrfach vorgelegt worden, sie sind in den Ministerien bekannt. Auch politischen Entscheidern wurden sie vorgelegt – die aber anders entschieden. Die neoliberal agierenden Kapitalkräfte setzten sich durch. So läßt sich der Schluß ziehen, daß eine hohe Arbeitslosigkeit von staatlicher Seite nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert worden ist. Denn nur so, durch größere Not-Konkurrenz der Arbeiter untereinander, konnte der Preis der Ware Arbeitskraft gesenkt werden. Hartz IV war dann noch ein zusätzlicher Hebel, um die Arbeiterschaft insgesamt gefügiger zu machen.
Einzig die Linkspartei fordert gegenwärtig ein ähnliches Programm für »Eine Million Arbeitsplätze im Öffentlichen Beschäftigungssektor«. Doch leider hat sie für die Finanzierung einen viel zu hohen Bedarf angenommen: jährlich 50 Milliarden Euro. Und so wird ihren Vertretern etwa in den unsäglichen »Talkshows« ständig vorgeworfen, ihr Programm sei kaum zu finanzieren; die Linken könnten eben nicht verantwortlich mit Geld umgehen. Schade.
Dabei ist die Frage nach der Finanzierbarkeit neuerdings noch viel leichter zu beantworten: Nicht einmal die normalen jährlichen Zinsverpflichtungen aus solch gewaltigen Summen, wie sie den Banken heute zugesagt werden, wären erforderlich, um für eine Million Menschen Vollzeit-Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen.