erstellt mit easyCMS
Titel0709

Piraten, rechtstaatlich entsorgt  (Gerhard Stuby)

Was waren das für Zeiten! Hatte man auf See Piraten gefangen genommen, was selten gelang, wurde kurzer Prozeß gemacht. Sie wurden am Mast aufgeknüpft. Ob dies dem Kapitän der Fregatte »Rheinland-Pfalz« der deutschen Bundesmarine durch den Kopf ging? Belegt ist es nicht, es ist aber nicht ausgeschlossen. Am Dienstag, dem 3. März 2008, war es seiner Mannschaft gelungen, eines der gefürchteten Schnellboote der Piraten vor der somalischen Küste zum Abdrehen zu zwingen, als diese den Frachter »Courier« der Hamburger Reederei Gebrüder Winter kapern wollten. Die deutschen Marinesoldaten vermochten sogar, das Boot zu verfolgen und neun Piraten dingfest zu machen. Aber was sollte jetzt mit ihnen geschehen? Funksprüche hin und her. Sollten sie nach Deutschland gebrachte werden, oder würde vielleicht sogar ein Richter eingeflogen, um sie abzuurteilen? Immerhin war dieses Szenarium im Vorfeld der Aktion »Atalanta« diskutiert worden, und in den Nachrichten des Norddeutschen Rundfunks war auch schon zu hören, die Staatsanwaltschaft Hamburg habe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und sich für den Fall gerüstet, daß die Festgenommenen nach Deutschland verbracht würden. Dann kam das erlösende Signal. Die neun konnten nach acht Tagen »Gastaufenthalt« auf der »Rheinland-Pfalz« im Hafen von Mombasa an die kenianischen Behörden übergeben werden.

Die EU hatte nämlich in der Zwischenzeit mit Kenia eine Vereinbarung zustande gebracht. Es hatte etwas gedauert, einen geeigneten und willigen Staat zu finden, der die strafrechtliche Verfolgung übernehmen würde. Schon als der Rat der Europäischen Union am 10. November 2008 die Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP beschloß (Amtsblatt der Europäischen Union L 301/33 v. 12.11.2008), war klar, daß eher an rechtstaatliche Entsorgung als an Aufarbeitung gedacht war. Denn keiner der an der Aktion beteiligten europäischen Staaten wollte diese »Drecksarbeit« selbst übernehmen. So heißt es in Artikel 12 des Beschlusses zur gemeinsamen Aktion, daß Personen, die wegen Verdachts der Seeräuberei festgenommen worden seien, auch an »an jeden Drittstaat« übergeben werden könnten. Allerdings müßten »mit dem betreffenden Drittstaat die Bedingungen für diese Übergabe im Einklang mit dem einschlägigen Völkerrecht, insbesondere den internationalen Menschenrechtsnormen, festgelegt (worden sein), um insbesondere sicherzustellen, dass für niemandem das Risiko der Todesstrafe, Folter oder jeglicher anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht«. Offenbar war an Staaten gedacht, der nicht Mitglied der europäischen Menschenrechtskonvention sind und sich nicht der Gerichtsbarkeit des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof unterworfen haben.

Lange läßt sich darüber grübeln, weshalb gerade Kenia für diese heikle Mission ausgewählt wurde. Denn die prekäre Menschenrechtssituation, und zwar nicht nur in Hinsicht auf die Todesstrafe, die nach wie vor in Kenia geltendes Recht ist, wird auch im Menschenrechtsbericht der EU von 27.11.2008 ausdrücklich erwähnt. Der Europa-Parlamentarier Graf Lambsdorff äußert sich da in seiner Funktion als Leiter einer Beobachtungskommission der EU zu den Präsidentschaftswahlen Ende Dezember 2007 äußerst skeptisch über deren Verlauf. Man wird sich fragen müssen, ob die Vereinbarungen mit der kenianischen Regierung, die in einem ausführlichen Briefwechsel niedergelegt wurden (Rat der EU v. 23.2.2009 5348/0), ausreichen werden. Das einstige Vorzeigeland gleite ins Chaos ab. Korruption und Polizeigewalt sei schlimmer als je zuvor, so Der Spiegel in einem jüngsten Bericht (Ausgabe 13/09), und Premierminister Raila Oginda spricht in einem Interview an gleicher Stelle von der Gefahr, Kenia könnte zum »Failed state« werden. Offensichtlich gibt es kaum weitere Anwärter für solch delikate Angelegenheiten, und nur das Versprechen, im Gegenzug Schnellboote, Helikopter und zwei moderne Feuerwehrfahrzeuge zu liefern, konnten Kenia gefügig machen (Der Spiegel 14/09).

Wir erinnern uns: Das Horn, in das man zur Hatz auf Piraten blies, konnte nicht groß genug sein. Nicht nur die Freiheit der Schifffahrt sei bedroht, nein, gegen eines der ältesten und gefährlichsten Verbrechen der Menschheit gelte es sich zu wehren. Volles Rohr gegen die Piraten, 1400 Mann und Frau waren der Bundesmarine gerade genug. Einsicht und Kenntnis, daß dies eigentlich gar keine militärische, sondern eine polizeiliche und strafrechtliche Angelegenheit sei, jedenfalls, wenn man sich an das Völkerrecht hält, konnten sich nicht durchsetzen. Auch das Argument, der Rahmen der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, auf den man sich berief, werde gesprengt, zog nicht (s. Ossietzky 24/08: »Halali zur Jagd auf Piraten«). Alle Bedenken wurden wie so oft beiseite gewischt. Der Bundestag gab sein mehrheitliches Plazet zu einem militärischen Einsatz im Rahmen der EU. Die Ermächtigung der erwähnten Gemeinsamen Aktion 2008/851 GAS des Rates der EU erwähnte folgerichtig mehr am Rande das »Aufgreifen, Festhalten und Überstellen von (der Piraterie verdächtigen) Personen«, also die klassischen strafprozessualen Maßnahmen. Ganz im Vordergrund stand die »Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen«. Für diese militärische Machtdemonstration der europäischen Staaten hatte sich die Bundesregierung eingesetzt, und hierfür erhielt sie die Unterstützung der Mehrheit im Bundestag. Rechtsstaatliche Aufarbeitung, von der ansonsten vollmundig gesprochen wird, war hier bestenfalls verbales Beiwerk.

Die Fregatten brauchten gar nicht erst auszulaufen; denn sie trieben sich schon lange am Golf herum, nämlich im Rahmen der Operation »Enduring Freedom«. Ein wenig aufgestockt, stand im Handumdrehen genügend Kapazität für die EU-Antipiratenaktion »Atalanta« zur Verfügung.

Schneller, als es manchen recht sein konnte, hatte man eine Handvoll Piraten an Bord. Eigenartig: Der deutsche Weltmeister im Export rechtsstaatlicher Gerichtsbarkeit, der vom Amts- bis zum Verfassungsgericht alles im Angebot hat und der zudem mit einem Völkerstrafrechtsgesetzbuch aufwarten kann, das an Vollständigkeit und Akribie nicht zu überbieten ist, hat plötzlich Probleme. Versagt er es sich, die Gelegenheit zu nutzen, die er sich sonst nie entgehen lassen würde, der Welt ein Exempel eines rechtsstaatlichen Verfahrens vorzuführen?

Fürchtet man sich, die neun ausgemergelten farbigen Fischer einem deutschen Richter vorzuführen? Vielleicht berichten sie darüber, wie ihre Fischgründe längst in den Schlünden riesiger schwimmender Verarbeitungsfabriken verschwunden sind. Deren Eigner könnten sie just als Angehörige derjenigen Nationen identifizieren, deren Kriegsschiffe jetzt vor ihrer Küste auf sie warteten. Möglicherweise würde offenbar, daß sie, um überleben zu können, ihre nutzlos gewordenen Trawler umfunktionierten. Sie wurden die Ausgangsbasis für Schnellboote, die sich aus der unendlichen Kette der nah an der Küste vorbeiziehenden Dampfer den einen oder anderen heraussuchten, um ihn zu kapern. Denn auf der meistbefahrenen Handelsstraße nach Europa bestand üppige Auswahl. Es könnte sich herausstellen, daß die Piraterie längst das Anfangsstadium kleiner Raubzüge ums tägliche Brot verlassen hat und ganz andere Dimensionen zu erahnen sind.

Die Piraterie war im Lauf der Geschichte selten und jedenfalls nicht lange eine auf eigene Rechnung ausgeübte Tätigkeit Einzelner. Ähnlich wie bei der Prostitution bemächtigten sich immer schnell mächtige, mit der Mafia verbundene Organisationen dieses Geschäfts und beschäftigten die Piraten für einen Hungerlohn. Somalia, Musterexemplar eines failed state, ist das ideale Hinterland für derartige Strukturen, in denen die Piraterie prächtig gedeiht – was seit langem bekannt ist. Neu ist derartige Kenntnis nicht. Ein Blick in die zahlreichen UN-Sicherheitsresolutionen zu Somalia und speziell zur Bekämpfung der Seeräuberei liefert reichhaltiges Informationsmaterial. Aber das Interesse daran scheint hierzulande gering zu sein.

Es könnte noch andere, tieferliegende Gründe geben, weshalb man sich scheut, derartige Zeugen vor die Schranken hiesiger Gerichte zu bringen. Das organisierte Verbrechen reicht oft bis in die Strukturen der Staaten, die es rechtlich kriminalisieren und bekämpfen. Die Piraterie hat von altersher enge Verknüpfungen in diese Richtung. Jahrhundertelang zogen die Staaten, die sich keine Marine leisten konnten, mit Kaperbriefen Nutzen aus ihr. Aber auch die seefahrenden Nationen folgten oft zweifacher Moral. Es war ein langer Prozeß, bis sich die Anwendung physischer Gewalt bei der Institution konzentrierte, die wir heute Staat nennen. Es dauerte ebenso lange, die Anwendung militärischer Gewalt zwischen den Staaten nicht zu beseitigen, aber zu regulieren, und zwar durch ein Völkerrecht, das streng zwischen Friedens- und Kriegsrecht schied. Piraterie konnte, da die Staaten sie für die Verfolgung ihrer Interessen als überflüssig betrachteten, zurückgedrängt, wenn auch nie ganz beseitigt werden. Die Frage wäre zu stellen, weshalb sie augenblicklich so vehement zurückkehren konnte.

Nicht erst seit gestern beschäftigen sich die internationalen Organisationen auf allen Ebenen mit dem organisierten Verbrechen. Drogen, Menschenhandel, Umweltverschmutzung großen Ausmaßes sind ihr tägliches Thema. Korruption und Verflechtung mit staatlichen und quasi-staatlichen Apparaten begegnen ihnen zum Beispiel auch bei der Bekämpfung des Terrorismus auf Schritt und Tritt. Die wiedergekehrte Piraterie bedroht bislang nur den Seehandel vor Afrika. Sie könnte sich auch in anderen Seegebieten wieder ausbreiten. Auch andere Handels- und Kommunikationssysteme (vor allem Luftverkehr und Internet) sind nicht immun. Die reichen Staaten haben relativ schnell, aber wenig angemessen reagiert. Mehr als die militärische Antwort fiel den politisch Verantwortlichen nicht ein. Schon der etwas differenzierteren Reaktion eines Gerichtsverfahrens vor eigenen Gerichten wichen die EU-Staaten aus. Der rechtsstaatliche Mindeststandard zwänge nicht nur dazu, einen präzisen Sachverhalt zu erarbeiten. Wird er dann der Norm gegenübergestellt, bestände zumindest die Chance, Mängel einer nicht adäquaten Reaktion aufzudecken. War das nicht der Sinn des immer wieder gepriesenen Rechtsstaates, geboren aus den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts? Stattdessen steckt man den Kopf in den Sand und überläßt die Antwort den echolosen Verließen Kenias. Vertrauen ins Krisenmanagement kann sich so kaum entwickeln. Auch die Marinesoldaten der Bundeswehr werden sich fragen, was ihre Jagd auf Piraten soll, wenn diese derart klammheimlich entsorgt werden. Und neue Verlegenheit steht vor der Tür. Die Fregatte »Rheinland-Pfalz« hat ihre Wirksamkeit abermals unter Beweis gestellt und wiederum sieben Piraten eingefangen. Ein »Regierungsgremium« zerbricht sich jetzt den Kopf, ob ein Prozeß in Deutschland noch zu umgehen ist (FAZ v. 31.3.09). Man sieht Qualm über dem Berliner Regierungssitz aufsteigen. Gehört die Verlegenheit zu den Fäulnissymptomen eines Weltsystems, das zwar immer stärker durch Globalisierung geprägt, aber zu problemlösender internationaler Aktion unfähig ist?